■ Über eine Woche dauert nun schon das grausame Morden auf Osttimor, doch erst gestern erklärte sich Indonesiens Präsident Habibie bereit, eine UN-Friedenstruppe auf der Insel zu akzeptieren. Die Soldaten dürfen freilich nur aus „befreundeten“ Staaten kommen: Den Mördern bleibt noch viel Zeit
„Entschuldigen Sie die Verspätung“, bat Präsident B. J. Habibie in ungewollter Ironie gestern. Gerade hatte er – mit einer Stunde Verzögerung – vor den Fernsehkameras seine in Indonesien so umstrittene Entscheidung verkündet: Jakarta akzeptiert das Angebot „befreundeter Staaten“ und der UNO, Friedenstruppen nach Osttimor zu schicken.
Das scheint eine Kehrtwende um 180 Grad zu sein. Die Tücke steckt allerdings im Detail: Wann und wie die Blauhelme kommen, ist noch nicht bekannt. Außenminister Ali Alatas hatte bislang im Namen seiner Regierung jeden Gedanken an ausländische Truppen abgelehnt. Gestern jedenfalls stand der Minister bleich und mit starrer Miene in der Reihe seiner Kabinettskollegen, als Habibie redete. Auch die erbitterten Blicke von Militärchef General Wiranto und der Chefs der Streitkräfte sprachen Bände: Sie hatten bislang überdeutlich gemacht, dass sie eine ausländische Intervention als schwere nationale Schmach empfinden würden.
Unter den Zuhörern im Präsidentenpalast waren auch die fünf Abgesandten des UNO-Sicherheitsrates, die am Samstag in Begleitung von General Wiranto die osttimoresische Haupstadt Dili besucht hatten. Nach ihrer Rückkehr hatten sie mit ihrem Entsetzen nicht hinterm Berg gehalten: Die „Hölle auf Erden“ nannte der Brite Jeremy Greenstock Dili. Ganze Viertel sind niedergebrannt, geplündert, die Häuser verwüstet und menschenleer. Zerstörte Möbel, Kühlschränke, aufgerissene Kartons liegen im Freien herum. Soldaten, Polizisten und Milizen beherrschen die Straßen.
In den kleinen Ort Dare, zehn Kilometer südlich von Dili, wo etwa 30.000 Flüchtlinge Schutz gesucht haben, durften die UNO-Gesandten nicht reisen. Begründung: Es sei nicht sicher genug. So konten sie nicht überprüfen, was dort am Wochenende geschehen sein soll: Soldaten und Milizen hätten in die Menge geschossen, berichteten Zeugen, die sich in der Nähe versteckt haben. Indonesiens Armeesprecher tat, was er am besten kann: Er dementierte. Die Berichte seien „übertrieben“.
Über eine Woche ist es her, seitdem die jüngste Welle der Gewalt über Osttimor hereinbrach: Aus Wut über das verlorene Referendum, bei dem sich 78,5 Prozent der Osttimoresen für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatten, begannen proindonesische Milizen ihr lange angedrohtes „Blutbad“ wahr zu machen. Mindestens 600 Menschen, so schätzen UNO-Beobachter, sind inzwischen in Osttimor ermordet worden, wahrscheinlich sind es tausende.
Im belagerten Gebäude der UNO-Mission für Osttimor (Unamet), wo sich noch etwa 60 Unamet-Mitarbeiter und rund tausend Flüchtlinge aufhalten, schwankte die Stimmung nach der Rede Habibies gestern zwischen Hoffnung und Angst. Hoffnung, mit Hilfe von außen überleben zu können – Angst, dass es in dieser Nacht noch zu einer Rache-Attacke der Milizen kommen könnte.
200.000 Menschen, ein Viertel der gesamten Bevölkerung, sind inzwischen aus ihren Häusern, Städten und Dörfern vertrieben worden. Über 80.000 hätten Osttimor verlassen, sagte der gerade eingesetzte Militärchef für Osttimor, Kiki Syahnakri, der Jakarta Post vom Sonntag. Über 120.000 Menschen warten nach Angaben des Militärs noch in Übergangslagern auf ihre Evakuierung. Die Zahlen sind nicht zu überprüfen – fast alle Journalisten, internationale Beobachter, Priester und Nonnen sind vertrieben.
Mit den Flüchtlingen, die sich inzwischen nach Indonesien, Australien oder Europa retten konnten, dringen nun auch schreckliche Bilder und Berichte von Massakern, Folter und Vergewaltigungen nach draußen. In Dili starb Samstagnacht der deutschstämmige Pater Karl Albrecht, in den Bauch geschossen von Milizen. Der 70-Jährige, ein liebenswürdiger, mutiger und kluger Mann, leitete den Flüchtlingsdienst der Jesuiten. Er versuchte bis zuletzt, den Leuten, die sich in die Berge geflüchtet haben, Lebensmittel zu bringen. Er hatte auch die taz in den letzten Tagen immer wieder über das Grauen in den Straßen von Dili informiert.
Nach Informationen des Roten Kreuzes treffen inzwischen stündlich tausende Flüchtlinge an der Grenze zum indonesischen Teil der Insel Timor ein. Mit Flugzeugen, Schiffen und Lastwagen bringen Militärs und Milizen die Menschen in die vorbereiteten Lager.
Immer mehr scheint sich zu bestätigen, was seit Tagen gefürchtet wird: Vielfach werden Frauen und Kinder von Männern getrennt – zehntausende Männer „fehlen“ inzwischen. Viele Männer seien, heißt es, ermordet und ins Meer geworfen worden. Zu überprüfen ist auch das nicht.
Die Furcht bleibt, dass Regierung und Armee weiterhin auf Zeit spielen – um die Opfer und die Beweise für die Morde verschwinden zu lassen. UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson hat angekündigt, die Verantwortlichen vor ein Menschenrechtstribunal zu bringen. Ihren geplanten Besuch Dilis sagte sie gestern ab.
Jutta Lietsch, Jakarta
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