Umzugsprämie für Senioren: Falscher Vorschlag, richtiges Thema
Rentner sollen 5 000 Euro bekommen, wenn sie in eine kleinere Wohnung ziehen. Ein unrealistischer Vorschlag für ein sehr reales Problem.
Durch die Großstädte der Republik hallt derzeit vor allem eine Parole: Neubau. Neubau. Neubau. Weil es immer mehr Zuzügler und Familien in die Innenstädte zieht, müsse nach der Nachfrage auch das Angebot erweitert werden. Das ist eine ziemlich sozialdemokratische Antwort auf eine Schieflage am Wohnungsmarkt. Statt das Problem an der Wurzel zu packen, rührt man die Betonmaschine an. Weil Neubauten aber teuer sind, wird das Problem mit den explodierenden Mieten nicht gelöst. Hauptsache, es gibt Jobs am Bau und damit ein paar Wählerstimmen.
Eines der heißen Eisen, über das seit Jahren nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird, hat nun ausgerechnet ein Gewerkschaftsboss angerührt. „Viele Senioren sitzen im Alter in ihren großen Wohnungen fest, viele Familien müssen dagegen in viel zu kleinen Wohnungen wohnen. Diesen Missstand müssen wir beheben“, sagte der Vorsitzender der IG BAU, Robert Feiger, der Bild-Zeitung. Seine Forderung: Jeder Rentner, der seine viel zu große Wohnung räumt und in eine kleinere zieht, soll 5.000 Euro Prämie bekommen. Damit sollen laut Feiger Maklerkosten, Umzugshelfer und die Renovierung der alten Wohnung bezahlt werden können.
Sollen die Rentner also dafür büßen, dass die Parteien das Thema Wohnungspolitik verpennt haben? Ein bisschen klingt der Vorstoß des obersten Bauhelms der Republik wie die sozialpolitische Irrfahrt des damaligen Junge-Union-Chefs Philipp Mißfelder, der vor mehr als zehn Jahren „sehr alten“ Menschen eine neue Hüfte verweigern wollte. Weil der Generationenvertrag aufgekündigt ist, rücken die Jungen den Alten zu Leibe. Nicht mal mehr ihren Lebensabend sollen die Witwen nun in ihrer Wilmersdorfer oder Blankeneser Wohnung verbringen dürfen. Pfui. Hieß es nicht immer: Einen alten Baum verpflanzt man nicht?
Die Realität sieht anders aus. Noch nie waren die über 65-Jährigen so mobil wie heute. Ist der Job getan, ziehen die Best-Ager von Köln ins hübsche Görlitz oder vom langweiligen Dorf in die anregende Innenstadt. Kultur und Ärztedichte sind die weichen Standortfaktoren, die Städte vorhalten müssen, wenn sie im Ringen um die Senioren erfolgreich sein wollen. Und natürlich denken viele Ältere darüber nach, von einer großen in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Nicht unbedingt, weil sie Helikoptereltern und Wunderkinder mögen, sondern weil es schlicht weniger Arbeit macht.
Umzugsmanagament statt Umzugsprämie
Mitunter aber, und hier kommt der IG-BAU-Chef ins Spiel, klagen die Senioren darüber, dass die kleinere Wohnung mehr kostet als die viel zu große mit einem alten Mietvertrag. Statt einer Umzugsprämie wäre deshalb etwas ganz anderes nötig: ein Umzugsmanagement, etwa der kommunalen Wohnungseigentümer, das garantiert, dass die verlassene große Wohnung, ebenso wie die kleine neue zum selben Preis vermietet wird wie an die Vormieter. Passiert dies nicht, treibt, Mietbremse hin oder her, jeder Umzug wieder die Mietpreisspirale an.
Falscher Vorschlag also für ein richtiges Thema, könnte man sagen. Dennoch gebührt Robert Feiger großes Lob. Denn er hat mit seinem Vorstoß eben auch angesprochen, dass in Deutschland der Flächenverbrauch pro Person in die Höhe schießt. Allein in Berlin sind es 40 Quadratmeter. Ein Senior hat laut Statistischem Bundesamt deutschlandweit sogar 65 Quadratmeter zur Verfügung. In Paris, London oder Warschau reiben sie sich die Augen, wenn sie das hören.
Statt also immer nur den Beton anzurühren, könnte man mal drüber nachdenken, was das „zeitgemäße“ Wohnen mit nachhaltiger Stadtentwicklung zu tun hat. Rücken alle etwas zusammen, würde Deutschland weniger zubetoniert.
Ein heißes Eisen, wie gesagt. Und sicher kein Gewinnerthema. Deshalb kam es ja auch von einem Gewerkschaftsboss und nicht aus der Politik.
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