piwik no script img

Ukraine begeht 70 Jahre KriegsendeNoch einmal wehen rote Fahnen

Tausende gedenken in Kiew der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Ukrainer. Darunter viele Veteranen der Sowjetarmee. Provokationen gibt es kaum.

Symbol für die Opfer des Krieges: rote Mohnblume am Revers eines Veteranen. Bild: reuters

KIEW taz | Zum Gedenken an des Ende des Zweiten Weltkrieges überwiegen am Samstag Symbole und Fahnen in Kiew, mit denen sich an anderen Tagen niemand mehr auf die Straße traut: rote Fahnen mit Hammer und Sichel, rote Luftballons mit kommunistischer und sowjetischer Symbolik.

Auf dem Obelisken auf den Uferbergen des Dnepr brennt das ewige Feuer am Grabmal des unbekannten Soldaten für die im Zweiten Weltkrieg getöteten Ukrainer. Von der U-Bahn-Station Arsenalna in Kiew machen sich Tausende auf den Weg dorthin. Die meisten kommen mit Blumen, die sie vor dem Grab ablegen.

Zeitweise ist auf der durch die Polizei mehrere Stunden gesperrten, vierspurigen Straße, die zum Obelisken führt kaum ein Durchkommen. So groß ist das Gedränge der bunt zusammengewürfelten Gruppen: Veteranen der Sowjetarmee, mit Orden behängt, bewegen sich neben jungen Frauen mit Kinderwagen unter den Klängen sowjetischer Marschmusik Riсhtung ewiges Feuer. Auch Veteranen der ukrainisсhen Nationalisten, die gegen die Sowjetarmee gekämpft hatten, sind, wenn auch in deutlich geringerer Zahl, unter den Besuchern sowie Angehörige von Freiwilligenverbänden. Auch orthodoxe Gläubige und Priester sind dabei.

Viele Besucher haben das Sankt-Georgs-Bändchen am Revers. Es war Symobl der sowjetischen Truppen, die den Hitler-Faschismus besiegt hatten. Seitdem die Separatisten von Donezk und Lugansk das Bändchen als Erkennungszeichen verwenden, ist dieses Symbol in Kiew tabu. Andere wiederum tragen das offizielle Symbol der Ukraine am Revers, mit dem der Opfer des Krieges gedacht wird: eine stilisierte Mohnblume aus Papier oder Plastik.

Stalin-Portrait aus der Hand gerissen

Ob der vielen unterschiedlichen Gruppen ist die Polizei mit einem großen Aufgebot an uniformierten und Zivilpolizisten vor Ort, um Provokationen zu verhindern. Und so kommt es auch nur vereinzelt zu kleineren Rangeleien.

Als sich eine Gruppe mit roten Fahnen dem Park des Obelisken nähert, formiert sich eine Gruppe von Angehörigen einer Freiwilligeneinheit in olivgrünen Kampfuniformen quer über die Straße. Für einen Augenblick scheint es, als wollten sie sich den Fahnenträgern entgegenstellen. Doch dann löst sich die Gruppe wieder auf, macht den Weg frei. Wenige Minuten später ruft ein Priester einem Fahnenträger zu, er solle die rote Fahne, die Teufelszeug sei, wegwerfen. Kurz vorher hatte ein Passant einem Veteranen ein Stalin-Portrait aus der Hand gerissen.

Politisch hatte Präsident Poroschenko bereits am Freitagabend in einer offiziellen Gedenkfeier der Opfer des Krieges gedacht. Eingeladen worden waren zu dieser Gedenkfeier nicht nur Veteranen der sowjetischen Armee sondern auch Veteranen der gegen die Rote Armee kämpfende UPA, der „Ukrainischen Aufständischen Armee“ und Soldaten und Freiwillige, die in den vergangenen Monaten im Osten des Landes gegen die Aufständischen gekämpft hatten.

In seiner Rede dankte Poroschenko nicht nur den Veteranen der Sowjetarmee. Unter großem Applaus feierte er die Helden der „Ukrainischen Aufständischen Armee“, nannte sie eine „zweite Front im Kampf gegen den Faschismus“. Insbesondere in Polen werden der UPA ethnische Säuberungen an Polen 1943 vorgeworfen.

Am Donnerstag war es in der Rada, dem ukrainischen Parlament, zu einem Eklat gekommen, als Präsident Poroschenko die Namen von getöteten Soldaten des Anti-Terror-Kampfes vorlas, die er zu „Helden der Ukraine“ ernannte hatte. Während alle Anwesenden beim Verlesen der Namen aufgestanden waren, blieben drei hochrange Vertreter der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats aus Protest gegen die Verleihung des Titels auch an Frontkämpfer sitzen. Man habe mit dieser Geste deutlich machen wollen, dass man ein sofortiges Ende des Krieges wolle, vermeldete die Kirchenführung in einer anschließenden Presseerklärung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Hoffentlich wird ein Staat wie die Ukraine, der antisemitische Nazis wie Bandera zu "Helden der Ukraine" erklärt, nie Mitglied der EU.

    Auf Staaten, die Völkermörder der UPA ebenso ehrt wie die Soldaten, die die Menschen in Auschwitz befreiten, sollte die EU eher mit Sanktionen reagieren, wäre die EU nicht selber ein moralisch völlig verlotterter mörderischer Haufen.

    • @Age Krüger:

      Die EU stellt das Beispiel fuer eine erfolgreiche und moralischen Prinzipien beruecksichtigende Staatengemeinschaft dar. Man nehmen mal ein Gegenbeispiel, Suedsudan, unabhaengig geworden und ab in den ethnischen Buergerkrieg.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      Solange Deutschland Mitglied der EU sein darf, sollte dies für die Ukraine, die mit etwa 13 Millionen Kriegstoten am meisten unter dem deutschen Naziterrorregime gelitten hat, das erst Recht dürfen, oder ?