Überwachung im Stadion: Vermessene Vermessung
Der CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, will Gesichtsscanner in Stadien einsetzen. Das ist selbst der Polizei-Gewerkschaft GdP zu viel.
![](https://taz.de/picture/229037/14/stadionscanner03022012.jpg)
Es sei beängstigend, sagt Philipp Markhardt, wenn jemand in einer Demokratie solche Gedanken habe. "Das ist komplett antidemokratisch." Markhardt, Fan des HSV und Sprecher der Initiative ProFans, echauffiert sich über Lorenz Caffier, CDU-Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern.
Caffier, seit Jahresbeginn auch Vorsitzender der Innenministerkonferenz, lässt derzeit in einer Machbarkeitsstudie prüfen, ob Gesichtsscanner am Stadioneingang zum Einsatz kommen dürfen. Es gehe nicht um die Erfassung aller Besucher eines Fußballspiels, rechtfertigt sich Caffier, "die Bilder sollen mit Daten schon erfasster Straftäter abgeglichen werden, um sie so fernzuhalten".
Caffier will in erster Linie "Gewaltchaoten" und "Pyromanen" aussortieren. "Mir geht es allein darum, dieses Gefahrenpotenzial durch den Einsatz moderner Technik zu verringern, zum Nutzen der übergroßen Mehrheit der Besucher."
Die rechtsextreme Szene ist ein wichtigeres Problem
Markhardt, Mitglied der Hamburger Ultra-Gruppierung Chosen Few, hält das für Populismus und rät Caffier, sich lieber um wichtigere Probleme in Mecklenburg-Vorpommern zu kümmern - die rechtsextreme Szene, die etwa in dem Dörfchen Jamel ihre Bratwürste auf einen Grill mit der Gravur "Happy Holocaust" lege. "Das sind die wahren Probleme, nicht wir Fußballfans", findet Markhardt.
Ähnlich sieht es der Fanbeauftrage von Borussia Dortmund, Jens Volke. "Der Fußball wird von Sicherheitspolitikern benutzt, um auch mal eine Bühne zu finden", sagte er unlängst auf dem Fankongress in Berlin.
Caffier wird in der Innenministerkonferenz unterstützt von seinen Stellvertretern und CDU-Parteikollegen Uwe Schünemann (Niedersachsen) und Boris Rhein (Hessen). Sie setzen gleichfalls auf Repression. Rheins Idee: Künftig sollen die Arbeitgeber gewaltbereiter Fans über die Verfehlungen ihrer Mitarbeiter informiert werden, bei jugendlichen Tätern sollen die Lehrer Bescheid bekommen. Ganz ähnlich Schünemann: Er spricht sich wie die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) für lebenslange Stadionverbote aus.
Sensible Orte wie Fußballstadien und Friedhöfe
Mitglied der Innenministerkonferenz ist auch Reinhold Gall (SPD) aus Baden-Württemberg. Im vergangenen Jahr stoppte er einen geplanten Feldversuch mit Gesichtsscannern im Stadion des Karlsruher SC.
Eine kleine Anfrage der Grünen-Landtagspolitiker Alexander Salomon und Wilhelm Halder zu dem Projekt "Parallele Gesichtserkennung in Videoströmen (PaGeVi)" des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) beantwortete Gall: "Da beim Einsatz (des Scanners) personenbezogne Daten (automatisch) erhoben, verarbeitet und genutzt werden, bedarf es dafür jeweils einer Rechtsgrundlage oder einer datenschutzrechtlichen Erfordernissen genügenden Einwilligung der Betroffenen." Das Polizeigesetz enthalte keine derartige Rechtsgrundlage. Besondere Vorsicht sei beim Einsatz dieser Techniken an "sensiblen" Orten wie Fußballstadien, Friedhöfen oder Flughäfen geboten, warnt Gall.
Ablehnung allerorten
"Das Projekt Gesichtserkennung erinnert mich an George Orwell, es ist unverhältnismäßig und ein Eingriff in persönliche Freiheiten", sagt Fanvertreter Markhardt. Ein mulmiges Gefühl beim Thema Gesichtsscanner haben aber nicht nur Fußballfans.
Auch der Chef der Deutschen Fußball-Liga Reinhard Rauball findet den Einsatz dieser Hightech-Überwachungsmethose fragwürdig. "Alle Zuschauer vor einem Spiel zu scannen - das ist aus meiner Sicht weder zumutbar für die überwältigende Mehrheit der friedlichen Fußballfans noch praktikabel für die Vereine", sagt Rauball.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP), nicht zu verwechseln mit der DPolG, lehnt die Pläne ab. "Es ist Irrsinn, ein Sicherheitssystem aufzubauen, das nur über totale Überwachung funktioniert, insbesondere wenn eine Rechtsgrundlage fehlt", wird GdP-Chef Bernhard Witthaut in einem Interview zitiert. Es sei doch bezeichnend, sagt Philipp Markhardt, wenn selbst die GdP "so was ablehnt".
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