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„Überflüssiges Votum“

■ Osteuropa-Experte Wolfgang Eichwede kritisiert Föderationsratsentscheidung

Als „unglückliche und überflüssige Entscheidung“hat der Bremer Osteuropa-Experte Wolfgang Eichwede die gestrige Entscheidung des russischen Föderationsrates bezeichnet, die sogenannte Beutekunst zu russischem Staatseigentum zu erklären. Zudem sei das Votum, mit dem der Rat einen gleichlautenden Beschluß des Parlaments bestätigt hat, überraschend eindeutig ausgefallen, sagte der Direktor der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.

50 Jahre nach Kriegsende und ausgerechnet an Stalins Todestag mache man in Moskau eine Politik, als habe man gerade den Krieg beendet. Stalin selbst habe an ein solches Gesetz nicht gedacht, und die Tatsache, daß man damals Kulturgüter an die DDR zurückgegeben habe, zeige, daß man sie nicht als sowjetisches Eigentum betrachtet habe. Ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende wolle eine neue Elite in Rußland offenbar mit Hilfe eines solchen Gesetzes deutlich machen, wer den Krieg gewonnen habe.

„Das Gesetz ist aber auch nicht das Ende der Welt“, betonte Eichwede, der gleichzeitig auf den bevorstehenden Bonn-Besuch des Vorsitzendes des russischen Föderationsrates hinwies. Dabei müsse klargemacht werden, daß das Gesetz die deutsch-russischen Beziehungen belaste. Die deutsche Seite müsse weiterhin nach Gesprächspartnern in dieser Frage suchen und vor allem den völkerrechtlichen Aspekt der „Ungesetzlichkeit“im Gesetzestext ausloten.

Alle Gesprächspartner hätten ihm in Rußland signalisiert, sagte Eichwede, daß ein solches Gesetz weitere Gespräche nicht ausschließe. Hinter den jüngsten Entscheidungen verberge sich ein mögliches Motiv: „Die russische Seite will scheinbar auf jeden Fall den Preis hochtreiben.“

Allein aus den Beständen der Bremer Kunsthalle fehlen seit Kriegsende mehr als 3.000 Gemälde, Zeichnungen und andere Kunstwerke. Sie wurden teils offiziell durch die Rote Armee beschlagnahmt und andernteils durch Soldaten geplündert. Heute lagern die Kunstwerke verstreut in Museen sowie in privaten Sammlungen. Erst Anfang Dezember 1996 hatte ein anonymer Absender vier Zeichnungen aus dem Besitz der Kunsthalle nach Bremen zurückgeschickt.

Nach der Entscheidung des Föderationsrates hat jetzt nur noch Präsident Boris Jelzin die Möglichkeit, ein Veto einzulegen. Es kann aber von Zweidrittel-Mehrheiten in Parlament und im Föderationsrat überstimmt werden. dpa/taz

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