Umgang mit AfD an Schulen: Storch soll Abflug machen
Vor jeder Wahl müssen sich Schulen überlegen: Laden wir die AfD zu einer Podiumsdiskussion ein? An einem Berliner Gymnasium kam es zu Protesten.
Neben den Schüler:innen sind auch Eltern, Großeltern und Freund:innen gekommen, um gegen die Normalisierung der AfD zu protestieren – vor allem an einer Schule, deren Namensgeber:innen von den Nazis ermordet wurden. „Deshalb müssen wir gegen den Auftritt von von Storch protestieren“, ruft die Elftklässlerin Leni in die Menge.
Mit jeder Wahl stellt sich für Schulen aufs Neue die Frage: Wie umgehen mit der AfD? Die Ministerien machen hierzu keine Vorgaben. Sie begründen das mit dem in den Schulgesetzen festgeschriebenen Gleichheitsgebot. Solange die AfD nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten werde, könne die Partei nicht pauschal von Schulveranstaltungen ausgeschlossen werden, heißt es dazu beispielsweise aus Sachsen.
So sieht es auch der Berliner Senat. Auf taz-Anfrage teilt ein Sprecher mit: „Schulen sind im Rahmen ihres demokratischen Bildungsauftrags verpflichtet, den Schülerinnen und Schülern ein breites Spektrum politischer Standpunkte zu vermitteln, ohne eine Partei zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“
Unsicherheit groß
Sabine Achour von der Freien Universität Berlin sieht darin ein bildungspolitisches Versagen: „Viele Schulen wünschen sich klare Vorgaben, wann sie die AfD zu Veranstaltungen einladen und wann nicht“, sagt die Politikwissenschaftlerin der taz. Aber anstatt hier juristisch wasserfeste Guidelines zu erarbeiten, drückten sich die Ministerien vor einer klaren Positionierung. Achour gehört zu denjenigen, die die AfD nicht zu Podiumsdiskussion an Schulen einladen würden. „Stellen Sie sich vor, Schüler:innen begegnen Politiker:innen, die genau diese Jugendlichen 'remigrieren’ möchten.“ Für genau diese Schüler:innen hätten die Schulen eine Fürsorgepflicht.
Wie es gelingen kann, mit solchen Situationen umzugehen, weiß der Kölner Lehrer für Sozialwissenschaften Ingo Arntz. Vor Europa- und Bundestagswahlen wurden an seiner Schule in der Vergangenheit schon mehrfach AfD-Abgeordnete eingeladen. Es brauche dabei aber klar kommunizierte Grenzen: „Bei menschenfeindlichen oder rassistischen Äußerungen kann jede Schule das Hausrecht geltend machen und das sofortige Verlassen der Schule veranlassen“, so Arntz. Um seine Schüler:innen macht sich der Lehrer ohnehin nicht zu große Sorgen: Etwa die Hälfte habe Migrationshintergrund, viele Jugendliche an dem Gymnasium seien eher links eingestellt. „Da macht die AfD keinen Stich.“
Arntz könne zwar sehr gut nachvollziehen, dass Schüler:innen und Lehrkräfte die AfD nicht an der Schule haben wollen. Trotzdem hält er unmittelbare Auseinandersetzung mit der AfD für wichtig – auch, damit sich die Partei nicht sofort in die Opferrolle begeben könne.
In diesem Jahr allerdings fällt die Podiumsdiskussion mit Parteienvertreter:innen aus – wie schon vor der Europawahl im vergangenen Jahr. Das liegt an einem De-facto-Verbot für Wahlveranstaltungen an Schulen, das in Nordrhein-Westfalen wie in anderen Bundesländern in den letzten sechs Wochen vor der jeweiligen Wahl gilt. Im Januar erinnerte das Schulministerium von Dorothee Feller (CDU) in einem Schreiben daran, dass die 6-Wochen-Frist auch trotz der Kurzfristigkeit der anstehenden Bundestagswahlen gelte.
Kritik an 6-Wochen-Frist
Bei Lehrer Arntz stößt das auf Unverständnis. „In dieser Woche beispielsweise finden an unserer Schule U18-Wahlen statt, am Freitag zählen wir die Stimmen aus.“ Eine Podiumsdiskussion mit Direktkandidat:innen aus Köln wäre hier eine optimale Ergänzung gewesen. Er sehe „keinen rationalen Grund“ für die 6-Wochen-Frist. Eine Podiumsdiskussion zwei Monate vor der Wahl ergebe wenig Sinn: „Da gibt es in der Regel auch noch keine Wahlprogramme, mit denen sich die Schüler:innen vorbereiten können.“
Das Ministerium in Düsseldorf verweist auf die Grundsätze schulischer Neutralität und Unparteilichkeit, die es kurz vor Wahlen besonders einzuhalten gelte – und stößt damit auf Kritik. Die oppositionelle FDP beispielsweise kritisiert, dass die politische Bildung so auf der Strecke bliebe – und politische Debatten noch stärker in die sozialen Medien verlagert würden.
Mittlerweile hat das Ministerium offenbar seine Haltung überdacht. Auf taz-Anfrage betont ein Ministeriumssprecher, dass Schulen auch in den sechs Wochen vor der Wahl Podiumsdiskussionen veranstalten dürften, wenn sie dabei „besonders sensibel“ vorgehen und die „Chancengleichheit der Parteien“ wahrten. Für viele Schulen kommt diese Klarstellung zu spät – sie haben die geplanten Panels verworfen oder abgesagt.
Die Politikwissenschaftlerin Achour sieht in dem Hin und Her eine „Kapitulation“. Aus ihrer Sicht haben die Ministerien das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses als Neutralitätsgebot komplett missverstanden. Der Konsens definiert Grundregeln der politischen Bildung. „In der Zeit vor Wahlen finden noch die meisten Angebote für politische Bildung an Schulen statt – da gehört die Konfrontation mit den Parteien und ihren Wahlversprechen doch unbedingt dazu“, sagt Achour.
Schüler:innen ernst nehmen
Zudem wünschten sich viele Schüler:innen solche Podiumsdiskussionen und übernähmen auch gerne die Organisation und Vorbereitung. Wenn dieses Interesse so von oben ausgebremst werde, sei das auch „eine Entmündigung“ der Jugendlichen. Achour appelliert seit Jahren an die Politik, die junge Generation ernster zu nehmen – und Schulen zu Orten gelebter Demokratie zu machen.
Wie wenig das auch an dem Berliner Coppi-Gymnasium der Fall war, berichten Schüler:innen der taz: So habe es zwar eine Abstimmung darüber gegeben, ob von Storch zur Podiumsdiskussion erscheinen solle, erzählt der Elftklässler Kilian. Das Ergebnis hätten die Schüler:innen jedoch nicht erfahren. „Die Abstimmung war dann wohl egal“, vermutet er.
Ihr Ziel, dass die Schulleitung von Storch auslädt, haben die Protestierenden zwar nicht erreicht. Die Anwesenden zollen den Schüler:innen für ihren Protest aber dennoch Respekt. Als die Schüler:innen für die Podiumsdiskussion ins Gebäude verschwinden, erhalten sie donnernden Applaus.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau