Überfälle nach Anschlag in der Türkei: Parteibüros besetzt und demoliert
Nach dem Anschlag in Kayseri greifen Nationalisten Büros der pro-kurdischen HDP an. Kurden sprechen von einer „Pogromstimmung“.
Wenige Stunden später marschierte ein nationalistischer Mob vor das Gebäude der pro-kurdischen Partei HDP in Kayseri und beschoss das Haus mit Feuerwerkskörpern. Die Menge drang in das Gebäude ein, zerstörte die Einrichtung und hängte eine große türkische Fahne aus dem Fenster.
Der Angriff auf das HDP-Gebäude fand überall im Land Nachahmer. Am Schwarzen Meer in Samsun, in Erzurum, Ankara, Kocaeli und Istanbul wurden am Samstagabend und in der Nacht zu Sonntag Büros der HDP angegriffen. Dabei wurde niemand verletzt, weil die Räume nicht besetzt waren.
Die Soldaten in Kayseri hatten Wochenendausgang und fuhren mit einem öffentlichen Bus ins Stadtzentrum, als ein mit einer Bombe beladenes Auto an einer Haltestelle direkt neben dem Bus stoppte und der Fahrer eine mehrere hundert Kilo schwere Bombe zündete. 13 Soldaten waren sofort tot, einer starb später im Krankenhaus.
„Im Rechtsstaat gibt es keine Selbstjustiz“
Die Soldaten kamen aus einer Luftwaffenkaserne, in der auch Fallschirmjäger stationiert sind, die in den kurdischen Gebieten im Kampf gegen die PKK eingesetzt werden. Aufgrund der Zusammensetzung der Bombe und dem Ziel des Anschlages gehen Polizei und Regierung davon aus, dass die PKK für die Tat verantwortlich ist.
Die Tat löste Entsetzen, aber auch eine gewisse Ratlosigkeit aus. Allen martialischen Ankündigungen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum Trotz bombt die PKK weiter. Erdoğan hatte zuletzt sogar von einer allgemeinen Mobilmachung gesprochen. Später sprach er von einem Aufruf an das ganze Volk. Alle sollten künftig noch wachsamer sein und Vorkommnisse den Behörden melden.
Angesichts dieser Rhetorik und der Ohnmacht gegenüber Attentätern droht die Wut in der Bevölkerung in offene Ausschreitungen gegen Kurden umzuschlagen. Der deutsch-türkische HDP-Politiker Ziya Pir sprach von einer „Pogromstimmung“, die sich breitmache, unabhängig davon, dass die HDP sich entschieden von den Anschlägen distanzierte.
Besonnene Regierungsvertreter und bekannte Anhänger der AKP warnten aber auch davor, jetzt gegen die HDP oder andere Kurden vorzugehen. Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu, der dem Menschenrechtsausschuss im Parlament vorsitzt, verurteilte die Angriffe auf die HDP und rief dazu auf, die Täter anzuzeigen. „Im Rechtsstaat gibt es keine Selbstjustiz“, schrieb Yeneroğlu auf Twitter. Auch in Fernsehdiskussionen wurde zur Besonnenheit aufgerufen. Sogar eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit der PKK kam zur Sprache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!