Umgang mit Musikschul-LehrerInnen: Schräge Töne aus Kreuzberg
Honorarkräfte einer Musikschule sollen in Zukunft auf ein coronabedingtes Ausfallhonorar verzichten. 80 Prozent der Lehrenden wären betroffen.
Sollte wegen Corona kein Präsenzunterricht möglich sein und auch kein Online-Angebot zustande kommen, „wird grundsätzlich kein Honorar oder Ausfallhonorar fällig“, so der angestrebte Pandemiemodus.
Von allen städtischen Musikschulen ist die in Friedrichshain-Kreuzberg die einzige, die eine derartige Neuverhandlung bestehender Verträge gefordert hat. Betroffen sind nur die nicht fest angestellten Honorarkräfte, allerdings sind das um die 80 Prozent der Lehrenden insgesamt.
Das Lehrerkollegium der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg hat sich nun in einer Presseerklärung hinter die betroffenen Kollegen und Kolleginnen gestellt und „fordert die sofortige Rücknahme des entsprechenden Passus in den Einzelaufträgen“.
Einem Schreiben von Torsten Wöhlert, Staatssekretär der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, ist zu entnehmen, dass wohl auch weitere Bezirke als Träger ihrer Musikschulen mit dem Gedanken spielen, sich im Coronafall gegenüber den Honorarkräften auf deren Kosten finanziell abzusichern. Umgesetzt hat diesen Plan letztlich nur der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Wöhlerts Schreiben, das der taz vorliegt, ist ein eindeutiger Appell an die Bezirke, auf eine Neufassung bestehender Verträge mit Musikschul-Honorarkräften zu verzichten. Rechtlich sei eine solche nicht opportun und moralisch schon gleich gar nicht. Er verweist auch darauf, dass in den letzten Koalitionsvereinbarungen beschlossen wurde, Honorarkräfte an Musikschulen besser und nicht schlechter zu stellen.
Rechtlich diffizil
Der Rechtsanwalt Michael Mai, der den Fall für den Musikschullehrer Rainer Brennecke geprüft hat, sagt, wie sich hier ein Bezirk gegen die ausdrücklichen Empfehlungen des Senats richte, sei „einzigartig“. Von einer Klage gegen seinen Arbeitgeber habe er seinem Mandanten dennoch abgeraten. Rechtlich sei der Fall „diffizil“ und „nicht eindeutig“, doch „auch wenn sich der Bezirk verwaltungsrechtswidrig verhält, können sich die Lehrkräfte nicht im Zivilrecht darauf berufen und den Vertrag anpassen lassen“, so Mai.
Andreas Köhn von der Gewerkschaft Verdi hat den Honorarkräften der Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg geraten, das an sie geschickte Schreiben in abgeänderter Form zurückzuschicken. Und zwar in eine, die keine Schlechterstellung im Arbeitsverhältnis zur Folge habe. Er sagt, der Bezirk wünsche sich von den Honorarkräften eine „erpresste Zustimmung“. Er vermutet Streitigkeiten zwischen Bezirk und Senat, wer letztlich für die Mehrkosten im Falle von pandemiebedingten Unterrichtsausfällen aufzukommen habe.
Seine Einschätzung: „Letztlich erfolgt hier eine finanziell bestimmte Auseinandersetzung zwischen dem Bezirksamt und dem Senat auf dem Rücken der Honorarlehrkräfte.“ Und er vergisst auch nicht, darauf hinzuweisen, dass Berlin mit seinen 80 Prozent Honorarkräften an den Musikschulen Schlusslicht aller Bundesländer darin sei, Lehrkräfte in Festanstellungen zu bringen.
Seit 35 Jahren Musikschullehrer
Rainer Brennecke ist seit 35 Jahren Musikschullehrer in Friedrichshain-Kreuzberg und nun einer von vielen, die sich dazu entschlossen haben, das Beauftragungsschreiben vorerst nicht zurückzuschicken. Er spricht von einem „hinterhältigen Taschenspielertrick“, der an ihm und seinen Kollegen und Kolleginnen versucht worden sei, und sagt, er sei ziemlich schockiert über den schlechten Umgang mit Musikschullehrern. Seinem Arbeitgeber und dem Bezirk habe er nun einen langen, persönlichen Brief geschrieben.
Inzwischen wurde sich seitens des Bezirks noch einmal in einer Mail in dieser Woche an die Musikschullehrkräfte gewandt. Darin wurde das eigene Vorgehen allerdings nur noch einmal bekräftigt. Gehofft werde freilich, so steht es am Ende der Mail, dass die Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer „der Musikschule als Honorarkräfte verbunden bleiben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation