Ultimatum in Ägypten: Mursi lehnt Rücktritt ab

Die Militärführung will angeblich die Verfassung aussetzen und einen Übergangsrat einberufen. Die Demonstrationen gehen weiter.

Enttäuschte Demonstranten nach der Ansprache Mursis. Bild: reuters

KAIRO ap/afp | Ägypten steuert im Laufe des Mittwochs auf eine Konfrontation zwischen der islamistischen Bewegung von Präsident Mohammed Mursi und der Opposition zu. Mursi lehnte am späten Dienstagabend in einer Fernsehansprache den von Millionen Demonstranten geforderten Rücktritt ab und forderte die Militärführung auf, ihr Ultimatum für eine Lösung des Konflikts zurückzuziehen.

Dieses läuft am Nachmittag ab. In seiner 46-minütigen Rede warnte Mursi indirekt das Militär: Ein Versuch, ihn aus dem Amt zu entfernen, werde „auf die Täter zurückfallen.“

Die ägyptische Nachrichtenagentur Mena meldete, die Generäle wollten nach Ablauf des Ultimatums die Verfassung aussetzen, das von Islamisten dominierte Oberhaus auflösen und einen Übergangsrat einsetzen, der vom höchsten Richter des Landes geleitet werden solle.

Mursi machte in seiner Ansprache deutlich, dass er es aufs Äußerste ankommen lassen wolle. Er sei der erste demokratisch und frei gewählte Präsident des Landes, und er werde diese verfassungsmäßige Legitimität notfalls mit seinem Leben schützen. „Es gibt keinen Ersatz für Rechtmäßigkeit“, sagte er.

Demokratische Legitimität und die verfassungsmäßige Ordnung seien die einzige Garantie gegen Gewalt. Anhängern seines Vorgängers Husni Mubarak warf er vor, die Situation ausnutzen zu wollen, um ihn zu stürzen und die Demokratie zu hintertreiben.

Oppositionelle befürchten neue Gewalt

Kurz zuvor hatte er bereits über Twitter Rücktrittsforderungen zurückgewiesen und die Streitkräfte aufgefordert, ihr Ultimatum zurückzuziehen. Das Militär hatte Mursi seinerseits aufgefordert, den Konflikt mit der Opposition bis Mittwochnachmittag zu lösen, andernfalls werde es eingreifen. Mursi schrieb, er lehne jegliche „Diktate“ ab.

Bereitschaft zur Konfrontation bis in den Tod hatte zuvor bereits ein Führungsmitglied der Muslimbruderschaft ausgedrückt. „Nach Märtyrertum zu streben, um den laufenden Putsch zu verhindern, ist das, was wir als Zeichen der Dankbarkeit vorherigen Märtyrern anbieten können, die in der Revolution ihr Leben gelassen haben“, schrieb Mohammed al-Beltagi am Dienstag auf seiner Facebook-Seite.

Millionen oppositionelle Demonstranten in Kairo sowie vielen anderen Städten verfolgten Mursis Ansprache. Auf dem Tahrir-Platz schlugen einige enttäuscht auf Metallzäune und riefen „Geh, geh!“; andere hoben ihre Schuhe als Zeichen der Verachtung in die Luft. Ein Demonstrant, der 28-jährige Islam Musbah, sagte, Mursi habe nichts verstanden: „Er wird uns zu Blutvergießen und Bürgerkrieg führen.“ Ein anderer, Haitham Faruk, sagte: „Er wird nur nach einer Katastrophe gehen. Viel Blut.“

Mindestens 23 Tote und 200 Verletzte

Die Oppositionskampagne Tamarod (arabisch für Rebellion) kritisierte Mursis TV-Ansprache scharf. Der Staatschef „bedroht sein Volk“, sagte Mohammed Abdelasis von der Kampagne in der Nacht zum Mittwoch im privaten Fernsehen. „Wir betrachten ihn nicht als Ägyptens Präsidenten.“

Auch Zehntausende Mursi-Anhänger versammelten sich in Kairo und anderen Städten. Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten wurden in Kairo in der Nacht zum Mittwoch mindestens 23 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt, wie Sicherheitskreise und Krankenhausmitarbeiter berichteten. Gewalt zwischen beiden Seiten wurden auch aus Alexandria und anderen Städten gemeldet. Ein Marsch von Mursi-Anhängern bei der Kairoer Universität wurde von Schützen auf umliegenden Dächern beschossen.

Damit sind seit Sonntag, dem ersten Jahrestag des Amtsantritts Mursis, insgesamt mindestens 39 Menschen bei Zusammenstößen getötet worden.

Der Conutdown läuft

Die Militärführung hatte sich am Montag mit einem Ultimatum an Mursi in die Auseinandersetzung zwischen dem Präsidenten, seiner islamistischen Muslimbruderschaft und der Opposition eingeschaltet. Sie forderte den Staatschef auf, auf die Forderungen der Straße zu hören und den Konflikt binnen 48 Stunden zu lösen.

Mindestens ein ägyptischer Fernsehsender startete einen Countdown bis zum Ablauf des Ultimatums - bei ihm läuft es um 16 Uhr (MESZ) ab. Auf einer Webseite von Mursi-Gegnern geht die Frist dagegen bis 17 Uhr. Die Militärführung hat keinen genauen Zeitpunkt genannt.

Ein pensionierter General mit guten Kontakten zur derzeitigen Militärführung bestätigte die von der staatlichen Nachrichtenagentur gemeldeten Details zum Übergangsplan der Streitkräfte. Hossam Sweilam sagte, ein Expertengremium solle eine neue Verfassung ausarbeiten und ein Präsidialrat solle vom Vorsitzenden Richter des Obersten Verfassungsgerichts geleitet werden. Dem Gremium sollten der Verteidigungsminister, Vertreter politischer Parteien und Jugendgruppen, der Al-Ashar-Moschee und der Koptischen Kirche angehören. Die Übergangsphase solle ein Jahr dauern, dann solle ein neuer Präsident gewählt werden.

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