Umstrittenes Bauprojekt in Berlin-Pankow: Was ist das eigentlich, Nachhaltigkeit?
Die BI „Grüner Kiez Pankow“ kritisiert das Bekenntnis der landeseigenen Gesobau zur Natur als Greenwashing. Die wehrt sich gegen den Vorwurf.

Nur ein paar hundert Meter weiter sind Gesobau-MieterInnen alles andere als amüsiert. „Wir halten das Motto angesichts des zerstörerischen Vorgehens der Gesobau in der Stadt für unverfrorenes Greenwashing“, so die Bürgerinitiative Grüner Kiez Pankow, die seit Jahren gegen ein Nachverdichtungsprojekt in den baumbestandenen Höfen ihrer Wohnblöcke kämpft. Auch wenn das Kunstfest laut BI-Sprecherin Britta Krehl „ein schönes Fest“ ist, will die Gruppe das „nicht unwidersprochen stehen lassen“.
An der Ossietzkystraße, an der die umstrittenen Höfe liegen, hat sie für Samstagnachmittag eine Kundgebung geplant. Redebeiträge, Plakate und Musik sollen die BesucherInnen des nahen Festgeländes darauf aufmerksam machen, „dass die Gesobau AG ihren eigenen Nachhaltigkeits-Versprechungen zuwiderhandelt“. Höhepunkt wird ein Flashmob sein, bei dem sich die Teilnehmenden auf die Straße legen, „um die Hitzetoten und die sterbende Stadtnatur zu symbolisieren“.
Apropos Hitze: Mit der von der Gesobau geplanten Fällung des Baumbestands für das umstrittene Bauprojekt erwartet die Initiative den „Komplettverlust der natürlichen Klimaanlage“ in ihrem Wohngebiet. Gerade angesichts immer heißerer Sommer gehe das genau die falsche Richtung.
Seit zwei Jahren schon sind die Bäume eingezäunt und werden rund um die Uhr im Auftrag der Gesobau bewacht – damit sie umgehend gefällt werden können, sobald der Bezirk Pankow dafür die Genehmigung erteilt. Wann das geschieht, ist aber weiterhin offen.
Im vergangenen Jahr konnte die Bügerinitiative mit Unterstützung des BUND, der NaturFreunde Berlin und der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) das Bezirksamt davon überzeugen, dass die artenschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen der Gesobau – etwa neu gepflanzte Büsche als Lebensraum für Vögel – nicht oder noch nicht ihren Zweck erfüllten.
Noch keine Fällgenehmigung
Auch in diesem Jahr hatte die Wohnungsbaugesellschaft zum 1. März – an dem die Brutsaison beginnt, in der Rodungen ausgeschlossen sind – noch keine Fällgenehmigung in der Tasche. Eine Ausnahmegenehmigung innerhalb der Saison, die bis Ende September geht, ist unwahrscheinlich.
Immerhin wollte der Bezirk selbst einen „Klima-Bebauungsplan“ aufstellen, der nur eine reduzierte Bebauung erlaubt hätte. Bis ihm die Zuständigkeit für das Projekt entzogen wurde. Die Gesobau hatte die von ihr geplanten Gebäude zum Geflüchteten-Wohnheim umdefiniert, und das versetzte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in die Lage, die Baugenehmigung am Bezirk vorbei zu erteilen.
Gebe der Bezirk dann im Herbst grünes Licht für die Fällarbeiten, würden die Naturschutzverbände klagen, so Krehl gegenüber der taz. Auch dann sollte es also eigentlich noch nicht zum befürchteten Kettensägenmassaker kommen. Die Bürgerinitiative hofft laut Britte Krehl weiterhin auf Gespräche mit allen Beteiligten, die am Ende in eine Kompromisslösung münden.
Bislang hat die Gesobau allerdings kein Interesse signalisiert, von ihrem Plan abzuweichen. In ihrer Reaktion auf einen offenen Brief der BI wiederholte sie unlängst ihre bekannte Position und erklärte, alle Argumente seien „bereits mehrfach ausgetauscht worden“. Man sehe keinen Gesprächsbedarf, zudem entspreche „der Austausch über ‚offene Briefe‘ nicht unserer Verfahrensweise“.
„Nachhaltigkeit ist nicht nur Ökologie“
Auf Anfrage der taz teilte die Gesobau mit, der Vorwurf des Greenwashings entbehre „jeglicher Grundlage“. Das Thema Nachhaltigkeit, das beim diesjährigen Kunstfest im Mittelpunkt stehe, sei „seit vielen Jahren fest in den Strukturen und Geschäftsprozessen der Gesobau verankert“ und werde „in allen Unternehmensbereichen gelebt“, so Sprecherin Birte Jessen. Sie verwies „zum besseren Verständnis auf die Definition von Nachhaltigkeit“. Die BI verenge den Begriff auf die Ökologie, tatsächlich habe Nachhaltigkeit aber „drei Säulen“, nämlich „Ökologie, Ökonomie und Soziales“.
Auftrag der Gesobau als landeseigene Wohnungsbaugesellschaft sei es, bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, sagte Jessen. Zum Projekt an der Ossietzkystraße teilte sie mit, man habe nach einem Partizipationsverfahren – an dem sich die Bürgerinitiative nicht beteiligt habe – die ursprünglich geplanten rund 180 Wohnungen schon auf 99 reduziert. Die Gesobau befinde sich mit dem Bezirksamt Pankow „derzeit in engem Austausch“ und gehe „anschließend von einem kurzfristigen Baubeginn aus“.
BI-Sprecherin Britta Krehl sagt, die Initiative habe „aus gutem Grund“ nicht am Partizipationsverfahren teilgenommen. Aus Sicht von „Grüner Kiez Pankow“ konnte in dem Verfahren keine Variante diskutiert werden, die dem reduzierten Ausmaß des bezirklichen „Klima-Bebauungsplans“ entsprochen hätte. Laut der Initiative seien bei der Abschlussveranstaltung auch maximal zehn von rund 600 MieterInnen des Komplexes anwesend gewesen.
Unterstützung aus Blankenfelde und Wittenau
Unterstützt wird der „Grüne Kiez Pankow“ am Samstag von zwei anderen Bürgerinitiativen, die sich für Naturräume einsetzen, die aus ihrer Sicht durch den Senat und landeseigene Unternehmen bedroht sind. Die BI Elisabeth-Aue fordert Landschaftsschutz für das gleichnamige Entwicklungsgebiet im Pankower Ortsteil Blankenfelde, wo das Land bis zu 5.000 Wohnungen bauen lassen will. Die Gesobau ist zu 50 Prozent an der Entwicklungsgesellschaft beteiligt.
Derweil kritisiert die „BI zur Erhaltung des Wittenauer Stadtwaldes“ ein ähnliches Projekt im benachbarten Bezirk Reinickendorf: Hier plant die Gesobau mehrere hundert Wohneinheiten auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik – und auch hier soll alter Baumbestand den neue Gebäuden weichen.
Für Michaela Heiler von der Wittenauer BI handelt es sich um hochwertigen ökologischen Lebensraum – „eine Mischwaldfläche mit artenreicher Flora und Fauna“, der einer „landeseigenen Beton-Ideologie mit ökologischem Mindeststandard“ weichen soll. „Aus Rückzugs-Orten werden Wegzieh-Orte“, so Heiler. „Tragfähige Zukunft heißt nicht, die Gegenwart zu zerstören.“
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