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Überraschung für die Ungetüme

Ein kleiner Flitzer führt Denver in der Super Bowl XXXII zum 31:24-Sieg gegen Green Bays Riesen, und Quarterback John Elway darf sich endlich als Gewinner feiern lassen  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – „Er kann glücklich sterben“, pries gestern ein wenig voreilig die Zeitung USA Today jenen Quarterback, der es am Sonntag mit 37 Jahren vermied, als eine der größten Flaschen des American Football in die Geschichte einzugehen. 14 Jahre lang hatte John Elway wacker Regie bei den Denver Broncos geführt, zahllose großartige Spiele geliefert und eigentlich alles richtig gemacht – außer zu gewinnen. Genauer gesagt: die Super Bowl zu gewinnen, das einzige, was wirklich zählt in der National Football League (NFL). Dreimal hatte es Elway versucht, dreimal ließ ihn sein Team im Stich, und er ging als Verlierer vom Platz. Am Sonntag in San Diego, das wußte Elway, kam seine letzte Chance. „Ich dachte, mir gehen die Jahre aus“, sagte er nach dem 31:24-Sieg der Broncos gegen die Titelverteidiger und haushohen Favoriten von den Green Bay Packers.

Ironischerweise war es nicht eine brillante Vorstellung von John Elway, welche die Super Bowl XXXII entschied, und davon, als Krönung zum „wertvollsten Spieler“ (MVP) der Partie gewählt zu werden, war er meilenweit entfernt. 12 von 22 Pässen kamen an, brachten insgesamt 123 Yards, keiner führte zu einem Touchdown. Zum größten Teil bestand die Tätigkeit des Denver- Quarterbacks darin, den Ball zügig und unauffällig an seinen Running Back Terrell Davis weiterzureichen, der durch die Abwehrreihen der Packers hetzte wie ein Wiesel durch eine Büffelherde. Anders als die San Francisco 49ers, die im Halbfinale versucht hatten, mit Steve Youngs weiten Würfen zum Ziel zu kommen und dabei jämmerlich gescheitert waren, ging Denver der glänzenden Paßverteidigung von Green Bay aus dem Weg und setzte voll auf das Laufspiel. Mit Erfolg. Davis, der beim Draft 1995 erst als 196. Spieler gewählt worden war, weil man ihn für zu klein hielt, erlief 157 Yards, obwohl er das zweite Viertel wegen einer leichten Gehirnerschütterung und heftiger Kopfschmerzen verpaßte. Als erster Spieler schaffte es der 25jährige, in einer Super Bowl drei Touchdowns herauszulaufen, und natürlich war es kein anderer als er, der zum MVP gekürt wurde.

Zu verdanken hatte Davis seinen unverhofften Freiraum fünf Schwergewichten, die man in den Wochen vor der Super Bowl einhellig als zu leicht befunden hatte. Während in Green Bays Defensive mit Gilbert Brown und Reggie White zwei veritable Monster von 345 bzw. 305 amerikanischen Pfund auf den schmächtigen Davis lauerten, stand in Denvers „Offensive Line“ kein einziger Spieler, der die 300-Pfund-Marke erreichte. Das sorgte im Vorfeld für reichlich Gespött und einen gehörigen Zorn bei den angeblichen Hänflingen. „Wir hatten es satt, die ganze Zeit zu hören, wie groß sie sind und daß wir nichts gegen sie ausrichten könnten“, sagte Brian Habib voller Genugtuung, nachdem er gemeinsam mit seinen Kollegen die Packers-Giganten säuberlich aus dem Weg von Terrell Davis geräumt hatte. „Sie haben phantastisch gespielt, ich kann es kaum glauben“, lobte der Running Back seine Bewacher anschließend in höchsten Tönen.

Natürlich trug auch John Elway seinen Teil zum Sieg bei, wenn auch nicht mit spektakulären Pässen, sondern mit zwei rasanten Läufen. Nachdem Davis die schnelle Führung der Packers im ersten Viertel ausgeglichen hatte und die Broncos nach einem Fehlpaß von Packers-Quarterback Brett Favre wieder bis zur Endzone vorgedrungen waren, täuschte Elway eine Ballübergabe an Davis an. Während über diesem eine rund tausend Pfund schwere Woge von Leibern zusammenschlug und ihm besagte Kopfschmerzen einbrachte, lief Elway unbehelligt zum Touchdown, und es stand 14:7. Im dritten Viertel lieferte Elway dann eine Kostprobe jener Kühnheit, die ihm in seiner Karriere manche Blessur eingebracht hat und die Coach Mike Shanahan eigentlich aus seinem Repertoire verbannt hatte. Als er keine Anspielstation fand, rannte er selbst los und hielt auch nicht inne, als sich drei Abwehrungetüme aus Green Bay vor ihm aufbauten. Statt sich, wie es die meisten anderen Quarterbacks getan hätten, fallenzulassen oder ins Aus zu laufen, versuchte er die Sperre zu überspringen, krachte mit Wucht zu Boden, hatte aber jenen „First Down“ herausgeholt, der zum 24:17 durch Davis führte.

Die Frage, die sich die meisten Zuschauer im Qualcomm Stadium zu diesem Zeitpunkt stellten, lautete: Was ist mit Green Bay los. Die Packers wußten es am Ende selber nicht. „Das ist Football“, sagte Coach Mike Holmgren, „manchmal gewinnst du eben nicht.“ Tight End Mark Chmura meinte bündig: „Sie haben einfach die nötigen Spielzüge gemacht.“

Den letzten 28 Sekunden vor Schluß, als Linebacker John Mobley einen Favre-Paß ablenkte und sein Team in Ballbesitz brachte. Damit war die Super Bowl XXXII entschieden, und jetzt stand er doch wieder im Mittelpunkt: John Elway, der das Image des ewigen Verlierers endlich losgeworden war. „Auf seltsame Art bewundere und mag ich ihn“, mußte sogar Packers-Coach Mike Holmgren zugeben. „Ich wünschte nur, er hätte es nicht gegen mich getan.“

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