Umgang mit rechten Thinktanks: Die Extrameilen
Rechte Thinktanks wie das Institut für Staatspolitik haben erfolgreiche Strategien für die AfD entwickelt. Sie müssten viel ernster genommen werden.
I n der deutschen Berichterstattung über das Umfeld des neurechten Verlegers Götz Kubitschek entsteht bisweilen der Eindruck, es handle sich um einen Kreis verwirrter Hochstapler. Zuletzt sprach etwa die Spiegel-Redakteurin Ann-Kathrin Müller schmunzelnd von „ganz viel pseudointellektuellem Gerede“, das aus dem sachsen-anhaltinischen Schnellroda zu vernehmen sei. Eine solche Verharmlosung des inzwischen formal aufgelösten Instituts für Staatspolitik verkennt jedoch dessen Bedeutung für die radikale Rechte und führt zu einer gefährlichen Unterschätzung der organisierten Gegner der liberalen Demokratie.
Neben dem EU-Spitzenkandidaten der AfD Maximilian Krah und der Bundessprecherin der Partei Alice Weidel sind die Protagonisten der Wahlerfolge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Christoph Berndt, gern gesehene Gäste in der ostdeutschen „Denkfabrik“. Was erwartet sich die Führungsriege der AfD von diesem Austausch? Womit werden die Politiker hier ausgestattet? Und warum „braucht die AfD diese Impulse“ (Berndt)?
Neben der Vernetzung zwischen Partei und ihrem intellektuellen Vorfeld dienen Akademien, Publikationen und Podcasts der Vermittlung strategischer und ideeller Konzepte. Das Arsenal reicht von Social Media-Handreichungen für ein „Tik-Tok von rechts“, das die Popularität rechtsradikaler Ideen unter Jugendlichen steigern soll, über die Entwicklung eines „Remigrations„konzepts, mit dem die AfD ihre drei Wahlkämpfe im Osten bestritt, bis zur theoretischen „Gegneranalyse“, das heißt der „ausschlachtenden“ Lektüre linker Texte.
Blickrichtung links
Die neurechte „Diskurspiraterie“ ist allerdings keineswegs Ausdruck intellektueller Verwirrung, sondern politisches Kalkül, das sich auszahlt. Prominentes Beispiel ist die Arbeit des Politikwissenschaftlers Benedikt Kaiser, der neben Kubitschek als „intellektueller Taktgeber“ der Szene gilt. Sein Ziel: Theorien der Gegenseite zu „zergliedern“, „von den Erkenntnissen des „Gegners“ zu lernen“ und darauf aufbauend mit eigenen Theorien die „Lufthoheit über die Köpfe“ (Karlheinz Weißmann) zu erobern. Der gebürtige Chemnitzer entstammt ursprünglich dem Neonazimilieu und arbeitete fast ein Jahrzehnt als Lektor und Redakteur für die „Sezession“, der Hauszeitschrift des Instituts für Staatspolitik. Heute sitzt Kaiser nicht mehr in Schnellroda, sondern in Berlin: als Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Jürgen Pohl im Deutschen Bundestag.
Aber nicht nur er selbst hat den Weg ins Herz des bundesdeutschen Parlamentarismus geschafft, auch seine Ideen und Begriffe werden im antiliberalen Diskurs breit rezipiert und zeigen Wirkung. Ausgangspunkt sind häufig Begriffe, die die Mehrheit eigentlich als „linke“ Signalworte kennt: Entfremdung, Kommodifizierung des Lebens, Solidarität. Seine Bücher heißen entsprechend: „Blick nach Links“, „Marx von Rechts“ und „Querfront“. Damit folgt er der Strategie seiner neurechten Säulenheiligen Alain de Benoist, Dominique Venner und Henning Eichberg, linke Lektüre im rechten Kampf um „kulturelle Hegemonie“ fruchtbar zu machen. Dabei gehe es um die „Veränderung des Alltagsverstands der Menschen im vorpolitischen, kulturellen, medialen Raum für eine wirkliche Umgestaltung der Realität“. Das sei wichtiger als „ein, zwei Prozentpunkte mehr im parlamentarischen Raum“, so Kaiser.
Konfusion als rechte Chance
Doch Kaiser bleibt bei der selektiven Lektüre der „Gegenseite“ nicht stehen. Er möchte der „Intellektuellenfeindschaft“, die er als das „Grundproblem des patriotischen Lagers“ ansieht, entgegentreten. Der auf Emotionen setzende Rechtspopulismus „gegen Merkel“, „gegen die Ampel“ und „gegen den Heizungshammer“, den er von Hans Georg Maaßen über Julian Reichelt bis hin zu AfD-Politikern vertreten sieht, müsse komplementär ergänzt werden durch eine praxisorientierte, „prononciert rechte Theoriearbeit“.
Bei dem Versuch der Umsetzung dieses Vorhabens entstehen vor allem eklektische Denkfiguren wie die des „solidarischen Patriotismus“. Der Begriff war bei der Veröffentlichung seines gleichnamigen Buches zwar weder neu, noch liefert er darin ein ausgearbeitetes Konzept. Dennoch enthält es die notwendigen Begriffe und ideologischen Versatzstücke für eine im Rahmen des Sagbaren vertretbare Politik der Ethnoökonomie. So beschreibt er eine „relativ ethnisch homogene“ und „relativ sozial homogene“ Bevölkerung als die Basis für ein funktionierendes Miteinander. Er fordert, „Arbeit (zu) entlohnen und (zu) würdigen, nicht Spekulation“, da die „Verpflichtung fürs Ganze“ über dem Einzelnen stehe. Indem er das Bild eines schlechten Kapitalismus auf der einen und einer guten Marktwirtschaft auf der anderen Seite zeichnet, streift er ferner die antisemitisch konnotierte Dichotomisierung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital. Statt einer sozial und ethnisch diversen Gesellschaft steht am Ende das Ziel einer homogenen Gemeinschaft.
Da diffus bleibt, was „relativ“ ethnisch homogen nun konkret bedeutet, vernebelt Kaiser die Angriffsfläche für den Vorwurf, eine nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ anzustreben. Gleichzeitig bewahrt er aber unter Bezug auf Otto Strasser, Carl Schmitt und Hans Zehrer die Radikalität im Kampf gegen westliche „Dekadenz“. Björn Höcke formulierte erklärtermaßen nach diesen Grundsätzen das Thüringer Rentenpapier der AfD-Fraktion.
Die Infiltration des Alltags
Wie man diese Ideologeme nun unter die Leute bringt, auch darauf hält Schnellroda für seine Aktivisten eine Antwort parat. Unter der Vorstellung eines metapolitischen Raums, den es sprachlich und ideologisch zu besetzen gelte, werden die Sozialen Medien mit rechtem Material geflutet. Ob mit einem von künstlicher Intelligenz generierten „Abschiebelied“ samt Musikvideo, mit zusammengefügten Clips gewalttätiger Migranten als rechter Spin des Talahon-Trends, oder mit Reel-gerecht geschnittenen Videos von AfD-Politikern, die in Talkshows Vertreter der sog. Kartellparteien und -presse vermeintlich „in die Schranken weisen“: Auf YouTube, Instagram und Twitter sollen die Nutzer über Algorithmen in das Rabbit Hole eines bedrohlichen Krisenzustands hineingeführt werden – gepaart mit dem Angebot einer radikalen Antwort.
Bedeutung des Instituts für die AfD ist enorm
Indem die Urheber ihre Videos den jeweiligen Sehgewohnheiten auf den Apps anpassen, forcieren sie maximale Klickzahlen. Die genaue Anleitung dafür, also wie lang, wie viele Schnitte und welche musikalische Untermalung ein Video bestenfalls haben sollte, lieferte letztes Jahr der rechtsextreme Influencer Erik Ahrens auf der „Sommerakademie“ des Instituts für Staatspolitik. Es ist genau dieser Eingriff in die Populärkultur, den Kaiser fordert, um eine „implizite Ideologisierung“ (Benoist) des Bürgers zu erreichen. Wie wirksam diese bereits jetzt ist, zeigen die aktuellen Zuspruchswerte für die AfD unter Jugendlichen, der Kernnutzergruppe dieser Medien.
Ob also durch die Analyse des politischen Gegners, eigene Theoriebildung oder mit Beiträgen zur Politisierung potenzieller Wählerkreise auf den Social-Media-Plattformen, die Bedeutung des Instituts für Staatspolitik und seiner Nachfolgeorganisationen für die AfD ist enorm.
Daher verwundert es kaum, dass die Partei den Kontakt zur ostdeutschen „Denkfabrik“ immer stärker sucht. Durch die Mehrarbeit, die man unter anderem in Schnellroda als „rechter Outlaw“ habe leisten müssen, sei die Szene Kaiser zufolge in eine Position gekommen, die es ermöglicht, die Partei und ihren gemäßigten „Parlamentspatriotismus“ immer weiter „voranzutreiben“. Dass die AfD sich seit ihrer Gründung gemäß der Impulse ihres rechtsintellektuellen Vorfelds kontinuierlich radikalisiert und dabei gleichzeitig erfolgreicher wird, kann durchaus als Ergebnis dessen angesehen werden, was Kaiser die neurechte „Extrameile“ nennt.
Was bedeutet das für die intellektuelle und politische Auseinandersetzung? Klar ist: Die strategisch-ideelle Arbeit von Kubitschek, Kaiser und Co. kann angesichts ihrer Erfolge nicht einfach als Hochstapelei abgetan werden. Die liberale Antwort muss mindestens mit einer nüchternen Analyse aufwarten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Rekordergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen im Osten. Denn so redlich die Motive dahinter auch sein mögen: Zu schmunzeln, wenn der Gegner stärker wird und den Weg der intellektuellen Auseinandersetzung zu meiden, hat auf lange Sicht die gleichen Folgen, wie auf die Extrameile seines Konkurrenten mit einer Abkürzung zu reagieren. Wohlgemerkt auf unbekanntem Terrain.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels