Umbau Unter den Linden: Besser noch mal neu denken
2016 von Rot-Rot-Grün versprochen, aber bis heute nicht eingelöst: Berlins „Prachtboulevard“ wird nun doch keine Fußgängerzone.
V iereinhalb Jahre ist es nun her, da stimmte ein Punkt in den damaligen Koalitionsverhandlungen einen Kollegen in unserer Redaktion geradezu euphorisch: „Weiter so, avanti, avanti, Rot-Rot-Grün!“, schrieb er über die Ankündigung, die Straße Unter den Linden autofrei zu machen. Und der Kollege träumte sogar gleich weiter: von einer autofreien Straße des 17. Juni als „Gegenstück zum New Yorker Central Park mit freier Fahrt für Inlineskater“.
Der Rückblick ins Archiv soll zeigen, dass die Idee, die dann auch in der Koalitionsvereinbarung landete („Das Umfeld des Humboldt-Forums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet. Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes.“) eine Menge Fans fand. „Cool, die trauen sich ja was“, dachten viele.
Es wäre ja auch zu schön gewesen. Bis auf Weiteres wird das Wort von der „Flaniermeile“ bestenfalls eine Anmaßung bleiben. Wer flaniert schon über den Mittelstreifen einer Verkehrsschneise, selbst wenn der, wie in diesem Fall, ein bisschen breiter ist? So etwas funktioniert auch jenseits von Unter den Linden nicht. Man denke an die zigmal umgestaltete Tauentzienstraße, in deren Mitte sich auch niemand länger als nötig freiwillig aufhält.
Irgendwie fanden dann die Verkehrsplaner in der Senatsverkehrsverwaltung von Regine Günther (Grüne) den kühnen Plan, jeglichen MIV („motorisierten Individualverkehr“) von der einstigen Prachtstraße zu verbannen, doch nicht umsetzbar. Jetzt soll erst mal eine Dreiteilung her: Eine Spur für Fahrräder, eine für Busse, eine für Autos.
Warum noch Busse?
Das ist in jedem Fall besser als der Status quo. Warum allerdings die Busse nach Inbetriebnahme der U5 weiter über die Linden rollen müssen, erschließt sich aus verkehrspolitischer Sicht keineswegs – wahrscheinlich hat das Argument, TouristInnen liebten die Fahrt mit dem 100er so sehr, besonderes Gewicht. Aber reicht das als Grund?
Unterm Strich hat der Senat in dieser Hinsicht einfach falsche Versprechungen gemacht. Mal sehen, ob nach dem angekündigten Beteiligungsformat („Stadtdebatte“) irgendwann doch noch mehr rauszuholen ist. Es sollte am besten gleich die Form eines schlüssigen Gesamtkonzepts für die gesamte Friedrichstadt haben. Denn auch beim Verkehrsversuch der autofreien Friedrichstraße, wo sich das entspannte Flanieren überdeutlich mit dem Quasi-Radschnellweg beißt, wird am Ende wohl herauskommen: besser noch mal neu denken.
Kurz nach Redaktionsschluss dieses Kommentars erreichte uns noch eine Stellungnahme der Senatsverkehrsverwaltung. Darin betont Sprecher Jan Thomsen: „Die Verabredung im Koalitionsvertrag bleibt das Ziel, trotz verzögerter Eröffnung des Humboldt-Forums und den laufenden Bauarbeiten am U-Bahnhof Museumsinsel.“ Für eine grundlegende Umgestaltung der Linden sei aber „eine breite Stadtdebatte wichtig“, für die bereits Formate konzipiert würden.
Aufwertung des Boulevards
Ziel sei „die sicht- und erlebbare Aufwertung des Boulevards, insbesondere die Steigerung der Aufenthaltsqualität für Fußgänger*innen, die Qualifizierung von Beeten und Bäumen, die Bevorzugung der umweltschonenden, klimafreundlichen und stadtverträglichen Verkehrsmittel des Umweltverbunds (Fuß-, Rad- und öffentlicher Nahverkehr)“.
Dass die Linden irgendwann doch noch autofrei würden – also für den Motorisierten Individualverkehr gesperrt -, hält man im Haus von Verkehrssenatorin Regine Günther für „erreichbar“. Allerdings sei eine Verständigung mit dem Bund notwendig, da es sich um eine Bundesstraße handle.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott