Überblick zur Berlin Art Week: Kunst als Beweismittel
In Berlin läuft die Art Week. Das Programm ist voller denn je. Empfehlenswert ist besonders eine Ausstellung von Brücke-Museum und Schinkel Pavillon.
In den ersten Tagen des russischen Angriffskriegs begann die ukrainische Künstlerin Dana Kavelina, auf einem Telegramkanal Bilder von Künstler*innen des Expressionismus zu posten: Weil diese die Einzigen seien, die das zeigten, was sie gerade erlebte. So erzählt es die Kuratorin Katya Inozemtseva bei einer Vorbesichtigung von „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ im Berliner Brücke-Museum.
Sie beschreibt damit schon ziemlich gut, worum es in der Ausstellung geht, an deren zweiten Standort im Schinkel Pavillon auch eine Installation von Kavelina zu sehen ist: Die Schau sucht Antworten auf die Frage, was der Krieg mit der Kunst macht. Ästhetisch oder auch in dem, was Kunst sein kann, Ausdrucksmittel, Dokument, vielleicht sogar Beweismittel für Verbrechen.
Das Konzept entstand vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, bezieht sich aber auch auf die Adresse des Schinkel Pavillons: Der Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst befindet sich im Garten des Kronprinzenpalais, in dem ab 1919 die „Galerie der Lebenden“ der Nationalgalerie untergebracht war, bis die Nationalsozialisten diese schlossen und dort gezeigte Arbeiten – viele davon sind heute in der Sammlung des Brücke-Museums – beschlagnahmten oder vernichteten.
Von der künstlerischen Moderne zur Gegenwartskunst
An beiden Standorten führt die Ausstellung Arbeiten von Künstler*innen aus der Moderne und dem Hier und Jetzt zusammen, unter anderem von Käthe Kollwitz, Hannah Höch, Etel Adnan, Simone Fattal, Ernst Ludwig Kirchner, Johanna Schütz-Wolff und Nora Turato.
Die meisten von ihnen schöpfen aus persönlicher Betroffenheit. Wichtig war das der Kuratorin. Auch sie selbst hat ihr Land kürzlich verlassen: Bis zum Ausbruch des Krieges war sie Chefkuratorin am Garage Museum in Moskau, heute lebt und arbeitet sie in Mailand.
Die zeitgenössischen Arbeiten entstanden zum Großteil für die Ausstellung, teils in Dialog mit denen aus der Moderne; Isaac Chong Wai etwa fertigte mit Atemspuren Hommagen an Bilder von Felix Nussbaum und Käthe Kollwitz an. Als kaleidoskopisch bezeichnet Inozemtseva die Ausstellung, was es gut trifft, denn jede einzelne Position wirft ein persönliches Licht auf das Thema, zusammen ergeben sie ein Bild. „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ ist auf vielen Ebenen außergewöhnlich. Unbedingt sollte man sich trotz der Entfernung der Ausstellungsorte beide Teile ansehen.
Ertragreiches Joint Venture
Eröffnet wurde die Schau zur Berlin Art Week, die noch bis zum Wochenende läuft. Als „Joint Venture“ zwischen Institutionen wurde sie in deren Rahmen gesondert gefördert. Das passiert jedes Jahr, selten ging es dabei aber um so unterschiedliche Häuser wie 2023, umso mehr zeigt sich, wie ertragreich das sein kann.
Die Berlin Art Week wurde 2012 als Rahmenprogramm für die Kunstmesse art berlin contemporary beziehungsweise Art Berlin gegründet. Die Messe gibt es seit ein paar Jahren schon nicht mehr, der Fokus musste sich verschieben. Gewachsen ist die Großveranstaltung mit großzügiger finanzieller Unterstützung sowohl von Kultur- als auch Wirtschaftssenat. Irre umfangreich ist das Programm in diesem Jahr, mehr als 100 Partner*innen sind 2023 beteiligt.
Alle, die sich einfach so an den Termin mit dranhängen, noch nicht mitgezählt. Das Gallery Weekend ist erstmals im offiziellen Programm dabei, die Neue Nationalgalerie hat einen temporären Garten installiert, in dem Performances und Talks stattfinden. Im HAU zeigt die LAS Art Foundation die Flötenoper „Gorgon“ der Künstlerin Marianna Simnett – ein visuell und musikalisch durchaus faszinierendes Stück, das griechische Sagen mit künstlicher Intelligenz zusammenbringt, inhaltlich aber selbst dann verwirrt, wenn man die Broschüre gelesen hat.
Geschichte des D.A.A.D.-Künstlerprogramms
Überzeugend sind bei der Berlin Art Week oft gerade Projekte, die sich auf Berlin als Standort oder die eigene Geschichte beziehen. Hochinteressant ist daher auch eine weitere Ausstellung, die in Kooperation mehrerer Institutionen entstanden ist. „If the Berlin Wind Blows My Flag“ läuft in der daad Galerie, der n.b.k. und der Galerie im Körnerpark und arbeitet erstmals die Geschichte des Künstlerprogramms des DAAD auf.
Um die Rolle der Ford Foundation bei der Gründung des Residenzprogramms etwa geht es und um die Art und Weise, welche künstlerischen Positionen ausgewählt wurden und welche nicht. Leider läuft man in den drei Ausstellungen Gefahr, sich zwischen all dem Archivmaterial zu verlieren, an der Vermittlung hapert es, zu viel wird vorausgesetzt. Sowohl das internationale Kunstpublikum als auch das breite, lokale zu adressieren, bleibt eben Herausforderung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos