Umstrittenes Denkmal in Berlin-Mitte: Für die, die nie gesprochen haben
Mit einem Sit-in demonstrieren 150 Menschen für die Trostfrauenstatue. Rednerinnen erinnern dabei an die Kontinuität sexueller Gewalt in Kriegen.
Paarweise sind 400 Stühle auf dem Platz aufgestellt, jeweils ein Stuhl eines Paars bleibt frei. Das entspricht den derzeitigen Hygienevorschriften und nimmt das Bild der neben einem leeren Stuhl sitzenden Bronzestatue einer sogenannten Trostfrau in Moabit auf.
Als „Trostfrauen“ wurden beschönigend die Zwangsprostituierten der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Der leere Stuhl neben der Statue symbolisiert all die unbekannten Opfer, die nicht mehr sprechen können oder es nie wagten, das erlittene Leid auszusprechen. 200.000 Frauen aus 14 asiatischen Ländern wurden von Japans Militär gezwungen, sich zu prostituieren. Erst 1991 sprach die erste Frau öffentlich über die ihr zugefügte Gewalt.
„Die Statue zeigt eine angezogene und alltägliche Frau“, sagt Prasad zur Besonderheit des Mahnmals. „Das verdeutlicht, dass es damals in den betroffenen Ländern jede Frau hätte treffen können.“ Die Statue gehe auch nicht nur asiatische Frauen etwas an: „Sexualisierte Gewalt ist in fast jedem Krieg ein Thema“, sagte sie. Berlin könne deshalb mit diesem besonderen Mahnmal ein Zeichen setzen. Weltweit gebe es überhaupt erst zwei Statuen, die Verschleppung und sexuelle Versklavung von Frauen thematisierten.
Prasad kritisiert damit auch die vorherrschende Erinnerungskultur. Zeigten Denkmäler überhaupt Frauen, seien diese meist nackt oder mit Kindern dargestellt. Die Friedensstatue sei eine löbliche Ausnahme. Doch jetzt drohe ausgerechnet das Bezirksamt Mitte die vom Korea Verband aufgestellte Statue zu zerstören, deren Aufstellung es zuvor selbst genehmigt hatte.
Zum Druck auf Senat und Bezirk durch Japans konservative Regierung, die unbedingt die Statue entfernt haben will, sagt Prasad, es sei „ein Skandal, dass ein souveräner Staat sich von außen einreden lässt, wie er seinen öffentlichen Raum zu gestalten habe“.
Für die Statue spricht sich bei der Kundgebung auch Nûrê Alkis vom Dachverband des êzîdischen Frauenrats aus. Zahlreiche Ezidinnen wurden in Syrien und Irak von der Terrororganisation Islamischer Staat sexuell versklavt. „Wir ezidischen Frauen teilen den Schmerz der Trostfrauen,“ sagt Alkis.
Die Besonderheit der Friedensstatue wird auf dem Gendarmenmarkt auch durch den Kontrast zum Schillerdenkmal deutlich. Seit fast 150 Jahren steht hier vor dem Konzerthaus eine weiße Statue von Friedrich Schiller. Dem „Dichterfürsten“, wie es auf dem Sockel heißt, sitzen vier weibliche allegorische Figuren zu Füßen. Ein Heldendenkmal seiner Zeit mit Frauen als schmückendem Beiwerk.
„Ein Erinnerungsort macht deutlich, dass wir das erlittene Leid anerkennen“, sagt Sarah Fremberg von der Frauenhilfsorganisation medical mondiale über die Friedensstatue. „Es wäre ein wichtiges Signal, würde sich Berlin dafür aussprechen, dass die Statue für immer stehen bleiben kann.“
Am 1. Dezember will die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Mitte über einen Antrag der Linkspartei über die dauerhafte Aufstellung der Statue abstimmen. In der letzten BVV-Sitzung Anfang November hatte sich eine große Mehrheit gegen den Entzug der einjährigen Genehmigung durch das Bezirksamt ausgesprochen.
Nûrê Alkis
In einem Satirebeitrag zitieren zwei Frauen aus Schreiben zur Statue von Berliner Regierungsstellen. Durch die Überspitzung wird deutlich, dass der politische Anspruch zur Stärkung der Frauenrechte angesichts des Nachgebens gegenüber dem Druck aus Tokio nur Lippenbekenntnisse sind.
Gegen die Kälte beim Sit-in bietet eine Gebärdendolmetscherin eine besondere Aufwärmmethode. Sie bittet von der Bühne aus, die Kundgebungsteilnehmer*innen aufzustehen, und übersetzt für alle zum Nachmachen die Parolen „Wir sind die Friedensstatue!“ und „Nie wieder Schweigen!“ in Gehörlosensprache. Mehrfach wild gestikulierend wird den Demonstrant*innen wieder warm.
Später ziehen die Kundgebungsteilnehmerinnen zwei Blöcke weiter zum Auswärtigen Amt am Werderschen Markt. Dort startet wenig später der Protestzug der „Alliance of Internationalist Feminists“. Hier geht es verbalradikaler und noch internationaler zu.
So berichten etwa Frauen aus Mexiko, Kurdistan, Polen und Sudan von ihren Kämpfen gegen männliche Gewalt, aber auch gegen Ausbeutung und Rassismus. Auf Plakaten wird der alltäglichen Opfer gedacht und eine verharmlosende Sprache („Femizid ist kein Beziehungsdrama“) kritisiert.
Bevor die Teilnehmerinnen Richtung Humboldt Forum und Rosenthaler Platz losziehen, heizen Rednerinnen der Menge mit einer chilenischen Protestchoreografie „El violador eres tu“ („Der Vergewaltiger bist du“) ein. Eine Polin berichtet vom Kampf gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts im Nachbarland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde