: „Und andere“
■ Wie Drehbücher geschrieben werden und wie sie geschrieben werden sollten
Gerhard Midding
Vor einigen Jahren wollte sich ein Drehbuchautor beim Verband der Filmschaffenden für die Berlinale akkreditieren. Verzweifelt suchte er auf dem Akkreditierungsformular nach der ihm zugedachten Rubrik: Kameraleute, Aufnahmeleiter und viele andere konnten sich dort eintragen, nur er nicht. Von argen Identitätsproblemen ergriffen, wußte er sich keinen anderen Rat, als sein Kreuz in der Spalte „und andere“ zu machen. Wer sich in den letzten Jahren immer wieder fragte, weshalb glaubt eigentlich gerade dieser Berufsstand, sich ständig ins rechte Licht rücken zu müssen?, findet in dieser kleinen Groteske die Antwort: Kein Filmkünstler ist hierzulande so konsequent zur Unperson erklärt worden wie der Drehbuchautor.
Vor etwa fünf Jahren entzündete sich an der inzwischen überstrapazierten Diagnose, der bundesdeutsche Autorenfilm sei in die Krise geraten, deshalb besinne man sich wieder auf den Drehbuchautoren, eine seinerzeit allerorts lebhaft geführte Debatte, die nun nur noch von den Drehbuchschreibern selbst am Leben erhalten wird. Zwei Publikationen, die sich mit dem Selbstverständnis und der Geschichte der Drehbuchautoren beschäftigen, sind jedoch keinesfalls Spätlichter dieser Debatte, sondern sie erscheinen in einem nach wie vor existierenden medienpolitischen Vakuum. Es mag zwar einen Boom der Publikationen übers Schreiben geben (rechnet man die unfehlbaren Lehrbücher nach amerikanischem Muster, die sich vor allem an Konjunkturritter richten, mit hinzu), eine vitale Schreibkultur selbst hat sich seither noch nicht etabliert. Film schreiben . Eine Geschichte des Drehbuches von Jürgen Kasten wartet einigen Lesern sicher mit einer Überraschung auf: Wer hätte gedacht, daß das Drehbuchschreiben in Deutschland (und Österreich, wie der Autor im pflichtschuldigen gleichen Atemzug betont - sein Buch ist beim im Nachbarland ansässigen Nora-Verlag erschienen) überhaupt eine Tradition und eine Geschichte besitzt?
Drehbuch schreiben . Eine Bestandsaufnahme, herausgegeben von Gustav Ernst und Thomas Pluch, ist eine Sammlung von Vorträgen, die während eines 1989 in Wien veranstalteten Symposions gehalten wurden. Die Wiener Tagung folgt im wesentlichen dem Muster einer Veranstaltung, die kurz zuvor in Berlin unter dem Titel Schreiben für den Film abgehalten und in der „edition text & kritik“ dokumentiert wurde. Der Vergleich beider Publikationen macht rasch deutlich: Die Österreicher gehen weitaus salopper und nonchalanter mit einem Gegenstand um, der leicht zur Larmoyanz verführt. Und: Die offizielle Kulturpolitik der Alpenrepublik ist offenbar noch viel filmfeindlicher als die unsrige. Mitherausgeber Gustav Ernst bringt in seinem Referat über das Drehbuchschreiben in Österreich vieles auf den Punkt, woran es auch hierzulande krankt: In den Szenarien herrscht immer noch eine Zuflucht zum Wort, die Rückversicherung, alles in Dialogen erklärt und gelöst zu haben, die Angst, sich auf Bilder einzulassen. Die Beiträge sind immer dann am stärksten und überzeugendsten, wenn sie von den Alltagserfahrungen der Autoren berichten. Peter Märtesheimer, Autor der letzten Faßbinder-Filme, liefert eine betroffene und zugleich witzige (von ihm stammt die einführende Anekdote) Untersuchung der Statusprobleme des Autors in der Industrie. Er hält es für unverzichtbar, zwischen der Entstehung des Buches (die alle Anzeichen eines künstlerischen Schaffensprozesses trägt) und der Verwertung (die das Buch als Ware in einer Industrie ausweist) zu unterscheiden. Jochen Brunow, ebenfalls avancierter Drehbuchautor, steht in einem ähnlichen Zwiespalt. Er plädiert für das Drehbuch als technisch-poetische Erzählform, die unabhängig von der Verfilmung existieren könnte - eine Utopie, hinter der sich vielleicht nicht mehr verbirgt als die resignierte Zuflucht zum Geschriebenen. Demgegenüber stammt einer der fesselndsten Beiträge aus der Feder Helmut Krapps, des Programmchefs der Bavaria-Film. Er geht praxisnah der Frage „Was ist ein Filmstoff?“ sowohl aus der Perspektive des Produzenten als auch des Autors nach. Krapp ist skrupulös genug, in seiner Argumentation einen Zusammenhang zwischen der „Erhabenheit des Marktes“ und der „elementaren Korrespondenz mit dem Publikum“ herzustellen, der weder zynisch noch opportunistisch ist. Ganz nebenbei stellt er auch noch eine schlüssige Stegreifliste der unverfilmten, brachliegenden zeitpolitischen Stoffe auf.
Eine Geschichte des Drehbuches zu schreiben ist eigentlich ein Unding: Wenn man über die Arbeit und den Beitrag von Szenaristen schreibt, macht man immer eine Rechnung mit vielen Unbekannten auf. Kastens Buch ist fast noch eine Pioniertat, bisher gab es nur in Frankreich und den USA vergleichbare Publikationen, beides Länder, in denen die Autoren viel stärker in die Filmproduktion und das Bewußtsein der Öffentlichkeit integriert sind. Kastens Ansatz ist um so wagemutiger, als bei uns die Wahrnehmung des Films als Kunstform noch zwiegespaltener ist als anderswo. Zwar existiert ein vages Bewußtsein für den arbeitsteiligen, wenn nicht gar kollektiven Charakter des Schaffensprozesses, in der Filmliteratur, Kritik, Theorie und Geschichtsschreibung herrscht jedoch eine fatale Sichtverengung vor, die nur eine Schöpferpersönlichkeit, den Regisseur, gelten läßt.
Akribisch spürt der Autor den Anfangsgründen des Berufsstandes nach, der bisher kein Thema war. Er identifiziert die ersten Verfasser von sogenannten „Tonbildern“, Operettenlibrettisten zumeist, und registriert in den frühen zehner Jahren die ersten Autoren, die originär und ausschließlich für die Leinwand schreiben. Natürlich berücksichtigt er auch die Literaten, die die Filmindustrie schon früh hofierte, um dem ehemaligen Jahrmarktvergnügen einen Anstrich von Noblesse zu verleihen. Dem Verhältnis der Literaten zur Industrie, immer von wechselseitigen Mißverständnissen begleitet, gilt das vornehmliche Interesse des Autors nicht; Kasten diagnostiziert auch für den Nachkriegs- und Nach-Oberhausen-Film, daß eine literarische Eroberung des Kinos nicht stattgefunden hat. Sein Augenmerk gilt den genuinen Filmautoren, die in Traditionen populärer Kultur verwurzelt waren und sich am Tagesjournalismus, an der Kolportage, an der Trivialliteratur inspirierten. Der legitime Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den zehner und zwanziger Jahren, der Blütezeit des deutschen Stummfilms. Kasten findet eine sehr schöne Beschreibung der herausragenden Erzählqualitäten dieser Epoche, die gleichzeitig als eine schlüssige Definition des Schreibens für das Erzählkino überhaupt durchgehen kann: Damals fand man die „Balance zwischen vorwärtstreibender äußerer Aktion und psychologisch dichter Ausarbeitung“.
In den Kapiteln über die Nazizeit und die restaurative Nachkriegsära bleibt er indessen nicht nah genung am Drehbuch dran, da gibt es in der Rechnung vielleicht wirklich zu viele Unbekannte, da vertraut er zu stark auf Sekundärquellen wie Manifeste und Selbstzeugnisse. Immerhin deckt er für die sechziger Jahre das rasche Mißverstehen der „politique des auteur“, die von den Kritikern der 'Cahiers du cinema‘ propagiert wurde, auf. Den deutschen Autorenfilm führte die wie selbstverständlich akzeptierte Personalunion von Regisseur und Autor spätestens in der Mitte der achtziger Jahre in eine Sackgasse. Die aktuelle Situation, das Ringen der Szenaristen um die ihnen gebührende Anerkennung, konterkariert er mit einem Schlenker in Richtung Fernsehspiel: Dort gilt der Autor noch etwas. Mehr oder weniger.
Jürgen Kasten: Film schreiben . Eine Geschichte des Drehbuches. 180 Seiten. Hora Verlag, Wien.
Gustav Ernst / Thomas Pluch (Hrsg.): Drehbuch schreiben . Eine Bestandsaufnahme. 130 Seiten. Europaverlag, 23 DM.
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