piwik no script img

ÜberwachungKeinen schert das Auge des Gesetzes

In Oldenburg sollen Videokameras einen Platz sicherer machen, der der Polizei vor allem an den Wochenenden entglitten ist. In der ersten Partynacht mit Kameras allerdings war alles wie immer - es wurde gepöbelt, geschlagen und randaliert.

Die Überwachung ändert nichts daran, dass randaliert wird und Scheiben zu Bruch gehen. Bild: dpa

Freitag, 23 Uhr, in der Langen Straße am Lappan in Oldenburg. Zusammen mit der kreuzenden Wallstraße ist hier - rund um den mittelalterlichen Backsteinturm - das Partyviertel der Stadt. Es herrscht, wie an jedem Wochenende, reger Betrieb. Und doch ist etwas anders als sonst: Es ist das erste Wochenende, an dem der Bereich von Videokameras überwacht wird. Die Mehrheit des Stadtrates hatte sich 2008 gegen die Überwachung ausgesprochen. Aber das niedersächsische Innenministerium setzte die Kameras durch - an einem Ort, der der Oldenburger Polizei bisweilen entglitten zu sein scheint. Vor allem in den Wochenendnächten wird dort gepöbelt, geprügelt und randaliert. Nun hängt eine Kamera am Ende der Langen Straße an einem Ampelmast. Die zweite filmt vom Dach einer Versicherung die Bushaltestelle Lappan.

Die beiden Wächter vom Typ "Dom" sehen alles. "Dom" heißen sie wegen ihrer kugelförmigen Bauform. Von außen ist nicht zu erkennen, in welche Richtung sie filmen. Aufgezeichnet wird laut Polizei nur von 17 bis sieben Uhr. Außerhalb dieses Zeitfensters werden Gesichter und Autokennzeichen unkenntlich gemacht. "Wir wollen den Leuten ja nicht beim Einkaufen zuschauen", sagte der Leiter der Oldenburger Polizeiinspektion Johann Kühme, als die Kameras in Betrieb genommen wurden.

Die Inbetriebnahme der Kameras kam zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nur zwei Wochen zuvor hatte der Landesbeauftragte für Datenschutz den existierenden Kameras der Behörden und Kommunen schwere datenschutzrechtliche Mängel attestiert. 99 Prozent der 3.345 untersuchten Geräte in Niedersachsen fielen durch die Prüfung. Die Installation der Oldenburger Kameras erfolgte jedoch mit Abstimmung des Datenschutzbeauftragten.

Gegen 0.30 Uhr herrscht rund um die Lange Straße noch ausgelassene Stimmung. Gruppen junger Frauen ziehen lachend umher, reichen sich einander die angefangene Flasche Sekt. Oft tragen sie für die niedrigen Temperaturen viel zu kurze Röcke. Das Feiern hält sie warm. Junge Männer tun es ihnen gleich und teilen sich die Flasche Bier. Sie grölen, "Eys", "Uhs" und "Yeahs" wehen über die Straße, die sich dort zu einem Platz öffnet.

An seinen Zugängen machen kleine blaue Schilder dem Besucher deutlich, dass ab hier gefilmt wird. So richtig scheint das aber keinen zu interessieren. Nur ganz selten macht sich jemand die Mühe, die schwer auszumachenden Kameras zu finden, dann und wann geht ein neugieriger Blick am Mast entlang, herauf zu dem Punkt, von dem aus das Auge des Gesetzes alles wachsam überschaut.

Gegner der Überwachung haben sich kurz vor Inbetriebnahme der Kameras gemeldet, ein Flugblatt kursierte, auf dem zur öffentlichen Demontage der Kameras aufgerufen wurde. Werkzeug mitbringen und kurzerhand abmontieren, suggerierte die Bebilderung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen unbekannt; mehr als den Protest auf Papier gab es aber bislang nicht.

Um ein Uhr steht ein Streifenwagen auf der Langen Straße. Kurz zuvor wurde das Schaufenster eines Kaffee- und Pralinengeschäfts eingeschlagen. Der mutmaßliche Täter sitzt im Wagen, die beiden Polizisten reden noch mit der Geschäftsleiterin. Sie wurde aus dem Bett geklingelt. Mit zwei Helfern fegt sie die Scherben vom Boden und fotografiert den Schaden. "Sowas passiert immer, wenn die hier zu viel Party machen", sagt sie gelassen. Einer ihrer Helfer sagt: "Angeblich hat sich der Typ hier nur angelehnt, aber man sieht ja, der muss da schon kräftig gegen getreten haben." Die andere Schaufensterscheibe des Ladens sei auch schon mal kaputt gewesen. An besseren Tagen kleben lediglich Burger am Fenster. Jetzt warten sie auf den Glasernotdienst.

Die Polizei verspricht sich Prävention und Aufklärung von Straftaten durch die Überwachung. Daneben soll eine freiwillige Sperrstunde zwischen fünf und sieben Uhr morgens sowie eine erhöhte Polizeipräsenz zu mehr Sicherheit beitragen. Bevor der Streifenwagen wegen der zerbrochen Scheibe kam, war allerdings kein Polizist zu sehen. Aus der nur gut zweihundert Meter entfernten Polizeiwache heißt es anderntags, man habe "höchstens ein Achtel Auge, um die Monitore mit den Kamerabildern in den Blick zu nehmen". Im Fall des zerbrochenen Schaufensters lag die schnelle Festnahme des Täters denn auch nicht an den Kameras, sondern an konventionellen Methoden: Ein Passant hatte die Polizei angerufen, war dem jungen Mann gefolgt und hatte den Beamten per Handy mitgeteilt, wo er sich aufhielt.

Gegen zwei Uhr ist die Stimmung in der Langen Straße endgültig gekippt. Eine Gruppe von sechs Jugendlichen hetzt sich ordentlich auf. Man beschimpft sich und schubst. Flaschen gehen zu Bruch. Der kleinste der Gruppe setzt die Fäuste an und schlägt einen langen dünnen Kerl nieder. Die Schläge wirken geübt, fast elegant. Der Lange fällt auf eine Reihe abgestellter Fahrräder und bleibt erstmal liegen. Die anderen ziehen weiter. "Jedesmal das Gleiche", sagt einer, "immer müssen die ausrasten und zuschlagen". Zwei der Jugendlichen kommen wieder. Sie beschimpfen sich. Einer der beiden entblößt mitten auf der Straße seinen Penis und wedelt ihn dem anderen hin. Sie vertragen sich wieder. Um kurz nach zwei kommt der Glaser.

An der Busstation Lappan ist es dagegen noch ziemlich ruhig. Wenige warten auf den Nachtbus, die Wartebänke füllen sich mit leeren Wodka-, Sekt- und Bierflaschen. Daneben liegen zahlreiche Plastikbecher. Ein mittelgroßer Typ in Schwarz kippt ein Baustellenschild um. Aus einem an der Ampel haltenden Kleinwagen steigen zwei uniformierte Polizisten. Der Randalierer erschrickt. Die Beamten lassen ihn das Schild wieder aufstellen. Nach kurzer Belehrung und Aufnahme seiner Personalien darf er gehen. Der Glaser fährt derweil noch mal los. Er muss Material holen. Der Schaden ist größer als angenommen.

Um drei Uhr beginnen die Kneipenwirte auf der Wallstraße aufzuräumen. Leichter Regen setzt ein, man watet auf der kleinen Straße, in der sich Kneipe an Kneipe reiht, durch eine Suppe aus Zigarettenkippen, Glasscherben, Bierdeckeln und Erbrochenem. Vor dem "Strohhalm" übergibt sich jemand. Ein anderer kaut daneben genüsslich seinen Cheeseburger. Der Weg zu McDonalds ist voll mit Burgerschachteln und Servietten. In der kleinen Gasse zur Busstation steht man inzwischen an, um an die Hauswände zu pinkeln. Ein süßlicher Geruch liegt in der Luft. Gegen halb vier ist der Glaser wieder da. Er beginnt die Bruchstelle zu flicken.

Um 3.45 Uhr werfen zwei Mitarbeiter von McDonalds einen jungen Mann aus dem Lokal. "Verpiss dich! Verpiss dich endlich!", brüllen sie ihm nach. Ein schwarzer Ford Focus bewegt sich langsam über die Lange Straße. Wenn man hineinblickt, erkennt man zwei uniformierte Polizisten. Jemand kickt eine Flasche über den Platz und ruft: "Fick deine Mutter!". Zwei junge Türken versuchen eine lebensgroße Pferdestatue zu erklimmen. Der Versuch misslingt, einer der beiden flucht: "Du dreckiger Mohammed!". Der schwarze Ford fährt langsam vorbei und biegt ab.

Wenig später wird es ruhiger auf der Langen Straße. An der Busstation füllen sich die Wartehäuschen. Man schweigt. In der Wallstraße werden die letzten Stühle zusammengestellt. Der Glaser ist noch immer bei der Arbeit. Eine Weile wird es noch dauern den Schaden zu flicken. Die Geschäftsleiterin, ihre Helfer und das Auge des Gesetzes schauen ihm dabei zu.

Nach fünf Tagen werden die Aufnahmen der Überwachungskameras gelöscht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • RJ
    Rolf Jordan

    Liebe Taz,

    ich bezieh mich auf die Printausgabe dieses Artikels.Was guter oder schlechter Journalismus ist, ist ja bekanntlich immer eine sehr subjektive Einschätzung. Der Boulevard lässt hier schön grüßen ("süßlicher Geruch hängt in der Luft", "Oft tragen sie ... viel zu kurze Röcke" ....) Außerordentlich bedenklich ist aus meiner Sicht das Arrangement des Fotos, der Überschrift und der Bildunterschrift. Ein Jugendlicher, der mir bekannt ist, ist auf dem Foto eindeutig und klar zu erkennen. Es ist eine Zufallsaufnahme vom Lefferseck, der auch ein Treffpunkt von jugendlichen Punks... ist. Diese Jugendlichen hängen dort ab, nerven vielleicht gelegentlich mit Schnorrerei und sind ansonsten vollkommen harmlos. Gleichwohl sind sie natürlich für viele "störend" , passen sie doch gar nicht ins schöne Bild der Konsummeile. Sie sind von der Videoüberwachung direkt betroffen. Das Arrangement von Foto und Text suggeriert, dass die abgebildeten Personen verantwortlich sind dafür, dass "randaliert wird und Scheiben zu Bruch gehen". Das ist vollkommener Unsinn und verletzt die Persönlichkeitsrechte der unverpixelt abgebildeten Jugendlichen massiv. Aus meiner Sicht ein Fall für den Presserat, auch weitergehende juristische Schritte halte ich aus Sicht des Jugendlichen nicht für undenkbar. Auch wenn keine Absicht zu vermuten ist: Das ist mieser Journalismus.

    Mit freundlichen Grüßen

    Rolf Jordan

  • RB
    Ruudd ben Saide

    Das Problem kann man nicht mit Kameras lösen. Dafür aber mit guter und Ernst gemeinter Sozialpolitik.