Umverteilung von Flüchtlingskindern: „Kein Zug nach Nirgendwo“
Das Gesetz zur Umverteilung minderjähriger Flüchtlinge auf die Länder befindet sich in der Feinabstimmung, dabei mehren sich die Bedenken der Flüchtlingsinitiativen.
HAMBURG taz |Das Gesetz rückt näher, der Streit wird lauter: Die maßgeblich von Hamburg und Bremen angeschobenen Pläne von Bundesministerin Manuela Schwesig (SPD) die in Deutschland ankommenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge auf alle Bundesländer nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel gleichmäßig zu verteilen, stoßen bei allen zuständigen Fachverbänden auf massive Kritik.
„Verteilung nach Quote ist immer ein Zwang für die betroffenen Jugendlichen“, klagt etwa Thomas Berthold vom Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BUMF), räumt aber gleichzeitig ein, dass der vorliegende Gesetzentwurf zumindest „bemüht ist, das Kindeswohl mit der quotalen Verteilung in Verbindung zu bringen“. Denn auch hier sollen die Lebensbedingungen der Jugendlichen mit in den Mittelpunkt gerückt werden.
Bislang werden die jugendlichen Flüchtlinge an dem Ort betreut, wo sie zuerst aktenkundig werden, weil sie sich melden oder von der Polizei aufgegriffen werden. Vor allem sind das die großen Metropolen, im Norden vor allem Hamburg und Bremen. Nach dem neuen Schlüssel muss Hamburg nur 2,52 und Bremen 0,94 Prozent der unbegleiteten Minderjährigen aufnehmen.
Geht man von den 7.518 unbegleiteten Jungflüchtlingen aus, die sich zum Jahreswechsel 2014/2015 bundesweit in Obhut der Jugendämter befanden, so würden künftig nach Königstein Hamburg nur noch 189 und Bremen 68 dieser Jugendlichen zugeteilt werden.
Verteilung: Laut Königsteiner Schlüssel, der bald auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten soll, muss Niedersachsen 9,4, Schleswig-Holstein 3,4, Hamburg 2,5, Mecklenburg-Vorpommern 2,0 und Bremen 0,9 Prozent der Jugendlichen aufnehmen.
Herkunft: Meist kommen sie aus Afghanistan, Syrien, Somalia und Eritrea.
Steigerung: 2014 wurden bundesweit 7.518 von ihnen in Obhut genommen, 2013 waren es 6.583, 2010 dagegen gerade mal 2.800.
Tatsächlich leben in Hamburg 512 und in Bremen 113 dieser Jugendlichen. Darüber, dass Hamburg in Zukunft „deutlich weniger minderjährige Flüchtlinge aufnimmt als bislang“, freut sich Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Das entsprechende Gesetz soll im Sommer verabschiedet werden und Anfang 2016 in Kraft treten.
Während sich in Hamburg und Bremen die Zahl der Inobhutnahmen dadurch drastisch reduzieren könnten, müsste sie sich in Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach aktuellen Zahlen etwa verdoppeln und in Mecklenburg-Vorpommern fast versiebenfachen. 2013 fiel von den laut BUMF bundesweit stattgefundenen 5.548 Aufnahmen unbegleiteter Jugendlicher auf der Flucht keine einzige auf das Nord-Ost-Bundesland.
Die hohe Zahl der Jungflüchtlinge sei in Hamburg ein „großes Problem“, betont die zuständige Sozialbehörde. Weil eine geeignete Anschlussunterbringung fehlt, leben die Kinder und Jugendlichen statt mehrerer Wochen im Schnitt fast ein dreiviertel Jahr in Erstaufnahmeunterkünften, in denen es an Betreuungs-, Freizeit- und Bildungsangeboten mangelt. Weniger minderjährige Flüchtlinge bedeutet deshalb mehr Hilfen für die Verbleibenden, rechnet sich Sozialbehörde aus.
Doch was heißt es für die Umverteilten, die aus den Städten abgeschoben werden? Sinkt die Zahl der unbegleiteten Flüchtlinge in Hamburg, müssten die für diese Gruppe gerade „mühsam aufgebauten neuen Einrichtungen wieder geschlossen und das neu eingestellte Personal entlassen werden“, befürchtet der Hamburger Flüchtlingsrat. Deshalb lehnt der den Gesetzentwurf in der vorgelegten Form ab.
Gleichzeitig fehle in ländlichen Gebieten jede spezielle Infrastruktur für diese Gruppe, die einen Anspruch auf gezielte Maßnahmen der Kinder - und Jugendhilfe hat. Eine Umverteilung verstoße deshalb gegen die „Vorrangigkeit des Kindeswohls“, klagt die Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Claudia Bernhard. Die Linken-Politikerin fordert mehr Bundesmittel für eine altersgerechte Unterbringung, lehnt jede Umverteilung der Minderjährigen jedoch ab.
„Eine finanzielle Umverteilung zwischen den Bundesländern gibt es bereits, aber wir stoßen auf die Grenzen unserer Kapazitäten“, hält Hamburgs Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer dagegen: „Die Freien Träger sagen selber, dass sie nicht mehr wachsen und eine schnelle Integration gewährleisten können.“ Deshalb müsse in den „mittelgroßen Städten“ sämtlicher Bundesländer eine entsprechende Infrastruktur mit Jugendwohnungen, Traumatherapie und Integrationsangeboten geschaffen werden, sagt Schweitzer: „Wir reden hier nicht über Dörfer und setzen keinen Jugendlichen allein in einen Zug nach Nirgendwo.“
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