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Umstrittener Kyjiwer BürgermeisterKlitschko kontrovers

Vitali Klitschko ist im Clinch mit Präsident Wolodimir Selenski. Doch auch die Menschen in Kyjiw bewerten ihn persönlich sehr unterschiedlich.

Am Bürgermeister Vitali Klitschko scheiden sich die Geister Foto: Valentyn Ogirenko/reuters

E s ist ein offenes Geheimnis, dass Kyjiws Bürgermeister Vitali Klitschko und Präsident Wolodimir Selenski sich nicht grün sind. Im letzten Herbst hatte sich Klitschko auf die Seite von Walerij Saluschnyj, dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, gestellt, als der im Economist von einer Pattsituation im Krieg gesprochen und sich damit Ärger mit Selenski eingehandelt hatte. Und in den letzten Tagen hat sich Klitschko schützend vor kritische Investigativjournalisten gestellt, die zunehmend staatliche Repressionen fürchten.

Doch auch am Bürgermeister Vitali Klitschko scheiden sich die Geister. Dabei geht es allerdings um gänzlich andere Themen. „Ich liebe ihn“, sagt eine Frau, die sich als Sportlehrerin vorstellt, zu zwei anderen, mit denen sie im Kyjiwer Außenbezirk Obolon auf den Bus wartet. „Klitschko baut Brücken, Straßen, verschönert Grünanlagen. Er hat sich sogar gegen die Erhöhung der kommunalen Gebühren ausgesprochen. Er kann nichts dafür, dass die trotzdem erhöht wurden.“ Und gerade für die Belange des Schulsports habe er immer ein offenes Ohr.

Korruption und Kriegswirtschaft

„Ach, das mit dem Bauen ist so eine Sache“, entgegnet ihre Gesprächspartnerin. „Klitschko lässt doch viel zu viel bauen. Bei meiner Tante im Stadtzentrum haben sie gerade die Straße gepflastert. Letztes Jahr auch. Würde mich nicht wundern, wenn sie das nächstes Jahr wieder machen.“ So verschleudere man staatliche Gelder an Bauunternehmen, klagt sie. „Das nennt man Korruption.“

Und überhaupt. Er habe doch versprochen, neue U-Bahn-Stationen zu bauen. „Tatsächlich aber mussten gerade sechs Stationen geschlossen werden, weil schon Wasser von der Decke tropfte. Der Mann mag ein guter Boxer gewesen sein, aber als Bürgermeister sollte man Verwaltungserfahrung haben. Klitschko hat doch von all dem keine Ahnung.“

„Klitschko macht nur Dinge, die prestigeträchtig sind“, wirft Rentnerin Nadja, die dritte Frau, ein. Natürlich seien Sportgeräte in den Parks gut. Aber um das Loch in der Straße vor ihrem Hause habe sich monatelang niemand gekümmert. Nur ein Warnschild habe man aufgestellt. „Wir in den Außenbezirken sind eben nicht so wichtig für unseren Bürgermeister“, meint Nadja. „Und überhaupt“, ergänzt sie noch, „es kann doch nicht sein, dass Klitschko so viele Straßen baut und Parks verschönert. Wir haben Krieg. Mit dem Geld sollte man lieber Drohnen für die Front kaufen.“

Persönliche Finanzhilfe vom Bürgermeister

„Ich mag ihn“, sagt nun wieder die Sportlehrerin. „Als meine Mutter schwer krank war, habe ich ein persönliches Gespräch bei ihm bekommen. Ich habe Klitschko um Hilfe für die Operation gebeten. Er hat mir auch finanzielle Unterstützung zugesagt. Ehrlich gesagt habe ich gedacht, das sagt er nur, um Eindruck zu schinden. Bei dem Gespräch war nämlich auch ein Journalist dabei. Aber nein, zwei Tage später hat mich Klitschkos Mitarbeiter angerufen und wir haben tatsächlich Geld bekommen. Mir gefallen Männer, die Wort halten.“

Sorgenvoll blickt Nadja auf einige Bäume auf der anderen Straßenseite. „Es gibt viel weniger Raben in der Stadt als früher“, sinniert sie. „Und wissen Sie, warum? Weil die vom Grünflächenamt einfach wahllos Bäume fällen. Und je weniger Bäume es gibt, desto weniger Vögel gibt es auch.“

Sie habe sich darüber telefonisch im Büro von Vitali Klitschko beschweren wollen. Doch dort habe man sie nur abgewimmelt und gesagt, der Bürgermeister sei nicht für die Bäume zuständig. Sie solle sich besser an das Grünflächenamt wenden. „Aber ich kann mich doch nicht an genau diejenigen wenden, über die ich mich beschweren will“, schimpft sie.

„Entscheidend ist doch, dass die wichtigen Dinge funktionieren: Die Busse fahren, die Heizung läuft in meiner Wohnung. Strom haben wir auch. Die Regale in den Geschäften sind voll. Was wollen wir mehr?“, resümiert die Sportlehrerin, bevor sie alle drei in den gelben Trolleybus einsteigen.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Worin liegen jetzt genau die Kontroversen? Parkanlagen oder Schlaglöcher? Rabenhilfe oder UBahn-Projekt? Also wenn das alles ist, was an Kiews Bürgermeister in Kriegszeiten Kontroversen auslöst, muss er einen verdammt guten Job machen.

    • @Klaus Kuckuck:

      Die Kyjiver werfen lieben Champion vor, an Korruption in Frage Neubau und Abriss von historischen Gebäuden, illegalen Bauen beteiligt zu sein, von Anfang seiner Bürgermeister Tätigkeit an.

      • @Bricko-Steuer Bricko-Steuer:

        Wenn ich mich über das Grünflächenamt ärgere, bekomme ich auch keine Audienz bei unserem OB. Natürlich beschwere ich mich erst einmal bei der zuständigen Behörde.

  • Vielen Dank, das ist sehr interessant!

    Zwei Dinge werden hier deutlich:

    Erstens ist Klitschko nicht die Lichtgestalt, zu der er in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland von der Union (Symbolbild: apps-cloud.n-tv.de.../750/3kt32739.jpg) aufgebaut wurde.

    Zweitens ist die Pluralität der öffentlichen Meinung in der Ukraine selbst in Kriegszeiten gesund und munter, das Problembewusstsein und die Fähigkeit zu sauberer Problemanalyse ist wohlausgebildet, die Hemmschwelle als Bürger*in (und nicht als Parteimitglied) in den politischen Prozess zu intervenieren ist erfreulich niedrig, und zu allem Überfluss sind die von Selenskiys Vorgänger protegierten Neofaschisten erfolgreich marginalisiert worden. Gerade das eher zufällige Auswählen von "Menschen auf der Straße" erlaubt solche Aussagen.

    Kurz gesagt, das ukranische Volk sind selbst im Krieg noch wackerere Demokrat*innen als das deutsche Volk im Frieden.



    Würde man entsprechende Interviews aktuell in Deutschland durchführen, würde man sicherlich bei mindestens einem Viertel, wenn nicht einem Drittel der Interviewten eine nicht mehr nur oberflächliche oder im Affekt gesagte antidemokratische Einstellung vorfinden, bis hin zum unverhohlenen Wunsch nach "einem starken Führer, der endlich mal so richtig mit dem grünen Dreck aufräumt". In der Ukraine wird man sich mit solchen Meinungen wenig Freunde machen - die Menschen dort wissen, was dieses "Aufräumen" durch einen "starken Führer" bedeutet, denn das haben sie in Kyiws Vororten in aller Deutlichkeit gesehen!

    (Korollar: daher ist es wichtig, beim EU-Beitritt der Ukraine nichts zu überstürzen. Denn die freiheitlich-demokratische Grundbedürfnis der Ukrainer*innen ist viel stärker und robuster als das, was diese von Putinfaschisten unterwanderte EU aktuell liefern kann oder will!



    Die Ukraine muss langsam an die EU herangeführt werden, sonst werden der Kulturschock und die Enttäuschung auf ukrainischer Seite einfach zu groß.)

    • @Ajuga:

      "Kurz gesagt, das ukranische Volk sind selbst im Krieg noch wackerere Demokrat*innen als das deutsche Volk im Frieden."

      Ich finde die Glorifizierung der Urkaine stark befremdlich.

      "Ukraine wird man sich mit solchen Meinungen wenig Freunde machen - "

      Für viele Ukrainer ist übrigens nachwievor Bandera die bedeutendste historische Figur



      ...und ja, da gibt es durchaus Gründe, die man zur Relativierung vornehmen kann, aber ein Beispiel sollte man sich sicherlich nicht an den Urkainern nehmen.

      Die Urkaine ist ein klassisches Hybrid System und die Entwicklung kann noch in beide Richtungen gehen, auch wenn zb sein Biograph Shuster große Skepsis zeigt und das obwohl er Selenski bewundert:

      www.spiegel.de/aus...-9bcd-d785c01a6e1e

    • @Ajuga:

      Naja das sind jetzt aber große Schlussfolgerungen die sie da aus einer kurzen Befragung von genau DREI Personen ziehen.....

    • @Ajuga:

      Chapeau! Treffliche und bedenkenswerte Analyse!