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Und keiner geht hin

■ Verweigerungsrekord: Zugang zum Zivildienst soll schwerer werden

Bonn (AP/taz) – Wird das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer verschärft? Bonner Regierungspolitiker wollen so auf die neue Rekordmarke reagieren – im ersten Halbjahr 1995 haben 85.400 junge Männer den Kriegsdienst verweigert. CDU-Verteidigungsexperte Klaus-Dieter Reichardt verlangt deshalb, die Hürden für die Verweigerung wieder höherzulegen: „Das Ausbüchsen aus der Bundeswehr per Postkarte darf nicht mehr die Regel sein.“

Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Klaus Rose (CSU), fordert eine Überprüfung der Zulassung zum Zivildienst. „Wenn sich die Wehrdienstverweigerung weiter so dramatisch entwickelt, kann die Bundeswehr nicht tatenlos zusehen.“ Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Günther Nolting, fragt sich, ob die Praxis des Verweigerungsverfahrens „noch zeitgemäß ist“.

Das Verteidigungsministerium sieht trotz der Rekordzahl die Zukunft der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee nicht gefährdet. Bei einer Stärke von rund 390.000 Soldaten wäre der Bedarf für die Streitkräfte selbst dann langfristig gedeckt, wenn der Prozentsatz von anerkannten Verweigerern sich bei 30 Prozent einpendeln würde. Zudem müsse berücksichtigt werden, daß in den ersten sechs Monaten 1995 die Musterungen um 24,7 Prozent gestiegen seien. Skeptischer äußerte sich dagegen die Wehrbeauftragte Claire Marienfeld (CDU): „Es ist fraglich, ob wir die Wehrpflichtarmee auf Dauer halten können, wenn es bei diesem hohen Anteil Wehrdienstunwilliger bleibt.“

Bei den Sozialdemokraten nimmt man den Verweigerungsrekord zum Anlaß, die Forderung nach einer Freiwilligenarmee zu erneuern. SPD-Wehrexperte Manfred Opel sagte, die Bundeswehr solle nur soviel Personal haben, wie man im Ernstfall wirklich brauche. Der Trend zur Verweigerung sei seit langem erkennbar.Siehe auch Seite 20

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