Ukraine nach Brand in Altenheim: Dubiose Zustände in Pflegeheimen
Der Tod von 15 SeniorInnen wirft ein Schlaglicht auf die Situation alter Menschen. Das Geschäft mit privaten Heimen ohne Lizenz floriert.
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Sofort nach Bekanntwerden der Katastrophe war Präsident Wolodimir Selenski am Wochenende nach Charkiw gereist, wo er Überlebende besuchte und sich vor Ort über den Brand informierte. Gleichzeitig beauftragte er Innenminister Arsen Awakow, die Aufklärung der Katastrophe persönlich in die Hand zu nehmen.
Sogar der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sprach der Ukraine öffentlich sein Beileid aus. Premierminister Denis Schmyhal verkündete auf einer Sondersitzung des Parlamentes die Einrichtung einer eigenen Untersuchungskommission zu dem Feuer. Der Brand am Donnerstag sei auf einen leichtsinnigen Umgang mit Elektrogeräten zurückzuführen, erklärte Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa.
Nachlässig war man in dem Heim in Charkiw offenbar nicht nur im Umgang mit Geräten. In der Nachbarschaft hat sich herumgesprochen, dass sich das Personal kaum um die älteren BewohnerInnen kümmerte. Im Fernsehsender TSN berichtet eine Nachbarin, sie habe beobachtet, dass Frauen bei Temperaturen von minus 15 Grad nur leicht bekleidet vor der Tür im Freien gestanden hätten. Eine habe sogar blaue Flecken im Gesicht gehabt.
Inzwischen sind vier Personen festgenommen worden, darunter der Vermieter und der Mieter der Räumlichkeiten. Doch damit ist das eigentliche Problem nicht gelöst. Dass Präsident Selenski den Brand zur Chefsache erklärt hatte, liegt auch daran, dass die Feuerkatastrophe ein Schlaglicht auf die Lage der älteren Menschen in der Ukraine geworfen hat – bislang ein Tabuthema.
Lukratives Geschäft mit Altenheimen
Von den rund sieben Millionen alten Menschen in der Ukraine, lebt laut Nachrichtenagentur Ukrinform jeder Fünfte ohne Angehörige. Gleichzeitig gebe es landesweit gerade einmal 65 staatliche Altersheime, gibt die Journalistin und Mitbegründerin der Stiftung für Palliativversorgung ProVita, Marharyta Tulup, gegenüber der taz an. In denen könne nur einen Platz bekommen, wer keine Angehörigen im arbeitsfähigen Alter habe.
In Dörfern würden sich oft Familien zusammenschließen, um eine Wohnung für ältere MitbürgerInnen anzumieten, so Tulup. Auch viele private Heime hätten sich landesweit gegründet. Über die Zahl derartiger Einrichtungen kann man nur rätseln. Denn genehmigungspflichtig sind nur Einrichtungen, die medizinische Leistungen anbieten. Wer beispielsweise „Wohnraum mit sozialen Leistungen“ anbiete, brauche keine Lizenz, so Tulup. Derartige Wohnungen dürfen VertreterInnen von Behörden nur mit einem Gerichtsbeschluss betreten.
Lukrativ ist das Geschäft mit den alten Menschen allemal. Ungefähr 300 Euro bezahle man in Charkiw für ein Bett in einem Zimmer, das man sich mit drei weiteren Personen teilen müsse, berichtet der Charkiwer Journalist Stanislaw Kibalnik vom Portal assembly.org.ua der taz. Je nach Leistungsangebot müsse man das Doppelte oder Dreifache bezahlen. Da bleibt einiges für die AnbieterInnen übrig, wenn man einen Preis von rund 500 Euro für eine Drei-Zimmer-Wohnung zugrunde legt.
Doch verdienen kann man nicht nur am Leben der alten Menschen. Im Sender TSN wundert sich eine Angehörige, woher ein Beerdigungsinstitut ihre Telefonnummer erhalten habe. Dieses habe sie sofort nach dem Ableben ihrer Oma in einem Heim angerufen und seine Dienste angeboten.
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