piwik no script img

Umgang mit syrischen FlüchtlingenJugendliche müssen alleinebleiben

Die in der Koalition vereinbarte Härtefallregelung wird offenbar nie umgesetzt. Minderjährige Syrer dürfen damit ihre Eltern nicht nachholen.

Allein auf weiter Flur: Viele aus Syrien geflohene Minderjährige dürfen ihre Eltern nicht nachholen Foto: dpa

Berlin afp | Immer mehr minderjährige Flüchtlinge aus Syrien erhalten hierzulande nur noch sogenannten subsidiären Schutz und dürfen damit nicht ihre Eltern nach Deutschland nachholen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor, über die am Dienstag zuerst das ARD-Hauptstadtstudio berichtete. Eine auf Druck der SPD in der Koalition vereinbarte Härtefallregelung für die Minderjährigen wurde demnach nie umgesetzt.

Während von Januar bis Ende Dezember 2015 demnach 105 minderjährigen syrischen Flüchtlingen der eingeschränkte subsidiäre Schutz erteilt wurde, stieg deren Zahl bis Ende November 2016 auf insgesamt 2263 – obwohl die Gesamtzahl der Flüchtlinge im laufenden Jahr deutlich zurückging. Das teilte die Regierung auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Franziska Brantner hin mit. Für diese Gruppe gilt damit die im vergangenen Februar beschlossene Aussetzung des Anrechts auf Familiennachzug für zwei Jahre.

Heikel ist dies vor allem für die SPD. „Die Humanität hat sich durchgesetzt“, hatte Justizminister Heiko Maas (SPD) damals nach der Einigung auf die Härtefallprüfung verkündet. Auf die Frage nach deren Umsetzung teilte die Bundesregierung jedoch nun mit, dazu lägen „keine Erkenntnisse vor“. Das federführende Auswärtige Amt verwies laut ARD lediglich vage auf „eine Reihe von Einzelfällen“, die nicht statistisch erfasst würden.

„Wenn Regierungsverantwortliche großmundig Härtefallverfahren ankündigen und dann monatelang nichts Entsprechendes kommt, untergräbt dies das Vertrauen nicht nur der direkt Betroffenen sondern auch der professionellen und ehrenamtlichen Unterstützer in die Politik“, erklärte dazu Brantner gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. „Rechtsstaat bedeutet, dass es klare und transparente Verfahren gibt“, mahnte die Grünen-Politikerin.

„Organisiertes Scheitern von Integration“

Das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht in der Vorgehensweise der Regierung einen klaren Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention. „Wenn ein Kind von seinen Eltern getrennt ist, besteht eine zwingende völkerrechtliche Verpflichtung, die Zusammenführung zu ermöglichen“, zitierte die ARD die DIM-Mitarbeiterin Ute Sonnenberg. Hier gebe es für die Behörden „einen Ermessensspielraum von Null“.

Scharfe Kritik kam auch von den Kirchen. „Wer traumatisierte Kinder in einer Welt von ausschließlich jungen Männern aufwachsen lässt, schafft genau die Probleme, vor der sich die Gesellschaft verständlicherweise fürchtet“, warf Diakonie-Präsident Ulrich Lilie im Portal „tagesschau.de“ Union und SPD vor. Dies sei „das organisierte Scheitern von Integration“. Von „Pingpong auf dem Rücken von jungen Flüchtlingen“ sprach die Fachbereichsleiterin der Caritas im Erzbistum Berlin, Christina Busch.

Neben den Minderjährigen erhielten auch erwachsene Syrer im zurückliegenden Jahr immer häufiger nur noch den subsidiären Schutzstatus und dürfen damit vorerst keine Familienangehörigen nachholen. Zuvor hatten fast alle Syrer den besseren Status von Flüchtlingen gemäß der Genfer UN-Flüchtlingskonvention erhalten.

Einige Betroffene klagen inzwischen vor Gericht auf den höheren Schutzstatus und damit das Recht auf Familiennachzug. Auch Vormünder betroffener Minderjähriger setzen laut ARD inzwischen auf Klagen vor den Verwaltungsgerichten, da die Härtefallregelung offensichtlich nicht funktioniere.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • „Organisiertes Scheitern von Integration“

     

    Besser kann man es nicht ausdrücken. Junge Menschen von ihren sozialen Bindungen dauerhaft abzuschneiden, erleichtert es Extremisten, sich als neue "Familie" anzubiedern. Man fragt sich, was dümmer ist, dieser Umgang mit Jugendlichen oder die Idee, jungen Männern zu verbieten, ihre Familien nachzuholen und dich dann zu beschweren, dass sich unter den Asylsuchenden zu viele junge Männer ohne Anhang befinden.

    • 3G
      36855 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Was ich nicht verstehe, als Mutter von 3 Kindern, wie ist es zu verantworten, einen von ihnen auf eine solch gefährliche Reise zu schicken?

      Einen als Hoffnungsträger zu opfern?

      Mir fehlt dafür jegliches Verständnis.

      Das würde ich keinem meiner Kinder jemals antun. Das ist in meinen Augen zutiefst unmenschlich.

      • @36855 (Profil gelöscht):

        als Mutter von acht Kindern - die wenig zu Essen und in der Heimat keine Perspektive haben - würden Sie das eventuell anders sehen.

      • @36855 (Profil gelöscht):

        Na die 3-jährigen werden ja auch nicht geschickt. Meist sind es Jugendliche, die gelernt haben, sich durchzuschlagen. Und was heißt, einen Hoffnungsträger opfern? Die Meisten kommen ja durch und in einer hoffnungslosen Situation wird die Person geschickt, die die besten Chancen hat. Keinen zu schicken ist häufig noch gefährlicher. Die Familien in den Kriegsgebieten müssen Entscheidungen treffen, die wir uns hier nicht vorstellen können.

  • Diesen Familiennachzug kann ich nicht unterstützen.