Umgang mit Verletzungen: Aufgegeben, den Sport aufzugeben
Krass dicke Knie, verknackte Knöchel, gebrochene Handgelenke und vieles mehr. Na und? Verletzungen gehören einfach zum Sport dazu. Weiter geht's!
D as erste Mal, als ich mich beim Sport verletzte, war mit 21. Ich hatte gerade mein Studium beendet und wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Im Sommer war ich im Westen der Türkei campen. Ein verlauster Welpe, der frei auf dem idyllischen Bergcampingplatz herumstreunte, heftete sich an mich. Und weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, heftete ich mich auch an ihn. Ich würde ihn retten, sagte ich mir, und nahm ihn mit.
Zurück in Istanbul wurde er innerhalb weniger Wochen doppelt so groß. Auch ich hatte große Pläne für ihn und las Bücher über Hundepsychologie. An einem heißen Septemberabend ging ich zu einem Kleinfeld-Fußballspiel. Ich war nie ein guter Fußballer, aber ich genoss diese wöchentlichen Spiele mit Freunden, weil sie damals die einzige Konstante waren. Wir trugen alle Man-United-Trikots, und ich war Patrice Evra, obwohl mein linker Fuß völlig unbrauchbar war. Das andere Team war Barcelona. Wir spielten wohl das Champions-League-Finale.
Ich erinnere mich nicht mehr an den Spielverlauf, nur noch an das Geräusch, das ich hörte, als ich versuchte, den Ball zu klären. Wie ein satter Peitschenhieb, knallte es über den Platz. Es war mein Kreuzband. Ohne Kontakt war es gerissen. Ich saß am Spielfeldrand und sah zu, wie mein Knie, genau wie der Welpe, doppelt so groß wurde.
Ich ging spät in der Nacht nach Hause und der Hund begrüßte mich mit Gebell. Unzufrieden, dass ihn niemand ausgeführt hatte, hatte er auf den Teppich gekackt. Die nächsten Monate waren die Hölle: Ich hatte eine Operation, die Physiotherapie war anstrengend, der Hund war immer da, bellte mich an, leckte manchmal meine Verbände. Ich lag auf dem Sofa, unfähig, mich zu bewegen. Ich hatte aufgehört, über Hundepsychologie zu lesen, und hatte keine Freunde mehr, die mir mit dem Tier halfen. Es war nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte. Ich musste etwas ändern und versprach: Nie wieder ein Tier aus egoistischen Gründen adoptieren.
Und noch eine Operation
Nie wieder Fußball spielen. Das Versprechen hielt für ein paar Jahre. Dann zog ich nach Deutschland und fing an, für den taz Panter FC zu spielen. Das erste Spiel: 0:7 nach 45 Minuten. Dann, wenige Sekunden nach Beginn der zweiten Halbzeit, brach ich ohne Kontakt auf dem Kunstrasen zusammen. Bänderriss. Wieder sechs Monate Schiene und Bewegungslosigkeit. Kein Fußball mehr. Ich verspreche, ich werde brav sein.
Ich fange an, wöchentlich Basketball zu spielen. Verknacke mir jedes zweite Spiel den Knöchel. Kehre zum Fußball zurück, breche mir das Handgelenk bei einem seltsamen Tackling, bei dem ein großer Typ auf mich fällt. „Handverletzungen beim Fußball sind häufiger, als du denkst“, sagt jemand. Noch eine Operation. Noch ein Grund aufzuhören. Dann kommt die nächste Saison. Ich kann nicht aufhören. Ich habe ein Problem. Ich habe wieder Knieschmerzen. Der Arzt sagt, es sei ein kleiner Riss im Meniskus. „Zu klein, um zu operieren. Komm wieder, wenn der Riss größer ist.“ Großartig, also soll ich einfach weiter Fußball spielen?
Ich spiele zaghaft, wärme mich immer auf und gehe nie in harte Zweikämpfe. Leute sagen mir, ich sollte mit Kontaktsportarten aufhören, kein Fußball, kein Basketball. Früher habe ich ein bisschen Tennis gespielt. Warum nicht wieder? Ich trete einem Klub bei und spiele mindestens zweimal die Woche. Ich nehme sogar an einem Turnier teil. Alles läuft gut. Bis ich mir den Finger verletze, als ich jemandem beim Umzug helfe – irgendwas mit der Kapsel. Ich spiele weiter Tennis. Mache Urlaub, bin dort täglich auf den kostenlosen Plätzen, bis ich eines Tages auf meine Hand schaue und sehe, dass mein Finger völlig schief und geschwollen ist. Er hat die Haltung, die er beim Fassen des Schlägers hat, angenommen.
Die Physiotherapeutin sagte, sie habe noch nie einen so krummen Finger gesehen. Ich trage eine Schiene, aber ich brauche wohl noch eine Operation. Nach Dutzenden Sportverletzungen habe ich die Idee aufgegeben, mit dem Sport aufzuhören. Verletzungen sind nichts, was man vermeiden kann, sondern etwas, womit man umgehen muss. Es gehört zum Sport wie Tiere zum menschlichen Leben. Ich habe jetzt eine Katze, die es liebt, von meinem krummen Finger gekrault zu werden.
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