Unberechenbarkeit im Fußball: Die Größe eines André Schürrle
Aufhören, wenn es am schönsten ist. Nicht so leicht im Sport, denn wann ist das schon? Manch überraschendes Karriereende zeigt Charakter.
A ndré Schürrle hat aufgehört. Einfach so, im Sommer schon. Zur Erklärung sagte er, es reiche ihm jetzt, er brauche keinen Applaus mehr. Und auch, dass die Tiefen immer tiefer würden, sagte er, und die Höhen immer weniger hoch.
André Schürrle hatte keine schwerwiegende Verletzung oder sonst einen physiologischen Grund, jetzt was anderes zu machen: Er wollte bloß, dass es ihm wieder besser geht. Er hatte seine Frau kennengelernt, war Vater geworden und dachte sich irgendwann: Fuck it. Ich mach was anderes. Das erstaunliche an dieser Erklärung ist, dass sie so selten ist unter Spitzensportlern.
Gerade auch, weil deren Karrieren immer länger dauern. Früher hieß es, die Hochzeiten eines Sportlers seien so Ende 20, danach geht es langsam abwärts. Aber Sportmedizin, Ernährungswissenschaften und all das haben die Belastungsdauer von Athletenkörpern deutlich verlängert. LeBron James ist jetzt 35 Jahre alt und hat die zweitbesten Finals seines Lebens gespielt.
Einer, der das möglich gemacht hat, ist sein persönlicher Trainer Mike Mancias. Der hat ihm einen umfassenden Lebensentwurf zusammengeschnitten: spezielle Aufwärmübungen, natürlich einen strikten Ernährungsplan, „quality sleep“ und Entspannungstechniken. Es gibt keine Stunde am Tag, an der LeBron James nicht in erster Linie Basketballer ist: ein kompletter Athlet, ja wahrscheinlich, aber vor allem: ein totaler.
Hans Dampf in allen Laufwegen
André Schürrle hatte immer etwas Unkonventionelles an sich, einen Eigensinn, der ihn an guten Tagen unberechenbar machte. Gerade in den ersten zwei Jahren in Mainz war sein Spiel ein außergewöhnliches Spektakel. Es war nicht sonderlich kunstvoll, aber außerordentlich dynamisch und zielstrebig; Hansdampf in allen Gassen. Die Energie und Überzeugung, mit der André Schürrle in die freien Räume hineinschoss, und auch die Selbstverständlichkeit, mit der er sich Schüsse aus 20 Metern nahm: Das alles war geprägt von einem beinah rührenden Selbstvertrauen.
Es gab etwas hollywoodeskes in seinem Spiel – in entscheidenden Momenten freudvoll über sich hinauswachsen und damit Erfolg haben. Das ist ein Spielertyp, den Jogi Löw offenbar mag. So überzeugend, wie André Schürrle diesen Part gespielt hat, konnte das nur David Odonkor. Der hat 2013 auch seine Karriere beendet, das Knie. Beiden – und auch Mario Götze – haftete später an, dass sie Protagonisten in großen Momenten gewesen waren und danach in einer Art nationaler Wahnvorstellung fortwährend überhöht wurden: Erwartungen, die sie schlussendlich nicht erfüllten. So rächt sich das Publikum für die Liebe, die es seinen Helden entgegenbringt.
Es gibt nicht sehr viele männliche Spieler, die aufhören, weil sie keine Lust mehr haben, weil sie der Fußball ausgesaugt hat. Es sind interessanterweise recht oft Franzosen, die auf dem sogenannten Höhepunkt ihrer Karriere abtreten. Etwa Éric Cantona, der nach einem verlorenen Halbfinale in der Champions League sagte: Nee, reicht jetzt. Sein Vertrag lief noch ein Jahr, und Alex Ferguson bekniete ihn, doch noch zu bleiben. Aber Éric Cantona hatte sich schon entschieden. „Ich kann nicht ewig das gleiche machen, ich langweile mich sehr schnell.“ Das klingt nachvollziehbarer als alles, was Mike Mancias je gesagt hat.
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