Um Hilfe bitten in Bus und Bahn: Klage gegen Bettelverbot
Seit fast einem Jahr setzen die Hamburger Verkehrsbetriebe ein Bettelverbot in Bussen und Bahnen um. Jetzt klagen Betroffene dagegen.

Seit Mai 2024 setzen die Hochbahn AG, die U-Bahn und Busse betreibt, und die S-Bahn der Deutschen Bahn ein Bettel- und Musizierverbot um. Das Verbot steht schon seit 2004 in den Beförderungsbedingungen ihres Gemeinschaftsunternehmens Hamburger Verkehrsverbund (HVV). Aber erst seit Frühjahr 2024, kurz vor der Fußball-Europameisterschaft, die auch in Hamburg stattfand, wird es durchgesetzt. Ähnliche Regeln gibt es unter anderem in Bremen und München, wo sie aber unterschiedlich streng angewendet werden.
In der Hamburger U-Bahn weisen seit Frühjahr 2024 Durchsagen auf das Verbot hin. Aktuell werden sie nicht mehr stündlich, sondern alle drei Stunden gespielt, sagt ein Pressesprecher der Hochbahn der taz. In der S-Bahn gibt es solche Durchsagen nicht, dafür Hinweise im Fahrgastfernsehen.
Person beim Betteln erwischt
Wenn die Kontrolleur:innen eine Person beim Betteln erwischen, sieht das genauso aus wie bei der Fahrkartenkontrolle. Sie nehmen die Personalien der Person auf, rufen die Polizei, wenn sie sich nicht ausweisen kann, und stellen ihr eine schmale, graue Quittung aus. Darauf steht: „Beanstandung: Betteln“.
Ein Verstoß gegen das Bettelverbot kostet 40 Euro und stellt eine sogenannte Vertragsstrafe dar. Anders als Fahren ohne Fahrschein ist Betteln keine Straftat. Das hat den Vorteil, dass den Menschen, die die 40 Euro nicht bezahlen können, keine Ersatzfreiheitsstrafe aufgebrummt werden kann.
Aber 40 Euro sind trotzdem viel Geld. Vor allem, wenn man so arm ist, dass man betteln muss und vielleicht auch noch keinen Fahrschein hat, sagt Teresa Jakobs. Sie arbeitet als Straßensozialarbeiterin der Diakonie in der Hamburger Innenstadt. Jakobs hat mehrere Klient:innen, die bei einer Kontrolle zwei Strafen auf einmal bekommen haben, wegen Fahrens ohne Fahrschein und wegen des Bettelverbots.
Einen ihrer Klienten habe das sogar mehrfach betroffen. „Das sind auf einen Schlag 100 Euro, die Menschen nicht bezahlen können“, sagt Jakobs. Die Folge: Inkasso-Verfahren, rasant steigende Kosten und Schulden, die Menschen oft jahrelang beschäftigten. Dass Menschen Strafe zahlen sollen, weil sie nach einer Spende gefragt haben, findet Jakobs absurd.
Es geht um eine bundesweite Klärung
„Für meine Bitte um Hilfe bestraft zu werden, ist herabwürdigend“, zitiert Hinz&Kunzt einen der Kläger, den wohnungslosen René, in einer Pressemitteilung. Die Verfahrenskoordinatorin bei der GFF, Mareile Dedekind, sagt:„Menschen in Not für ihren Appell an Mitmenschlichkeit zur Kasse zu bitten, verletzt Grundrechte.“ Ihr geht es um eine bundesweite Klärung.
Insgesamt 1.923 Mal habe die Hochbahn 2024 Strafen wegen Bettelns verhängt, so ein Sprecher auf taz-Anfrage. Die S-Bahn möchte dazu keine konkreten Zahlen nennen. Von den Strafen der Hochbahn sind nur 24 bezahlt worden. Das führt das Unternehmen darauf zurück, „dass häufig kein fester Wohnsitz vorliegt“.
Mareile Dedekind, Verfahrenskoordinatorin bei der GFF
Ob die Strafen zugenommen haben, seitdem das Verbot durchgesetzt wird, lässt sich nicht so einfach sagen. Die Hochbahn erfasst die Verstöße erst seit 2024 gesondert. Zahlen aus einer Anfrage der Linken legen aber nahe, dass die Strafen wegen des Bettelverbots seit Mai 2024 stark zugenommen haben. Das hat Hinz&Kunzt im vergangenen Jahr ausgerechnet.
In der Bahn zu betteln, ist anders als draußen. „Wenn ich irgendwo sitze, rennen ja die Leute an mir vorbei. In der U-Bahn ist es umgekehrt“, sagt Jörn Sturm, Geschäftsführer von Hinz&Kunzt. In der Bahn sind es die Menschen, die nach einer Spende fragen, die in Bewegung sind. So hätten die sitzenden Fahrgäste, für die eine Spende überhaupt infrage kommt, mehr Zeit zum Überlegen: „Gebe ich was oder nix?“ – ein Vorteil für beide Seiten, sagt Sturm.
Für Menschen, die betteln müssen, bedeutet das Verbot zusätzlichen Stress, sagt Sturm. Das liege auch daran, dass das Verbot Auswirkungen auf die anderen Fahrgäste habe. „Es legitimiert die Rechthaber und Lautsprecher unter den Fahrgästen, die sagen: ‚Du darfst das hier nicht, geh weg‘“, sagt Sturm.
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