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Überleben im Herzen Schleswig-HolsteinsDie A7 in der Blutbahn

Das Meer ist das Urlaubziel der Reisenden. Ins Niemandsland an der Autobahn will kaum jemand. Dabei ist es da gar nicht schlimm. Oder doch?

Graues Band: die A7 zwischen Bad Bramstedt und Kaltenkirchen Foto: Daniel Reinhardt/dpa

A7 taz | Niemand sollte den Ort kennen, in dem ich aufgewachsen bin. Kaltenkirchen, Hamburger Speckgürtel, 23.000 Einwohner:innen, keinerlei Sehenswürdigkeiten, es sei denn, man interessiert sich für Gedenkstätten von KZ-Außenstellen. Oder die Schule, auf der Beatrix von Storch Abitur gemacht hat. Das ist die AfD-Politikerin, die 2016 sagte, man müsse an der Grenze nach Deutschland flüchtende Kinder erschießen dürfen. Auch die Landschaft bietet keinen Anlass, einen Abstecher in meine schleswig-holsteinische Heimat zu machen. Flache Äcker und Wiesen, Knicks, bisschen Wald, bisschen irgendwas. Nicht schlimm, aber es gibt Aufregenderes.

Und doch, bei vielen klingelt es, wenn sie den Ortsnamen hören, und einige wissen auch, warum. „Eine Autobahnabfahrt, oder?“, sagen die Dänemark- und Syltreisenden, andere kennen den Shoppingpark Dodenhof oder das Spaßbad Holstentherme. Und wer sich für Privatbahnen interessiert, weiß, dass AKN der Name der Vorortbahn ist, die ursprünglich mal Altona, Kaltenkirchen und Neumünster verbunden hat. Kaltenkirchen hat drei Haltestellen; das Spaßbad und eine Großraumdisco bekamen je eine eigene.

Das Städtchen, von Be­woh­ne­r:in­nen auch zärtlich Kaki genannt, ist enorm erfolgreich im Anwerben von Dienstleistungsunternehmen: 32 Jahre nach Schließung der KZ-Außenstelle machte Ikea für knappe zehn Jahre Station, als eins der ersten Häuser in Deutschland. Das alles liegt vor allem an der Nähe zur Autobahn. Bis ins City Center von Kaltenkirchen sind es keine zwei Kilometer. Das Rauschen der A 7 ist der Sound meiner Kindheit und Jugend, sie fließt durch meine Blutbahn.

In diesem Artikel könnte es aber auch um Neumünster gehen oder irgendeinen der anderen Orte in der Mitte des nördlichsten Bundeslands, also um alle, die sich so weit weg von den Küsten oder der Holsteinischen Schweiz mit ihren Hügeln und Seen befinden, dass das Stadtmarketing ihre Lage als „im Herzen Schleswig-Holsteins“ beschreibt. Wobei das Herz hier im Verdauungstrakt liegt.

Das heißt nichts anderes als: Sie wollen überall Urlaub machen, aber ganz bestimmt nicht hier. Gut, das denken viele auch über die Nordseeküste. Sandstrände hat diese fast nur auf den Inseln (Ausnahme, Achtung: Pellworm), und das, was Theodor Storm über seine Heimatstadt Husum dichtete, gilt für die gesamte Nordseeküste. „Am grauen Strand, am grauen Meer / Und seitab liegt die Stadt“ ist eine zurückhaltende Umschreibung des Sprichworts: „Hier möchte man nicht tot über’m Gartenzaun hängen.“ Aber immerhin: das Meer.

150 Kilometer der A 7 verlaufen durch Schleswig-Holstein

Doch nicht einmal das gibt es im Niemandsland entlang und westlich der A 7, der längsten Autobahn Deutschlands, die auf 150 Kilometern Schleswig-Holstein in der Längsachse durchquert, parallel zum historischen Ochsenweg, auf dem unter anderem Vieh von Dänemark in die schleswig-holsteinischen Marschweiden getrieben wurde. Eine nennenswerte Querverbindung existiert nicht, was auch daran liegt, dass Schleswig-Holstein so schmal ist wie ein Reihenhausgarten. Und wer aus der Traufe Bordesholm kommt, will ganz bestimmt nicht nach Heide in den Regen.

Mit Ausnahme der Grünen und der Linken glauben aber alle Parteien, dass Schleswig-Holstein unbedingt mehr Autobahnkilometer braucht. Deshalb wird seit 1998 an der westlichen Fortsetzung der A 20 gebaut. In einem großen Bogen um Hamburg herum soll die sogenannte Küstenautobahn Polen mit den Niederlanden verbinden, aber seit 2013 ist der Bau kurz vor Bad Segeberg gestoppt. Fledermäuse.

Und wenn ich an die A 20 denke, dann werde ich doch ganz schön gallig, weil die mitten durchs Schmalfelder Moor gebaut werden soll, ins Kaltenkirchener Hinterland. Dort ist es trotz des Autobahnrauschens eigentlich ganz reizvoll, und das nicht nur wegen der „Jugend Zauber“, wie sich Storm Husum schönredete. Und wenn man mal was anderes sehen will, ist da ja zum Glück die A 7. Die ist Teil der Europastraße 45 und verbindet das norwegische Alta nördlich des Polarkreises mit Gela an der Südküste Siziliens. Und Kaki mittenmang.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Im Inneren von SH gibt es aber auch Schönes zu entdecken:



    Den Tierpark Arche Warder zum Beispiel. Von Hamburg Hbf aus ohne Umsteigen mit der RB bis Nortorf fahren und dort mit dem Bus oder dem Fahrrad weiter reisen.



    Noctalis in Bad Segeberg ist auch schön. Von Hamburg aus machen wir mit der Bahn gerne einen Tagesausflug dorthin. Die Fahrt ist etwas umständlich, aber es ist machbar.



    Schleswig eignet sich auch als Urlaubsort: Haithabu und mit kleineren Kindern zum Freizeitpark Tolkschau. Schleswig selbst hat schöne Spielplätze, in der Region gibt es viel zu entdecken.

  • Mehr Straßen, mehr Autos, mehr Dreck und Lärm, mehr C02, mehr Kranke und Behinderte, schlechteres Klima, mieseres Wohnen usw. usf.

  • Die Ansicht über die A 7 ist beispielhaft für den Blick über das Lenkrad, der nur geradeaus verläuft und allenfalls noch die Nemen der Autobahnabfahrten zur Kenntnis nimmt. Ein Plädoyer dafür, die blinde Raserei zugunsten des Blicks aus einem öffentlichen Verkehrsmittel einzustellen. Mein Heimatland hat viele von der Natur geschaffene Erholungsgebiete auch abseits der Küsten anzubieten, so zum Beispiel die Seenlandschaft um Plön oder Malente oder die in den letzten beiden Jahren so trendige Schleiregion, wo Tourismuslenker viel zu tun hatten. Aber auch das Inland mit dem Naturpark Aukrug sind lohnenswerte Ziele. Einzige wirklich wichtige Bedingung dabei: Es muss eine Infrastruktur geschaffen werden, die das Reisen und Ankommen ohne Auto erleichtert: Da werden dann viele Helfer und im Tourismus Tätige gebraucht, die Transfers und Willkommen, Ausflüge und Naturbeobachtungen organisieren, Fahrräder verleihen und dabei Voraussetzungen schaffen, dass es gepflegte, geprüfte und leicht zu buchende Unterkünfte gibt, wo die Urlauber erkennen, es gibt auch andere Ziele ohne überfüllte Strände und Parkplätze.Im Hinterland finden sie Ruhe und Erholung und sind gern gesehene Gäste, von denen die einheimische Wirtschaft auch profitiert. Die A 7 ist gegenüber einer weiter zu verbessernden Schieneninfrastruktur nur ein Hindernis für diejenigen, die auch einmal Land und Leute wirklich kennenlernen und Staus vermeiden möchten.

  • SWH ist eine wunderschönes Land, für Menschen, die den weiten Blick lieben und einen großen Himmel, selten befahrene Strassen, kleine Orte mit schönen altern Häusern und romantischen Marktplätzen, und Seen satt.

    • @Gegenklang:

      weiten Blick und großen Himmel…wir sprechen die gleiche Sprache 🙂



      Ich glaube, ich muß da unbedingt mal hin.



      Bisher hab ich es nur in die Plöner Gegend und einmal nach Kiel geschafft. Und das war schon sooo schön.