Unabhängigkeit des Crossgolfens: Golf goes überall
Abstand halten durch schwingende Schläger. Beim Crossgolf-Turnier Krosser Karl geht es durch Reitanlagen und das Tivoli-Stadion in Aachen.
Vor dem engen Treppenaufgang ist per Klebeband ein grünes Abschlagkreuz markiert. Von hier aus, zudem von Beton statt von saftigem Rasen, soll der Ball ins Innere des Dressurstadions geschlagen werden. Es gelingt tatsächlich im ersten Versuch. Weiter geht’s über tiefes Sandgeläuf wie in einem Riesenbunker Richtung linker Stadionecke. Dort ist das Ziel: Der Ball muss auf ein kleines Podest geschlagen werden und dort liegenbleiben. Klappt nach ein paar vergeblichen Anläufen irgendwann tatsächlich. Eine 7 wird notiert, immerhin. Nicht eingelocht sondern aufpodestet.
Crossgolf-Turnier Krosser Karl statt Golf bei Olympia. Crossgolf ist Golf ohne Golfplatz. Beziehungsweise in einem Terrain, das zeitweilig als Golfplatz genutzt wird. „We can see golf courses everywhere“, haben sich The Golf Fellas aus Stuttgart auf ihre schmucken Leibchen drucken lassen. Golfplatz ist halt überall, wenn man nur will.
Im 14-Loch-Parcours geht es durch Aachens Sportpark Soers, kreuz und quer über das Pferdegelände des CHIO und ins grellgelbe Tivoli-Stadion der Alemannia. Die Bälle sind leichter als die üblichen Golfkugeln, weniger hart und darum weniger zerstörungsfähig. An die hundert Meter fliegen sie trotzdem. Turnierverpflegung: Belgische Waffeln; das angemessene Bier: Karlskrone. Eigene Coronaregeln gibt es an diesem Sommertag nicht: „Wir setzen auf den natürlichen Abstand eines Golfschlägers beim Schwung, wie immer“, definiert Sascha Bien, 48, von den Aachener Crossgolfern 2011 e. V. Man könne von überall weiterspielen, hieß es zum Start noch, mit einer Ausnahme: „Dächer sind Aus.“
Knapp hundert TeilnehmerInnen sind dabei, auch aus Berlin, den drei Benelux-Ländern, der Schweiz und viele Großkönner aus Frankreich, die am Ende auch die drei ersten Plätze belegen sollten. Lange war das Turnier als 2. Weltmeisterschaft geplant (nach Paris 2018), aber die Crosscracks aus Brasilien und den USA konnten aus Coronagründen halt nicht anreisen.
Der erhabenste Schlag des Turniers
Der Parcours war ein anderes Wort für große Fantasie. Mal ging es aus einem Mundloch der Tribünenaufgänge im Dressurstadion in ein geparktes Cabrio. Oder diagonal über das Dach des langgestreckten Veterinärzentrums vor Stall 5. Durch das Tor in die dunkle Einreithalle, dann durch eine kleine Nebentür in einer anderen Hallenecke wieder raus. Ziele mal eine Luke in Augenhöhe, eine Tür und besonders tückisch: den Ball in eine schwankende, schräg aufgehängte knallrote Mülltonne versenken. Der Boden: mal Schotter, Kiesel, Sandwüsten oder Steinplatten. Im Tivoli galt es einmal die Betontreppen hochzuchippen und später, der erhabenste Schlag des Turniers, von unter dem Tribünendach ganz oben auf den Platz tief unten. Ziel: der Fünfmeterraum.
Es werden gut vier Stunden große Gaudi mit großer Beweiskraft: Dem Menschen scheint es tatsächlich wesenseigen, mit unbändiger Lust Bälle per Schläger Richtung irgendeinem Ziel von sich wegzuschlagen. Die einen brauchen dafür handelsübliche Golfplätze, diese ungebändigte Spezies hier macht sie sich nach tagesaktuellem Bedarf.
Sascha Bien erzählt, sie hätten Turniere schon in einem weitläufigen Schulgelände gespielt, durch Industriebrachen sowieso, in einem menschenleeren Spaßbad („Das war besonders toll“) oder in Liechtenstein, wo es einen 2000er hoch ging per Skilift, um dann 18 markierte Bahnen ins Tal spielen. Bei den Europacup-Wertungen liefern sich Deutsche und Franzosen immer die wildesten battles.
Golf courses everywhere – nicht nur auf Erden: Erster kosmischer Crossgolfer war Alan Shepard, der 1971 auf dem Mond spielte („Apollo 13“, mit Eisen 6, etwa 350 Meter weit) und 2006 angeblich Kosmonaut Michail Tjurin aus der Internationalen Raumstation ISS: Der Ball machte noch 48 Erdumrundungen, also kam eine Rekordschlagweite von rund 2,5 Millionen Kilometern Länge zustande.
Bei meiner Erstteilnahme auf Erden bleiben am Ende ein stolzer Platz im vorderen Mittelfeld und einige Schrammen auf den Schlägerköpfen. Ohne diese schwankende Mülltonne wäre noch mehr drin gewesen oder ohne diese gemeine Hecke, die den Ball aufhielt, der nach einem wundervoll gelungenen Abschlag so majestätisch vom Schrägdach eines Stalles heruntergetanzt kam. Der Letztplatzierte bekam übrigens einen eigenen Nummernschild-Pokal mit Aufschrift LA-ST 20 – und den meisten Applaus nach einigen Flaschen Krasser Karlskrone.
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