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Ukraine-Hilfsprojekt in Berlin„Jeder gibt so viel, wie er kann“

Der Verein „Be an Angel“ unterstützt Menschen in der Ukraine und arbeitet in Odessa. Ein Gespräch über Evakuierungen und die Lage vor Ort.

(von links): Julia Zara, Nataliia Gocharova, und Ekatetrina Mikheitrva in Berlin Foto: taz
Interview von Susanne Memarnia

taz: Frau Gocharova, Frau Mikheitrva, Frau Zara, Sie arbeiten in Odessa als freiwillige Helferinnen, und Sie werden dabei vom Berliner Verein Be An Angel unterstützt. Was genau tun Sie?

Nataliia Gocharova: Wir fahren herum in Odessa, versorgen Menschen mit Essen, mit Medikamenten. Ich bin seit Beginn des Krieges Freiwillige, seit April 2022 arbeiten wir mit Be an Angel zusammen, gerade läuft unsere Registrierung als Be an Angel Ukraine. Neben der Überlebenshilfe evakuieren wir Menschen aus Odessa, aus der ländlichen Umgebung und aus anderen Städten in der Region. Und wir helfen kranken Kindern und kranken alten Menschen, die medizinische Behandlung brauchen, damit sie die irgendwo in Europa bekommen.

Sie evakuieren nur Kranke?

Nataliia Gocharova: Nein, jeden, der zu uns kommt. Wir organisieren alles, was mit der Evakuierung zusammenhängt. Zuerst die Ausreise nach Moldau, da hat Be an Angel ja auch eine Außenstelle. Die organisiert die Reise nach Deutschland mit Bussen oder Flugzeug. Wenn jemand eine besondere medizinische Behandlung braucht, sorgen wir dafür, dass er oder sie an einen Ort kommt, wo man sich um sie kümmern kann. Wir sorgen dafür, dass diese Menschen krankenversichert sind, bis ihre Registrierung am Zielort abgeschlossen ist – und darum, dass sich jemand am Zielort um die Ankommenden kümmert.

Alle Geflüchteten kommen nach Deutschland?

Nataliia Gocharova: Die meisten, weil Be An Angel ja aus Berlin ist. Aber wir haben auch schon nach Österreich evakuiert. Wichtig ist auch, dass wir die Leute darüber informieren können, wie die Evakuierung abläuft, was sie erwartet am Zielort, wie die Registrierung läuft und so weiter. Darum sind wir gerade in Berlin.

Um sich das Ankunftszentrum in Tegel anzusehen?

Nataliia Gocharova: Ja. Wir wollten uns auch alle mal gegenseitig kennenlernen von Be an Angel: wir aus Odessa, das Team Moldau und das Team Berlin. Aber vor allem wollten wir uns informieren, wie die Dinge hier organisiert sind. Weil uns die Menschen oft fragen, wie das sein wird, wenn sie die Ukraine verlassen. Wir wussten das zwar theoretisch, aber jetzt konnten wir mit Leuten sprechen vom Flüchtlingsamt und so.

Im Interview: Julia Zara, Nataliia Gocharova, Ekatetrina Mikheitrva

Julia Zara, 45, führt ein Restaurant in Odessa. Nataliia Gocharova, 35, ist Unternehmerin (Financial Controller) in Odessa. Ekatetrina Mikheitrva, 33, ist Vize-Direktorin des Odesa Museum of Western and Eastern Art

Was war Ihr Eindruck?

Julia Zara: Zunächst einmal möchte ich mich bedanken für Ihr großes Herz. Es ist ganz toll, wie Sie hier in Berlin, in Deutschland ihre Türen öffnen für uns. Natürlich sind die Bedingungen im Ankunftszentrum Tegel mit den Zelten nicht einfach …

Nataliia Gocharova: … vor allem für Menschen, die aus guten Verhältnissen kommen, die ein schönes Zuhause hatten, auch wenn sie es jetzt verloren haben. Psychologisch sind solche beengten Bedingungen mit vielen Menschen auf einem Raum natürlich eine große Belastung.

Julia Zara: Aber das Wichtigste ist ja, das man leben kann und Sicherheit hat. Und eines Tages wird alles vorbei sein, und wir werden wieder in Frieden leben.

Wie ist die Situation in Odessa zurzeit?

Nataliia Gocharova: Sehr schlecht. Bei mir zu Hause zum Beispiel hatte ich im Dezember elf Tage lang keinen Strom, kein Licht, kein Warmwasser, keine Heizung. Inzwischen ist es etwas besser, einiges wurde repariert, aber wir wissen nie, wann es Strom gibt und wann nicht. Mal ist er einen Tag weg, mal zwei, manchmal nur ein paar Stunden.

Man braucht auch Kunst zum Überleben, nicht nur Essen. Unsere Seelen brauchen auch Futter.

Ekatetrina Mikheitrva

Was ist mit Generatoren? Gibt es welche?

Nataliia Gocharova: Ja klar, inzwischen hört man überall in der Stadt den Sound der Generatoren. Auch wir drei haben welche über Be an Angel bekommen. Aber die kann man nicht überall aufstellen, in den Wohnungen ist es zum Beispiel sehr gefährlich. Darum steht meiner auch auf dem Balkon. Generatoren funktionieren auch nicht überall. Gerade in den modernen Stadtteilen von Odessa mit Appartmentblocks leben darum weiterhin viele Menschen bei Stromausfall ohne Aufzug, Telefon, Licht, Heizung. Auch auf der Straße ist es unsicher: es gibt kein Straßenlaternenlicht in der Nacht, darum gibt es viele Unfälle.

Julia Zara: Man sieht die Fußgänger einfach nicht, wenn sie die Straße überqueren.

Wurde Odessa viel bombardiert?

Julia Zara: Nicht so viel wie Cherson und andere Städte.

Nataliia Gocharova: Im Frühling wurde eine Fabrik getroffen, da starben auch Menschen, aber seither geht es eigentlich.

Ekatetrina Mikheitrva: Ein Einkaufszentrum wurde auch bombardiert.

Gibt es genug zu essen?

Julia Zara: Zu essen gibt es schon, aber viele Menschen haben kein Geld, um es zu kaufen. Sie haben ihre Jobs verloren und viele ihr Zuhause.

In Odessa leben also auch viele Flüchtlinge aus anderen Orten in der Ukraine?

Julia Zara: Ja, sehr viele. Ich arbeite bei den Samaritern und wir haben eine große Kirche als Anlaufstelle. Zu uns kommen jeden Tag 350 bis 1.500 Menschen, die Hilfe brauchen: Medizin, Essen, Kleidung, manche haben nur noch das, was sie auf dem Leib tragen. Menschen aus der ganzen Ukraine fliehen nach Odessa, weil es bei uns im Vergleich mit anderen Orten relativ sicher ist. Viele wollen die Ukraine nicht verlassen, sondern in Odessa ausharren.

Wo bringen Sie all die Flüchtlinge unter?

Nataliia Gocharova: Wir haben inzwischen ein breites Netzwerk. Zum Beispiel bringen Freunde, die vor dem Krieg ein Hostel für Touristen hatten, jetzt Flüchtlinge unter. Jeder hilft, wo er kann. Aber natürlich gibt es zu wenig Platz.

Julia Zara: Und auch Menschen aus Odessa leiden Not. Sie haben zwar noch eine Wohnung oder ein Haus, aber viele eben keinen Job mehr, kein Geld und kommen zu Hilfsorganisationen wie unserer, weil sie Essen brauchen. Wir geben jeden Tag 500 warme Mahlzeiten aus, viele Restaurants spenden uns Essen.

Ist alles über Spenden finanziert?

Julia Zara: Ja, alles, wir haben viele Partner, Organisationen und Einzelpersonen, bis nach Amerika. Wir bekommen Geld von Ukrainer:innen, die geflohen sind und irgendwo neu anfangen konnten. Auch in Odessa geben alle, was sie entbehren können, wir machen Spendenabende. Letztens haben wir Weihnachtsfeiern für Kinder organisiert, viele Menschen haben Geschenke gespendet.

Ich selbst würde nie weggehen. Weil ich schon seit vielen Jahren als Freiwillige mit Kindern arbeite und wegen meiner Eltern.

Julia Zara

Was denkt man bei Ihnen über Ukrainer:innen, die das Land verlassen?

Julia Zara: Das ist eine ganz persönliche Sache. Manche halten die ewige Angst nicht mehr aus. Ich bin jetzt das erste Mal seit Kriegsbeginn ausgereist, wir kamen über Moldau und dann mit dem Flugzeug. Als ich den Flugzeuglärm gehört habe, war es wie ein Schock.

Nataliia Gocharova: Ja, man wird nervös, schaut sofort an den Himmel, ob Bomber kommen. Dann die Lebensumstände: kein Strom, keine Heizung. Man kann seinen Kindern kein warmes Essen kochen, es gibt ohne Strom kein Internet – und weil unsere Schulen nun zumeist online laufen, eben auch keine Schule, keine Universität. Was sollen Leute mit Kindern also machen? Und jederzeit kann dich eine Bombe treffen, so wie kürzlich in Dniepro, wo ein Haus mit 72 Wohnungen zerstört wurde. Dort fühlten sich die Menschen vorher auch relativ sicher. Wir alle leben in Dauerstress. Manche halten das nicht mehr aus und gehen.

Hier in Berlin hat man wohl gedacht, dass jetzt im Winter noch mehr Menschen fliehen würden. Zurzeit kommen etwa 300 Ukrai­ne­r:in­nen täglich in Berlin an – das ist viel weniger als zu Beginn des Krieges.

Julia Zara: Viele sind ja schon am Anfang geflohen, teils auch innerhalb der Ukraine. Ich selbst würde nie weggehen. Weil ich schon seit vielen Jahren als Freiwillige mit Kindern arbeite und wegen meiner Eltern. Die wollen auf keinen Fall gehen.

Nataliia Gocharova: Viele Alte sagen, sie wollen lieber hier sterben als weggehen. Und viele andere haben wie wir eine Aufgabe übernommen. Oder sie wollen nicht gehen, weil sie das als „Verrat“ empfinden – zum Beispiel Frauen mit Ehemännern, die nicht gehen dürfen. Auch viele meiner Freundinnen denken so: Dann sterben wir lieber alle zusammen, die ganze Familie.

Julia Zara: Wir wollen ja auch nicht gehen, wir wollen unseren Leuten helfen. Alle möglichen Leute arbeiten jetzt als Freiwillige: frühere Hotelbesitzer, Restaurant-Manager wie ich …

Nataliia Gocharova: … und Finanz-Kontrolleure wie ich. Ich habe ein Business, aber zurzeit arbeite ich mehr als Freiwillige als für meine Firma. Letzteres mache ich nur, um mit dem Geld dann wieder Leuten zu helfen.

Was arbeiten Sie in Friedenszeiten, Frau Mikheitrva?

Ekatetrina Mikheitrva: Ich bin Vize-Direktorin des „Odesa Museum of Western and Eastern Art“. Es ist eines der größten und modernsten Museen in der Ukraine.

Das jetzt geschlossen ist?

Ekatetrina Mikheitrva: Nein, gar nicht. Natürlich haben wir den größten Teil unserer Sammlung in Sicherheit gebracht, aber jetzt arbeiten wir mit Gegenwartskunst. Wir machen Vorlesungen über Kunstgeschichte, Gesprächsrunden über Meisterwerke, über Künstler. Viele Veranstaltungen machen wir mit und für Kinder und Geflüchtete.

Kunst als Pause vom Krieg?

Ekatetrina Mikheitrva: Man braucht auch Kunst zum Überleben, nicht nur Essen. Unsere Seelen brauchen auch Futter.

Nataliia Gocharova: Ich glaube, die Menschen wollen auch Kunst, um sich zu erinnern. Wie es vor dem Krieg war, als sie über Theater und Kino und solche Dinge redeten – und nicht nur über Nachrichten und den Kriegsverlauf.

Ekatetrina Mikheitrva: Ich organisiere viele Charity-Abende. Wir laden Musiker ein, Sänger, Künstler und sammeln dabei Spenden für Flüchtlinge, für Kranke, was gerade ansteht. Die Leute, die kommen, genießen einen schönen Abend bis 23 Uhr. Dann ist Sperrstunde. Und jeder gibt so viel, wie er kann. Und wenn es nur ein Euro ist.

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