Überwachung beim Shoppen: Kuckuck! Hier oben!
In einigen Real-Supermärkten analysieren Kameras die Gesichter der Kunden in der Warteschlange. Und jetzt regen wir uns auf – oder was?
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Ein bisschen ärgerlich ist es schon. Man kann ja nirgendwohin mit seinem Gesicht, wenn man an der Supermarktkasse steht und eben auf einen Bildschirm guckt, der einen dann auch noch mit Werbung belatschert. In 40 Testsupermärkten der Kette „Real“ wird in dieser Zeit genau dieses Gesicht analysiert: Geschlecht, geschätztes Alter, Dauer des Starrens auf den Werbebildschirm – all das wird seit vergangenen Herbst erfasst. Um zielgruppenorientiertere Werbung anzuzeigen.
Berichte darüber plus die reflexhafte Kritik von Datenschützern haben offensichtlich ausreichend Gegenwind erzeugt, um die Unternehmenskommunikation von Real ein wenig nervös zu machen. „Real lässt Gesichter von Kunden analysieren“, betitelte Spiegel Online einen entsprechenden Bericht am Montagabend – eine Überschrift, die ein Real-Pressesprecher gegenüber der taz als „missverständlich“ bezeichnete: Neinnein, nicht Real selbst tue dies, man stelle einer Firma aus Augsburg lediglich die Möglichkeit zur Verfügung, eine Blickkontakterfassung von Werbebildschirmen im Kassenbereich zu testen. Automatisiert. Anonym. Verschlüsselte Übertragung. Kein Recht am eigenen Bild werde verletzt, keine personenbezogenen Daten erhoben. Die Kunden seien via eine gut sichtbare Hinweisbeschilderung „Dieser Markt wird videoüberwacht“ informiert.
Inwiefern es besser ist, wenn nicht der Real-Konzern selbst die Gesichter seiner Kunden analysiert, sondern er dies in seinen eigenen Läden einem dritten Konzern erlaubt, das weiß wohl nur die Unternehmenskommunikation selbst.
Nun ist Real nicht der erste Konzern, der seine Kunden mit einem derartigen Service beglückt: das Onlineportal heise.de berichtete bereits im April, dass auch die Deutsche Post derartige Technologie testet – in Partnershops, die nebenbei einen Postschalter betreiben.
Auch hier sollen Kunden auf Basis von Gesichtsanalysen zu Geschlecht und Alter besser zugeschnittene Werbeclips vorgespielt bekommen. Was die Post davon hat? Laut heise.de teilt sie sich die Werbeeinnahmen mit dem Partnershop. Und der Kunde? Ja, äh … interessantere Werbung vielleicht?
Fast wie Nutzertracking
Die Logik hinter dieser Gesichtserkennung ähnelt ein wenig dem Nutzertracking, das bei der Onlinewerbung längst schon die entscheidende Währung ist. Google und andere Werbenetzwerke spielen Besuchern von Webseiten die Werbung aus, die ihnen als besonders zielgruppenrelevant erscheint – auf Basis aller Infos, die sie zuvor über Kunden gehamstert haben. Nur: Während Online-User fürs Stalking via Cookies und Co/Getracktwerden meist zumindest eine kostenlose Gegenleistung erhalten, wird Post- und Real-Kunden gar kein Vorteil mehr zuteil: sie werden einfach in aller Ruhe abgescannt, während sie Schlange stehen. Wem das nicht passt, der kann ja woanders Klopapier und Briefmarken kaufen.
Gesichtserkennung im öffentlichen Raum versuchen Innenpolitiker und Sicherheitsbehörden den Bürgern ja wenigstens noch mit dem Versprechen besserer Verbrechensbekämpfung und -aufklärung schmackhaft zu machen: Wenn wir nur wissen, wer alles so auf einem Bahnhof oder Flughafen herumläuft, können wir potenzelle Straftäter oder jene, die ein Algorithmus dafür hält, besser dingfest machen. Dass sich in diesem Zuge alle anderen auch nicht mehr unerkannt im öffentlichen Raum bewegen können – geschenkt. Gesichtserkennungs-Pilotversuche laufen längst: ab Herbst etwa am Berliner Bahnhof Südkreuz. Wie gut die entsprechende Technologie dafür bereits ist, weiß jeder, der auf seinem Smartphone schon mal Faces geswoppt oder den Bildschirm über biometrische Verfahren entsperrt hat.
Längst existieren Anwendungen, die am Gesichtsausdruck die Laune des Bildschirmguckers erkennen können. Beobachter wie die Internetsoziologin Zeynep Tufekci glauben, dadurch könnte es ökonomisch noch mal richtig interessant werden – indem man mitschneidet, wer so gut drauf ist, dass er noch ein paar Euro mehr für ein Produkt auf den Tisch legt. Was dann wahrscheinlich endgültig hieße, dass man sich ohne Hoodie und kameraverwirrendes Make-up nicht mal mehr in den Supermarkt trauen sollte.
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