: „Und rüstet gegen sie auf!“
In Deutschland sind nach Schätzungen des Verfassungsschutzes 2.500 Extremisten arabischer Herkunft aktiv. Rekrutiert wird in Moscheen und Vereinen
von CLAUDIA DANTSCHKE
Schon bevor die Suche nach den Verantwortlichen für die Terrorserie in den USA unter anderem nach Hamburg führte, war bekannt, dass auch in Deutschland islamische Extremisten aktiv sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt, dass im Bundesgebiet etwa 2.500 Extremisten arabischer Herkunft konspirativ agieren, als Einzelpersonen oder in Kleinstgruppen und vor allem in den Großstädten Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main und München. Als ihre Basis firmiert ein Netzwerk von Vereinen, wie die palästinensische Hamas, die algerische GIA oder die ägyptischen Al-Gamaa al Islamiya und Jihad Islami sowie diesen Gruppen nahe stehende Moscheevereine. Dort wird auch der größte Teil des Nachwuchses rekrutiert.
Seit Beginn der zweiten Intifada vor einem Jahr ist zu beobachten, dass sich auch verstärkt nicht-arabische Muslime ideologisch radikalisieren. So fand in Berlin am 6. Oktober 2000 eine antiisraelische Demonstration statt, an der etwa 1.500 Personen teilnahmen. Neben zahlreichen Arabern und Anhängern der radikalislamischen Hamas (Bewegung des islamischen Widerstands) marschierten auch Mitglieder der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs mit, der größten türkisch-islamistischen Vereinigung Deutschlands, unter ihnen der Milli-Görüs-Jugendleiter von Berlin, Mustafa Çelebi. Die Demonstranten skandierten Parolen, wie „Kindermörder Israel“, riefen offen zum Kampf auf und verbrannten israelische Fahnen. Eine ähnliche Demonstration erlebte Berlin am 23. Dezember vergangenen Jahres, dem so genannten Jerusalem-Tag. Dieser von dem ehemaligen iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini ausgerufene „Kampftag zur Befreiung Jerusalems“ führt traditionell radikalschiitische oder mit der islamischen Revolution im Iran sympathisierende Gruppen zu einer Zentraldemonstration zusammen. Belief sich die Zahl der Demonstranten in den vergangenen Jahren auf etwas über 1.000, so hatte sie sich im vergangenen Jahr verdoppelt, und zwar auch durch die Teilnahme von Anhängern aus dem türkisch-islamistischen Spektrum.
Außer den Freitagspredigten in den Moscheen dient vor allem das Internet zur ideologischen Schulung des Nachwuchses – bis hin zu konkreten Kampfanleitungen. So heißt es auf der Homepage www.qoqaz.de (Jihad in Tschetschenien) unter anderem: „Entsprechend dem Vers ‚Und rüstet gegen sie auf, so viel ihr an Streitmacht und Schlachtrossen aufbieten könnt . . .‘ ist die militärische Ausbildung im Islam eine Verpflichtung eines jeden zurechnungsfähigen, männlichen und gereiften Muslims, ob reich oder arm, ob Studierender oder Arbeiter, ob in einem moslemischen Land oder in einem nicht moslemischen Land lebend.“ Die militärische Ausbildung, so heißt es weiter, umfasse alle modernen Waffentechniken wie Infanteriewaffen, Tanks, Artillerie und Flugzeuge. Detailliert wird erläutert, in welchen Schritten die körperliche Ertüchtigung zu erfolgen hat, um Ausdauer, Stärke und Beweglichkeit zu trainieren. Den Muslimen wird geraten, sich Kampfsportvereinen für Straßenkampf- und Selbstverteidigungstechniken und Schützenvereinen anzuschließen und dort möglichst nicht aufzufallen.
Zur umfassenden militärischen Ausbildung wird im Internet auch auf Schulungsmaterial, militärische Handbücher und Anleitungen aus den verschiedensten Themenbereichen, von leichten Waffen, Panzern und Artillerie bis hin zu Minen, militärischem Personal und Gefechtsmedizin verwiesen, das ausgerechnet vom „Erzfeind“ USA entlehnt wurde – mit Verweis auf Suchbegriffe wie „US Military Field Manual“ und Ähnliches. „Es ist sehr nützlich, ein ganzes Set solcher CDs für eure Moschee oder Islamische Gemeinde zu beschaffen, so dass sie jeder nutzen kann“, lautet die Aufforderung.
Sowohl die von einem Deutschen (Lars Wolfgang Mueller) in Münster angemeldete Seite qoqaz.de als auch die von dem in Wiesbaden lebenden Türken Talip Tolgay angemeldete Domain www.tevhid.de führen zu diesem Jihad-Portal, das die dargestellten Informationen in 17 Sprachen bereithält.
Die Verlinkung von Internetseiten, Mailinglisten und e-groups, hinter denen selten Organisationen, sondern häufig Einzelpersonen in unterschiedlichen Ländern stehen, machen ein Durchdringen der Strukturen äußerst schwer. Die konspirativen Netze bauen nicht selten auf verwandtschaftlichen Beziehungen auf. Selbst wenn den Fahndern ein Kämpfer ins Netz geht, verhindert in der Regel das „islamische Schweigegebot“ (fitne), dass er redet. Zwar gelang es dem bayerischen Verfassungsschutz, im September 1998 in der Nähe von München einen gewissen Salim, den so genannten Finanzier der Al-Qaida-Bewegung des saudi-arabischen Islamistenführers Ussama Bin Laden, zu verhaften. Aber wie auch jetzt in Hamburg erhielten die deutschen Verfassungsschützer den entscheidenden Hinweis von außen. Ebenso, als die Polizei am 25. Dezember 2000 in Frankfurt/Main vier mutmaßliche algerische Mudschaheddin, Anhänger der 1996 entstandenen GSPC (Salafitische Gruppe für Predigt und Kampf), verhaften konnte. Bei den anschließenden Wohnungsdurchsuchungen wurden Maschinenpistolen und 20 Kilogramm sprengstofffähiges Material sichergestellt. Erst Anfang April diesen Jahres gelang der Polizei in Frankfurt/Main eine weitere Festnahme eines algerischen Asylbewerbers. Gleichzeitig wurden in Italien fünf Tunesier festgenommen. Ein abgehörtes Telefonat mit einem Verbindungsmann in Belgien offenbarte den Verfassungsschützern jedoch, dass ihnen die wichtigste und gefährlichste Person „durch die Lappen gegangen ist“.
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