Umbruch in Krankenversicherung: Erste Kassen verlangen Zusatzbeitrag
Die ersten gesetzlichen Krankenkassen haben Zusatzbeiträge angekündigt, darunter die DAK mit rund 4,5 Millionen Mitgliedern. Weitere werden folgen.
Mehrere Millionen gesetzlich Versicherter werden bald monatliche Zusatzbeiträge an ihre Krankenkassen zahlen müssen. Die DAK kündigte am Montag in Berlin an, sie werde voraussichtlich bereits ab Februar je 8 Euro von ihren mehr als 4,6 Millionen Mitgliedern einfordern. Gemeinsam mit dem Branchenriesen erklärten weitere Kassen, sie kämen um Zusatzbeiträge noch in diesem Quartal nicht herum. Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass spätestens 2011 alle rund 200 gesetzlichen Kassen Sonderzahlungen einführen werden.
Neben der DAK kündigte die BKK an, sie werde kommende Woche bekanntgeben, ab wann sie einen Zusatzbeitrag erheben will und wie hoch dieser sein soll. Die KKH Allianz erklärte, "im Laufe des ersten Halbjahres" Pauschalbeiträge einzufordern. Auf derselben Veranstaltung bestätigte die BKK Gesundheit, ab Februar oder März pauschal 8 Euro von ihren Mitgliedern einzusammeln, ähnlich die AOK Schleswig-Holstein. Die BKK Westfalen-Lippe sieht sich sogar gezwungen, ab Februar mehr als den Pauschalbetrag von 8 Euro zu verlangen. Der DAK-Vorstandsvorsitzende Herbert Rebscher sagte, hinter ihnen "stehen viele, viele Kassen, die diesen Schritt in den kommenden Wochen" ebenfalls gehen werden.
Seit 2009 dürfen Krankenkassen Zusatzbeiträge einfordern, wenn sie mit ihren Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Bislang hatten jedoch nur zwei kleine Kassen davon Gebrauch gemacht, weil die Pauschalen als großer Wettbewerbsnachteil gelten. Am einfachsten ist es für die Kassen, pauschal Beträge bis zu 8 Euro zu verlangen. Sie dürfen auch bis zu 1 Prozent vom beitragspflichtigen Bruttoeinkommen eines Mitglieds verlangen, also derzeit 37,50 Euro pro Monat. Letzteres bedeutet jedoch hohen Verwaltungsaufwand.
Die Kassenmitglieder dürfen kurzfristig die Kasse wechseln, wenn diese einen Zusatzbeitrag erstmals verlangt oder erhöht. Davon riet Wolfram-Arnim Candidus von der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) jedoch ab. Sein Rat: "Bitte nicht ad hoc die Kasse wechseln, sondern bleiben, wo Sie sind." Wenn andere Kassen später Zusatzbeiträge einführten, könnten diese höher ausfallen als die nun verkündeten.
Die Kassenchefs gehen davon aus, dass bald alle Konkurrenten Extrabeiträge einfordern müssen. Die gesetzliche Krankenversicherung muss 2010 - trotz einer Milliardenspritze des Bundes - ein Minus von 3,9 Milliarden Euro verkraften. Rechnerisch, so Dieter Paffrath von der AOK Schleswig-Holstein, bedeute dies für jedes Kassenmitglied knapp 7 Euro pro Monat extra.
Die Gesundheitsexpertin der Grünen, Birgitt Bender, fürchtet: "Zusatzbeiträge werden insbesondere Geringverdienende überdurchschnittlich belasten. Besonders hart wird es ALG-II-EmpfängerInnen treffen."
Gesundheitsexpertin Martina Bunge von der Linken kritisiert, bisher sei "nicht erkennbar", dass die Regierung die Begrenzung der Ausgaben angehe.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn