Umstrittenes Pro und Contra in „Die Zeit“: Man lässt es jetzt
Als „Die Zeit“ über private Seenotrettung debattierte, war der Zoff riesig. Jetzt war das Stück für einen Preis nominiert – allerdings nur kurz.
Nichts ist so oll wie die Zeitung von gestern, sagt man. Manche Texte haben hingegen eine erstaunliche Langlebigkeit. „Oder soll man es lassen?“ ist so einer. Gedruckt hat ihn die Wochenzeitung Die Zeit im Juli 2018 als Pro und Contra zur privaten Seenotrettung im Mittelmeer. Als letzte Woche die Jury des Theodor-Wolff-Preises für Journalismus bekannt gab, dass der Beitrag in der Kategorie „Meinung überregional“ nominiert ist, fügte sich der Karriere des Beitrags eine neue Episode hinzu. Und gleich noch eine, als die Co-Verfasserin Caterina Lobenstein jetzt erwirkte, dass die Nominierung wieder zurückgezogen wird.
Als die Zeit im letzten Sommer fragte, ob auch Nichtregierungsorganisationen Flüchtende im Mittelmeer retten sollten, führte das zu massiver Ablehnung. Im Blatt fand sich ein Pro von Lobenstein, die private Hilfe auf Rettungsschiffen verteidigte, sowie ein Contra von Mariam Lau, die Bedenken äußerte: „Die Retter sind längst Teil des Geschäftsmodells der Schlepper“, war einer der markigeren Sätze darin. Die Redaktion stellte beides unter ein Bild von Menschen mit Schwimmweste und die zugespitzte Überschrift.
Vor allem an diesem Layout arbeiteten sich Kommentator*innen ab, einige fanden, die Zeit stelle Rettungseinsätze generell in Frage (was nicht stimmt). Mit Effekt: In der digitalen Version änderte die Zeit die Überschrift in „Gut? Oder nur gut gemeint?“ Auf der Webseite steht indes noch der ursprüngliche Titel, auch wenn der stellvertretende Chefredakteur Bernd Ulrich diesen in der Zwischenzeit als Fehler bezeichnet hat und „von Herzen“ um Entschuldigung bat.
Klüger als der Titel
Offensichtlich fanden aber nicht alle das Werk missraten, in der FAZ gab es Kritik am Einknicken vor der Kritik. Für den Wolff-Preis wurde es von Lesern nominiert. Die Jury, in der unter anderem Nikolaus Blome von Bild und Christian Lindner von BamS sitzen, wuchtete den Vorschlag auf die Shortlist – ohne das Wissen der Autorinnen. Daraufhin meldete sich Lobenstein und bat darum, von der Nominiertenliste gestrichen zu werden. Zwar stehe sie hinter ihrem Text, die Aufmachung sei aber falsch. „Überschrift, Foto und Texte erwecken im Gesamtklang den Eindruck, die […] Rettung von Menschenleben sei verhandelbar“, heißt es in ihrer Stellungnahme. „Von dieser Darstellung möchte ich mich distanzieren.“
Ihre Kollegin Mariam Lau hält das Stück nach wie vor für legitim: „Ich fand es sehr gut, dass wir diesen Beitrag gemacht haben. Die Nominierung wäre ein Signal gewesen: Kudos dafür, dass ihr eine wichtige Debatte führt“, sagt sie der taz. Gerade Laus Contra war auch inhaltlich stark kritisiert worden, so wurde in dieser Zeitung der Vergleich zwischen privaten Seenotrettern und Bürgerwehren als „unsäglich schief“ kritisiert.
Der Titel des Stücks lebt jedenfalls weiter: „Oder soll man es lassen?“, floskelten seither die Rheinische Post über die SPD, der Deutschlandfunk über das Impfen oder die Welt, besonders meta, über Pro-und-Contra-Debatten. Viele Menschen, die auf Twitter über den Beitrag schimpfen, teilen nach wie vor nur Bild und Überschrift. Wer die ganze Zeitungsseite betrachtet, bemerkt hingegen, dass sie klüger ist als ihr Titel.
Caterina Lobenstein, Journalistin
So lässt sich zum (vorläufigen) Ende seines Werdegangs wenigstens eines aus dem Text lernen: Das publizistische Werk im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit lebt noch stärker von seiner Aufmachung. Texte, Bilder und Typografie, die im Gesamten durchaus Sinn ergeben können, überstehen nicht zwangsläufig das Internet. Der Reporter Raphael Thelen hat das kürzlich erfahren, als er sich eine anderthalbjährige Recherche für das SZ Magazin über den AfD-Mann Markus Frohnmaier mit dem Teaser zerschoss, sie hätten gemeinsam „gestritten, gelacht und Rum getrunken“. Wobei man das wirklich hätte lassen können.
Offenlegung: Auch der taz-Redakteur Daniel Schulz ist in der Kategorie „Meinung überregional“ für den Theodor-Wolff-Preis nominiert.
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