: Überraschungserfolg für Pilsudski-Anhänger
Bei den polnischen Parlamentswahlen erzielen radikale nationale und klerikale Gruppierungen gute Ergebnisse Ex-Kommunisten und Demokratische Union liefern sich Kopf-an-Kopf-Rennen/ Polen im machtpolitischen Patt ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
Zwei Tage nach den ersten freien Parlamentswahlen seit mehr als vierzig Jahren kündigt sich in Polen eine Überraschung an: Die neusten Hochrechnungen sehen das Wahlbündnis der Ex-Kommunisten in Prozenten gemessen zwar weiterhin hinter der Demokratischen Union Tadeusz Mazowieckis, nach Mandaten haben sie diese jedoch bereits übertroffen. Die Union blieb mit knapp 12 Prozent somit weit hinter den Wahlprognosen von bis zu 20 Prozent zurück.
Der Union folgen mit Prozentsätzen zwischen 6 und 9 Prozent die radikale „Konföderation Unabhängiges Polen“, die „Zentrumsbewegung“, ein national-katholisches Bündnis und, recht abgeschlagen, der Liberaldemokratische Kongreß des bisherigen Regierungschefs Bielecki und die Gewerkschaft Solidarność.
Überrascht hat in Polen vor allem das gute Abschneiden radikaler Bewegungen, wie der Konföderation Unabhängiges Polen (KPN), deren Führer Leszek Moczulski bei den Präsidentschaftswahlen völlig abgeschlagen worden war. KPN hat sich vor allem durch seine Proteste gegen den Runden Tisch und durch radikale Forderungen nach einer Abrechnung mit den führenden Personen der PVAP sowie durch spektakuläre Demonstrationen und Besetzungen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Gute Ergebnisse für Abtreibungsgegner
Vor zwei Jahren stellte die Partei eigene „Schützengruppen“ für Straßenkämpfe auf, in deren Reihen Jugendliche eine paramilitärische Ausbildung erhalten. Die Partei sieht sich als Nachfolgerin der Pilsudski- Bewegung der Zwischenkriegszeit und pflegt einen regelrechten Kult des Marschalls, der Polen 1918 die Unabhängigkeit erkämpfte und das Land ab 1926 diktatorisch regierte. Im Wahlkampf hatte die Partei mit einer Splittergruppe der polnischen Grünen und dem „Polnischen Westbund“, einer nationalistischen Organisation, deren Programm gegen eine vermeintliche „Aufteilung Polens durch seine Minderheiten“ gerichtet war, lokale Bündnisse geschlossen.
Aus der nationalen Ecke kommt auch die „Katholische Wahlaktion“, die ebenfalls mit einem beinahe zweistelligen Ergebnis einen Überraschungssieg verbuchen kann. Ihr Hauptpfeiler bildet die „Christlich- Nationale Vereinigung“ des bisherigen Justizministers Chrzanowski, die von der Kirchenführung fast offiziell unterstützt wurde. Deren Abgeordnete verfochten bisher im Sejm das umstrittene Projekt für ein völliges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und traten dafür ein, christliche Werte in der Verfassung festzuschreiben. Besser als von den Demoskopen vorausgesagt — aber schlechter als es viele ihrer Wahlkämpfer erwartet hatten — hat dagegen die Zentrumsbewegung abgeschnitten, die von Präsident Walesa inoffiziell unterstützt worden war. Die Köpfe der Bewegung saßen außerdem als Staatsminister im Belvedere und als Minister in Bieleckis Regierung. Sie waren lokal zusammen mit der Gewerkschaft Solidarność angetreten, die es nur auf etwas über 5 Prozent brachte. Besser abgeschnitten hat die „Bauernpartei“, die früher als „Vereinigte Bauernpartei“ Bündnispartner der Kommunisten gewesen war und sich im Wahlkampf als eine der radikalsten Gruppierungen im Parlament gezeigt hatte. Die Bauernvertreter befanden sich zuletzt in einer Art Radikalopposition zur Regierung Bielecki. Enttäuschend abgeschnitten haben offenbar auch die Liberalen Bieleckis, die mit ca. 8% hinter ihren Erwartungen zurückblieben.
Union will Premier stellen
Tadeusz Mazowiecki hat inzwischen vorgeschlagen, eine breite Koalition aller der Solidarność-Bewegung entstammenden Parteien zu bilden. Mazowiecki hatte bereits vor den Wahlen — mit Blick auf sich und seine Partei — erklärt, die stärkste Partei müsse den Premier stellen. Präsident Walesa scheint diese Sichtweise nicht zu teilen. Er erklärte, er erwarte, daß das Parlament der Regierung und ihm das Regieren überlasse. Der Präsident muß nun einen Kandidaten mit der Regierungsbildung beauftragen. Die so entstandene Lage, in der eine Regierungsbildung schwierig und die künftige Regierung zwangsläufig instabil sein wird, kommt dem Konzept Walesas und seiner Anhänger, ein Präsidialsystem zu schaffen, sehr entgegen. Allerdings kann der Präsident zusätzliche Kompetenzen nur über eine Verfassungsänderung erhalten, die das Parlament zugestehen muß. Kommentatoren bezeichnen die derzeitige Lage daher auch bereits als Weg ins Patt. In jedem Fall wird die Regierungsbildung langwierig und schwierig sein. Innerhalb eines Monats nach der Wahl muß Walesa nach der Verfassung den Sejm einberufen. Beobachter bezweifeln schon jetzt, daß dieser dann tatsächlich die in der Verfassung vorgesehenen vier Jahre dauern wird. Zu seinen Aufgaben wird übrigens auch die Erarbeitung einer neuen Verfassung anstelle der bisher nur überarbeiteten einstmals stalinistischen Verfassung gehören.
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