piwik no script img

Überfischung im MittelmeerDer Fischer als Gefahr

Die Fischbestände im Mittelmeer leiden und die marinen Ökosysteme leiden auch. Von einem gesunden Meer profitieren jedoch nicht nur seine Bewohner.

Der Fischer Gérard Genta erinnert sich an eine Zeit, als es dem Meer noch besser ging Foto: Anna Ballay

Mittelmeer, Katamaran „Waka“ taz | „Dein Job hat so viele Freiheiten! Wie glücklich du sein musst!“, erinnert sich Gérard Genta an die Kommentare von Tou­ris­t*in­nen aus seiner Anfangszeit als Fischer zurück. Heute dagegen würden er und seine Kollegen als Verbrecher wahrgenommen – als eine „Gefahr für die Gesellschaft“, sagt der Mittsechziger von der Insel Porquerolles in Südfrankreich. Damit sei gemeint: eine Gefahr für den ökologischen Zustand der Meere, so Genta. Davon ist auch der Ort betroffen, an dem er täglich seiner Arbeit nachgeht – das Mittelmeer.

Obwohl das Gewässer vor seiner Haustür nicht mal ein Prozent des gesamten weltweiten Meeresgebietes ausmacht, beherbergt das Mittelmeer laut der Meeresschutzvereinigung Med Sea Alliance eine der größten Biodiversitäten – Pottwale, Meeresschildkröten, Tiefseekorallen, Neptun-Gräser, aber auch beliebte Fischarten wie Dorade, Wolfsbarsch oder Thunfisch leben hier.

Gleichzeitig ist es auch eines der meist überfischten Meere der Welt. 70 Prozent der Bestände werden laut der Allgemeinen Kommission für Fischerei im Mittelmeer (GFCM) immer noch nicht nachhaltig befischt. Nachhaltig zu fischen bedeutet nur so viel Fisch zu fangen, dass sich die Populationen erholen können und die marinen Ökosysteme nicht langfristig beschädigt werden. Doch die Nachfrage nach besonders beliebten Fischarten wie beispielsweise dem Roten Thun sorgt dafür, dass er stark überfischt wird.

Die EU habe sich mit ihrer Reform der Fischereipolitik lange besonders auf gesündere Fischbestände in der Nordsee und im Atlantik konzentriert, sagt Domitilla Senni, Präsidentin und eine der Grün­de­r*in­nen der Mediterranean Recovery Action-Organisation. „Als 2013 die europäische Common Fish Policy erneuert wurde, vernachlässigte die EU weiterhin den Schutz des Mittelmeers“, kritisiert Senni – und das, obwohl zu dem Zeitpunkt bereits 90 Prozent der Fischbestände überfischt waren.

Regularien auf Schutz von Nordsee und Atlantik ausgelegt

Damit verlor das Mittelmeer enorm an Artenvielfalt, der Lebensraum verschlechterte sich und wichtige Ökosysteme wie Seegraswiesen oder Korallenriffe wurden durch fahrlässige Fischerei gefährdet. Denn die neuen Regularien wurden vorwiegend mit Fokus auf den Schutz der biologischen Ressourcen in Nordsee und Atlantik festgelegt.

Ein Grund, warum das Mittelmeer von der EU lange vernachlässigt wurde, ist, dass es lange als ein besonders schwieriger Fall galt – insgesamt teilen sich 25 Staaten die Küste des Mittelmeers. EU und Nicht-EU-Staaten mit unterschiedlichen politischen Situationen konnten sich nicht darauf einigen, wie sie die Fischerei einheitlich verwalten sollten, erklärt Senni.

Ein weiterer Grund wäre, dass sich die Vorgaben und Regularien, die überwiegend für die Nordsee und den Atlantik bestimmt wurden, nicht so leicht auf das Mittelmeer übertragen ließen, erläutert Senni. Athanassios Tsikliras, Professor für Fischbiologie und Fischerei an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki erklärt, das Mittelmeer sei ein stark diverses Ökosystem. Wegen des großen Artenreichtums schwimmen den Fischern fast ausschließlich gemischte Fänge ins Netz. In einem gewünschten Garnelenfang könnten zum Beispiel weitere kommerzielle Arten wie Seehecht oder Rotbarsch, aber auch Haie, Seekatzen oder Seesterne landen.

Während die Fischer in der Nordsee Schwärme ganz bestimmter Fischarten anpeilen, schwimmen den Trawlern im Mittelmeer bei einem Fang bis zu 200 verschiedene Arten ins Netz. Aus diesem Grund sei es im Vergleich zur Nordsee oder dem Atlantik quasi unmöglich, Vorgaben für Fischer zu machen und Quoten durchzusetzen, erklärt Tsikliras.

Überfischung der Bestände gesunken

Denn die industrielle Fischerei habe sich im Mittelmeer noch nicht so stark entwickelt wie in anderen Meeren. Doch gerade kleine Fischerboote unter 12 Meter machen bis zu 80 Prozent der Fischereiflotte im Mittelmeer aus. Diese wurden jedoch lange kaum oder gar nicht registriert, sodass die Fänge dieser Kleinfischer nicht nachverfolgt werden konnten.

Seit die EU jedoch beschlossen hat, den Zustand des Mittelmeers zu verbessern, lassen sich Veränderungen feststellen: Die Überfischung der Fischbestände ist laut der GFCM um etwa 15 Prozentpunkte gesunken, 75 Prozent gelten immer noch als überfischt. Das heißt, dass mehr Fische gefangen werden, als Nachwuchs produziert werden kann und die Fänge auch durch verstärkten Fischereiaufwand nicht mehr erhöht werden können.

Die Kontrollen und Vorschriften im Mittelmeerraum würden längst nicht ausreichen, um die Fischbestände nachhaltig zu schützen, sagt Tsikliras. „Die Vorschriften brauchen ein regelmäßiges Update, etwa wie viele Fische eines Fischbestandes gefangen werden dürfen. Diese Quoten wurden 1994 festgelegt, jedoch sind die Fischbestände wegen der Überfischung seitdem kleiner geworden“, erklärt er. Auch neue Technologien wie Sonars, die per Schallimpulse Fischschwärme unter Wasser besser aufspüren können, würden nicht berücksichtigt.

EU verfehlt Ziel, illegale Fischerei zu beenden

Eine weitere Bedrohung für marine Ökosysteme ist die illegale Fischerei. Diese beginnt schon beim Fischen mit stärkeren Schiffsmotoren oder größeren Netzen als erlaubt. Die Tricks einiger Fischer seien schwer zu überwachen, sagt Tsikliras. Die Vorschriften seien vorhanden, jedoch scheitere es an der Umsetzung durch die nationalen Hafenbehörden. Diese erlauben gewissermaßen illegale Fischerei. Die illegale Fischerei verdrei- bis vervierfache den Umsatz der professionellen Fischerei, erklärt der Forscher.

Unter illegaler, ungemeldeter und unregulierter Fischerei – kurz IUU-Fischerei – versteht man das Fischen mit verbotenen Fanggeräten, außerhalb von Sperrzeiten, innerhalb von Schutzgebieten. Auch wenn Fischer Fische fangen, für die sie keine Lizenz oder Fangquote haben, ist das IUU.

Die EU wollte diese illegale Fischerei zwar bis 2020 beenden. Dafür stellte die EU-Kommission insgesamt 580 Millionen Euro bereit, um Überwachungs-, Kontroll- und Durchsetzungsmaßnahmen zu fördern. Das Ziel wurde jedoch verfehlt – und auf 2027 verlegt. Die Umsetzung werde voraussichtlich sogar bis 2030 dauern, meint Tsikliras.

„Fisch wird immer knapper, und wenn nicht genügend Ressourcen vorhanden sind, um den wirtschaftlichen Bedarf zu decken, neigen Fischer dazu, Beschränkungen zu ignorieren“, sagt Meeresschützerin Senni. Deshalb brauche es vor allem abschreckende Sanktionen. Denn die Fischer kennen die Beträge der Bußgelder und können sie in ihr Budget einplanen. „Es gibt keinen Grund, warum ein Fischer, der erwischt wird, weiter fischen sollte, also sein Fahrzeug nicht verlieren sollte oder andere ernsthafte Maßnahmen, die einen zweimal nachdenken lassen, ob man es machen sollte“, argumentiert sie.

Mehr Schutzgebiete und mehr Sicherheit

Damit es auch in Zukunft genügend große Fischbestände für Fischer und Ökosysteme gibt, müssen laut Tsikliras mehr Schutzgebiete eingerichtet und die Sicherheit auf See gefördert werden. Dazu gehöre bessere eine Ausrüstung, beispielsweise zur Kommunikation auf See. Außerdem sollten möglichst alle Boote jederzeit überwacht werden. Ende Oktober 2023 stimmte das Europäische Parlament einer neuen Kontrollverordnung zu, laut der mit einigen Ausnahmen auch kleine Fischerboote und Freizeitfischer ihre Fänge bei den jeweiligen Hafenbehörden melden müssen. „Doch auch hier werden die Fischer Wege finden, die Kontrollen zu umgehen“, vermutet Senni.

Dass auch Fischer von strengen Vorschriften und Meeresschutzmaßnahmen profitieren, zeigt das „Jabuka Pomo Pit“ im Hauptfanggebiet von Italien und Kroatien. Das über 2.700 Quadratkilometer große Gebiet im Adriatischen Meer wird seit 2017 geschützt. Die Fischbestände können sich hier erholen, die Fänge in angrenzenden Gebieten werden immer größer – und auch die Größe der Fische legt zu.

Dieser Text entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der Okeanos Stiftung für das Meer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Wann kommen hier wieder die ersten "Tierschützer", die das Fischen, generell das Jagen, als notwendig ansehen? Ich sehe beim Fischen immernoch eines: Den Hunger der Menschheit stillen. Zu billigen Preisen und alles andere als artgerecht.

    Immer heißt es, der Mensch hätte in der Vergangenheit Schäden am Ökosystem verursacht, also sei die Jagd wichtig für den Artbestand. Glaube eher, es ist Prestige, einen 2 Meter langen Marlin als Trophäe mit nach Hause zu nehmen.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Hier eine Wildsau schießen und in Afrika eine Giraffe lässt sich auch nicht miteinander vergleichen.



      Der Hunger muss gestillt werde, allerdings könnte man es besser machen. Jetzt bitte nicht: "Und wie genau?"