Ukrainischer Künstler Chichkan ist tot: Agitator für die Freiheit
Er malte in den Farben der Ukraine, des Feminismus und des Anarchismus: Der ukrainische Künstler David Chichkan ist an der Front gestorben.
David Chichkan träumte von einer „sozialen Ukraine der Zukunft, die mit Freiheit und Gleichheit erfüllt ist“ – davon, dass „der russische Imperialismus zerschlagen und die dem Kreml unterjochten Völker ihre Unabhängigkeit erlangen“. Das schrieb er der taz im Frühjahr.
Für diese Vision gab er sein Leben. Am 9. August erlag der Künstler und anarchistische Aktivist seinen Verletzungen, nachdem er am Vortag an der Front in der Region Saporischschja schwer verwundet worden war, wie der Verbund antiautoritärer Soldat:innen „Resistance Committee“ am Sonntagabend mitteilte. Chichkan, der als Granatwerferschütze im Einsatz war, wurde nur 39 Jahre alt. Er hinterlässt seine Partnerin und ihren gemeinsamen Sohn im Säuglingsalter.
Chichkan ist einer von den zahlreichen ukrainischen Künstler:innen, die mittlerweile im Kampf gegen die russischen Invasoren gestorben sind, wie auch die Malerin Margarita Polovinko vor vier Monaten. Sie wurde nur 31 Jahre alt. Das ukrainische Kulturministerium zählte zuletzt 219 Kulturarbeiter:innen, die seit Beginn der Großinvasion als Soldat:innen oder Zivilist:innen umgekommen sind.
Malereien, die warnen
Der in Kyjiw geborene Chichkan entstammte einer Künstlerdynastie, trat aber stets bescheiden wie herzlich auf. Und er war sehr humorvoll. Mit seinen figürlichen Malereien im naiven Stil warnte er vor einer blinden Zerstörung einer ukrainischen Kultur, die derzeit als Reaktion auf den Krieg im Namen einer Dekommunisierung stattfindet. Lesia Ukrainka, Iwan Franko – das gesamte „ukrainische Pantheon der Kulturvertreter bestehe aus Sozialisten“, erwiderte Chichkan dazu auf seinen Bildern. Damit wollte er sich einerseits gegen das in seinem Land herrschende Vorurteil stellen, die ukrainischen Linken seien prorussisch. Andererseits wollte er „den Europäern und der ganzen Welt vermitteln, dass die ukrainischen Linken für die Ukraine sind, und damit die Propaganda des Kremls zerstören.“

Viele fassten seine Kunst als Provokation auf. Seine Ausstellungen wurden mehrfach von Ultrarechten demoliert, zuletzt wurde seine Ausstellung in Odesa Anfang 2024 auf deren Druck hin abgesagt. Aber Chichkan ließ sich nicht unterkriegen. Ehe er sich vor einem Jahr freiwillig bei der Armee meldete, malte er Heldendarstellungen linker Soldat:innen. Über ihnen wehen bunte Bänder in den Farben der Ukraine, des freien Belarus, des Feminismus und des Anarchismus. Die Erlöse aus dem Verkauf dieser Tarnfleckaquarelle spendete er an die Armee. Er machte auch Street Art, widmete etwa der Romn:ja-Community im westukrainischen Uschhorod ein großes Wandbild.
Seine Kunst verstand er als Agitation für eine unabhängige, ökologische, sozialistische, klassenlose – er verwendete noch viele weitere Attribute – Ukraine. Er kämpfte bis zuletzt „für eure und unsere Freiheit“, wie auf dem Patch an seiner Uniform stand.
Ein Aquarell von Chichkan, das er vergangenen Sommer auf seinem Instagram-Account postete, zeigt Gesichter von Soldat:innen vor einem Camouflage-Hintergrund. Darunter steht: „Anti-Autoritäre, Anarchisten und eine Anarchistin, die starben, während sie die Ukraine vor den Horden der imperialen Faschisten verteidigten. Leider konnte ich nicht alle malen. Während ich die Porträts der einen malte, starben andere Antiautoritäre, und ein neues Bild wird mindestens doppelt so viele Menschen zeigen. Aquarell. Ewiges Gedenken den Helden und Heldinnen.“ Du bist einer von ihnen, David. Rest in Power.
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