Unabhängiger Polizeibeauftragter: „Es braucht Fingerspitzengefühl“

Berlin sucht hinter den Kulissen nach einem Polizeibeauftragten. Transparenz wäre sinnvoller, sagt Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes.

Demonstrant wird von zwei Polizisten festgenommen

Den Opfern geht es um die Bestätigung, dass ihnen Unrecht geschieht Foto: AdoraPress/M. Golejewski

taz: Herr Feltes, die Fraktionsspitzen der rot-rot-grünen Landesregierung handeln derzeit hinter den Kulissen unter sich aus, wer Polizeibeauftragter von Berlin werden soll. Was halten Sie von diesem Vorgehen?

Thomas Feltes: Die Tätigkeit eines Polizeibeauftragten ist sehr komplex und anspruchsvoll, daher wäre ein offenes und transparentes Ausschreibungsverfahren sinnvoll gewesen. Das hinter den Kulissen durchzuführen, entspricht nicht dem, was ich erwartet hätte, wenn man wirklich eine Bestenauswahl treffen will.

Was sollte man für diesen Posten mitbringen?

Das Profil ähnelt dem der oftmals bemühten „Eier legenden Wollmilchsau“. Sie oder er soll vieles, wenn nicht sogar alles können. Einerseits braucht man jemanden, der die Administrationsabläufe und das System Polizei von innen kennt, der die fachliche Expertise hat, um Polizeiverhalten zu beurteilen, der aber auch weiß, wo Fallstricke lauern. Gleichzeitig muss die Person einen Blick auf das System Polizei von außen haben, integer und unabhängig sein. Diese Kombination ist extrem schwierig zu finden.

Hätten Sie einen Vorschlag?

Bundesweit fallen mir zwei oder drei Personen ein, aber ich glaube nicht, dass die gewollt wären, weil sie eine zu kritische Grundhaltung mitbringen.

Ein radikaler Polizeikritiker kommt also nicht infrage?

Thomas Feltes

geboren 1951, ist Jurist und Sozialwissenschaftler. Bis 2019 hatte er an den Ruhr-Universität in Bochum den Lehrstuhl für Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaften inne. Bundesweit gilt er als einer der profiliertesten Polizeikritiker. Sein jüngstes Buch mit Beiträgen zum Thema Rassismus, Rechtsextremismus und Polizeigewalt ist Anfang 2021 beim Verlag für Polizeiwissenschaften erschienen.

Es wäre zumindest mutig, den Posten mit so einer Person zu besetzen. In der Polizei wäre mit extremen Widerständen bis hin zum Boykott zu rechnen, auch und besonders durch die Polizeigewerkschaften. Wenn die Person etwas bewirken soll, wäre eine strategische Entscheidung für jemanden mit einer gewissen Akzeptanz vernünftig.

Die Aufgaben des Polizei- und Bürgerbeauftragten sind in einem eigenen Gesetz geregelt: Ziel sei, „auf eine einvernehmliche Lösung der Angelegenheit hinzuwirken“. Das klingt eher nach Mediation, oder?

Ein Mediationsverfahren ist immer sinnvoll, wenn es um zwischenmenschliche Konflikte geht, mit denen wir es ja hier zu tun haben. Das setzt aber viel Fingerspitzengefühl voraus und die Bereitschaft von beiden Seiten, sich darauf einzulassen. Nach allem, was sich in der Polizei in den letzten Jahren ereignet hat, wird das schwierig.

Geht das konkreter?

Von Polizeiwillkür Betroffene beklagen, dass sie nicht ernst genommen werden. Dass man nicht das Gespräch mit ihnen sucht, sich nicht entschuldigt.

Könnte eine Mediation ein Straf- und Disziplinarverfahren ersetzen?

Das Interesse von vielen Antragstellern und Opfern wäre durch eine erfolgreiche Mediation vermutlich abgedeckt. Ich persönlich halte von Straf- und Disziplinarverfahren wenig, weil dadurch keine echte Verhaltensänderung bewirkt wird. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist aus gutem Grund auch in das Strafverfahren eingeführt worden, er wird aber leider viel zu selten genutzt.

Stelle Mit der Einführung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Polizei- und Bürgerangelegenheiten geht eine langjährige Forderung der Bürgerrechtsbewegung in Erfüllung. Es waren Linke und Grüne, die der SPD das Vorhaben in zähen Verhandlungen abgerungen haben. Die Aufgaben sind in einem eigenen Gesetz über den Bürger- und Polizeibeauftragten geregelt. Ende 2020 hat es das Abgeordnetenhaus passiert. Die spannende Frage ist: Wer wird die Person sein, die mit ihrem Gesicht dafür steht, dass Bürger bei polizeilichem Fehlverhalten nicht immer den Kürzeren ziehen? Oder dass polizeiinterne Beschwerden unabhängig überprüft werden?

Suche Auf ein öffentliches Ausschreibungsverfahren wurde verzichtet. Die Fraktionsspitzen der rot-rot-grünen Koalition haben die Stellenbesetzung zur ChefInnensache gemacht. Dem Vernehmen liegen inzwischen mehrere Namen von KandidatInnen für die Stelle auf dem Tisch. Von sehr sensiblen Gesprächen ist die Rede. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Die Pressestellen der Fraktionen von SPD, Linken und Grünen erklärten dazu auf Nachfrage nahezu gleichlautend: „Zu etwaigen vertraulichen Gesprächen der Fraktionsspitzen geben wir grundsätzlich keine Auskunft, erst recht nicht zu etwaigen Personalfragen.“ (plu)

Der Polizeibeauftragte hat dem Abgeordnetenhaus einmal im Jahr einen Bericht vorzulegen. Was wäre bestenfalls zu erwarten?

In diesem Bericht wird es auch darum gehen, strukturelle Probleme im Umgang mit polizeilichem Fehlverhalten aufzeigen. Für die Polizeibehörde muss das Anlass sein, die eigene Fehlerkultur zu hinterfragen. Zurzeit ist der Umgang mit Fehlern eher auf Vertuschen und Verschleiern angelegt. Dabei geht es den meisten Opfern nicht um Schadenersatz oder Bestrafung der Täter. Sie wollen die Bestätigung, dass ihnen Unrecht geschehen ist. Es geht um Genugtuung, um „restorative justice“, wie es im Englischen genannt wird, um wiederherstellende Gerechtigkeit. Mit einer vernünftigen Fehlerkultur lässt sich das erreichen.

Der Polizeibeauftragte wird für eine Amtszeit von sieben Jahren mit einfacher Mehrheit vom Abgeordnetenhaus gewählt. Die vorzeitige Abwahl ist nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich. Wäre er im Fall eines Regierungswechsel davor geschützt, dass ihm Widersacher in die Beine grätschen?

Man kann einer solchen Person das Leben extrem schwer machen, sie blockieren oder ihr so viele Steine in den Weg legen, dass sie das Amt früher oder später aufgibt. In Verwaltung und Politik ist so etwas durchaus üblich. Allerdings wird man die Institution an sich, wenn es sie einmal gibt, nicht wieder abschaffen können. Um erfolgreich zu arbeiten, muss man aber dieses Fingerspitzengefühl an den Tag legen, damit sich die Einrichtung auf Dauer etabliert und von allen Seiten akzeptiert wird.

Wie könnte das aussehen?

Wichtig ist, dass den Opfern signalisiert wird: Wir sind für euch da. Politik und Polizei sollten erfahren, dass es keine Institution ist, die einseitig gegen die Polizei agiert. Dadurch, dass Probleme transparent aufgearbeitet werden, werden auch die Legitimität polizeilichen Handelns und das Ansehen in der Öffentlichkeit verbessert, was mir im Moment besonders wichtig erscheint.

Auch die Landesdatenschutzbeauftragte ist unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Aber ihre Mahnungen werden gern in den Wind geschlagen.

Das Problem besteht auch bei Polizeibeauftragten, wenn sie zur symbolischen Einrichtung verkommen. Allerdings ist Datenschutz per se eine trockene Angelegenheit, während wir es beim Polizeibeauftragten mit dem Verhalten von Menschen und mit Polizeigewalt zu tun haben. Das hat eine andere Öffentlichkeitswirkung, gerade auch vor dem Hintergrund der Ereignisse in den letzten Monaten und Jahren.

Worauf wollen Sie hinaus?

Unabhängigen Medien ist es zu verdanken, dass polizeiliches Fehlverhalten auch öffentlich diskutiert wird. Diesen unabhängigen, investigativen Journalismus brauchen wir gerade in diesem Bereich. Nur wenn Journalisten Fälle aufnehmen und den Opfern so eine Stimme geben, besteht eine Chance, dass eine behördeninterne oder justizielle Untersuchung stattfindet.

Ist damit zu rechnen, dass die Beschwerdestelle mit Fällen überhäuft wird?

Das hängt entscheidend davon ab, wie niedrigschwellig der Zugang ist. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, zu denen ich gehöre, untersucht derzeit in einem internationalen Projekt genau diese Frage: Wie muss eine solche Stelle beschaffen sein, um möglichst von allen akzeptiert zu werden und dennoch effizient zu arbeiten. Die aktuelle und viel diskutierte Studie von Tobias Singelnstein zur Polizeigewalt hat deutlich gemacht, dass wir es mit einem erheblichen Dunkelfeld von Polizeigewalt zu tun haben.

Singelnstein ist Ihr Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Kriminologie an der Ruhr-Universität in Bochum.

Auch mich erreichen wöchentlich Berichte von Menschen, die Opfer von polizeilichem Fehlverhalten verschiedenster Art wurden. Sie leiden darunter extrem, und viele verlieren durch die abwehrende Reaktion von Polizei und Staatsanwaltschaft das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Für die Beschwerdestelle wird es wichtig sein, die Spreu vom Weizen zu trennen, zu entscheiden, welche Fälle müssen genauer untersucht werden und welche nicht. Das ist nicht immer einfach, denn natürlich sind auch Querulanten und psychisch gestörte Menschen darunter.

Was schlagen Sie vor?

Auch diese Fälle müssen objektiv untersucht werden, aber man wird auf psychologische Unterstützung zurückgreifen müssen. Was nicht passieren darf, ist das, was wir in der Kriminologie sekundäre Viktimisierung nennen: dass Menschen in einem solchen Verfahren nochmals zum Opfer gemacht werden, weil sie das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden oder ihnen wieder Unrecht angetan wird.

Unter den Bundesländern hat Berlin das wohl fortschrittlichste Polizeibeauftragten-Modell. Wie verhält sich das im europäischen Vergleich?

Viele Länder in Europa haben solche Einrichtungen. In England, Portugal und Dänemark sind das wirklich gut ausgestattete Einrichtungen, teilweise haben sie sogar eigene Ermittlungskompetenzen. So hat die Polizeibeschwerdebehörde in Aarhus in Dänemark 34 Ermittler, ein Jahresbudget von 2,8 Millionen Euro, und das bei gerade einmal rund 11.000 Polizisten. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen hat der Landespolizeibeauftragte eine Mitarbeiterin, eine Sekretärin und 150.000 Euro jährlich – für 54.000 Polizeibeschäftigte.

Auch der Berliner Polizeibeauftragte erhält eine gut ausgestattete Geschäftsstelle, und er kann auch Dienststellen aufsuchen. Bei laufenden Straf- und Disziplinarverfahren sind seine Befugnisse laut Gesetz aber stark beschnitten.

Wenn ein Betroffener einen Beamten wegen Körperverletzung im Amt oder Nötigung angezeigt hat und ermittelt wird, ist eine Akteneinsicht nicht mehr möglich. Dem Polizeibeauftragten sind dann die Hände gebunden. Damit bleiben alle Fälle von Polizeigewalt außen vor, es sei denn, der Betroffene erstattet keine Anzeige. Und es bedeutet auch, dass sich Polizeibeamte nicht vor dem Polizeibeauftragten äußern werden – und auch nicht müssen –, wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht.

Dann ist der Polizeibeauftragte in Wirklichkeit zahnlos?

Die Klausel ist juristisch in Ordnung, führt aber zu einer Kastration des Polizeibeauftragten. Sie könnte sogar zum Bumerang werden für die Opfer, weil dann noch häufiger Polizeibeamte eine Strafanzeige erstatten, um zu verhindern, dass der Polizeibeauftragte die Sache untersucht. Dann haben wir tatsächlich nicht wirklich viel erreicht. Die Betroffenen haben dann wieder den Eindruck, dass man ihren Problemen nicht nachgeht, sondern sie vertröstet.

Als Polizeiwissenschaftler haben Sie alle Bundesländer im Blick. Wie nehmen Sie die Berliner Polizei wahr?

Die Berliner Polizei ist so bunt wie die Stadt. Um den Pressesprecher Thilo Cablitz dürften Berlin viele andere Städte beneiden. Dafür gibt es auch Schattenseiten, vor allem aufgrund der sozialen Probleme in Berlin. Es kommt letztlich immer darauf an, wie sich die Polizei in einem Einzelfall darstellt. Leider haben wir viele Fälle von Polizeigewalt in Berlin, auch mit tödlichem Ausgang, die nicht transparent aufgearbeitet worden sind. Aber man muss immer vorsichtig sein.

Was wäre Ihr Fazit?

Eine Polizei zu führen ist eine extrem schwierige Aufgabe, weil durch polizeiliches Handeln in den Kernbereich von Demokratie und Menschenrechten eingegriffen wird. Im Grunde genommen brauchen wir Polizistinnen und Polizisten, die Menschenrechte verteidigen und dafür auch einmal den staatlichen Strafanspruch hintanstellen.

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