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Über die beruhigende Wirkung von RespektDer Schwadroneur im Speisewagen

Manche Menschen suchen unaufhörlich nach Austausch. Das kann nerven. Es kann aber auch der Beginn einer Verwandlung sein.

Mitunter ein Ort für Mitteilungsbedürftige: Speisewagen der Deutschen Bahn Foto: dpa | Axel Heimken

E in Speisewagen im Schweizer Zug. Ich sitze an einem Tisch mit weißer Decke und beschließe, diesen Platz nicht mehr zu verlassen bis Hamburg. Es ist schön hier, der Abendhimmel draußen färbt sich rot-blau. Im Abteil ist es still und behaglich. Ich habe ein gutes Buch vor mir.

Auch die Menschen um mich sind versunken. Ein Soldat schaut aus dem Fenster, das Gesicht in die Hand gestützt. Ein Mann trinkt langsam ein Bier, eine junge Frau liest in ihrem Handy. Es ist ein verbundenes Für-sich-Sein mit anderen.

Als der Zug hält, steigt ein älterer, etwas ungepflegt wirkender Mann mit Gipsbein ein. Der Gips ist weiß, dick und so prägnant wie ein Gipsbein in einem Comic. Die Atmosphäre verändert sich. Der Mann bestellt ein Bier, wirft eine Zeitung auf einen Tisch und verteilt seine Sachen weitläufig. Er besetzt den Platz.

Als der Kellner ihm das Bier bringt, ruft der Mann laut: „Aber das ist ja ein Dosenbier! Dosenbier trinke ich nicht. Auf keinen Fall!“ „Ich habe es jetzt schon geöffnet“, sagt der Kellner verlegen. Der Mann beachtet ihn nicht, er redet weiter darüber, was er an Dosenbier nicht mag. Der Kellner räumt das Bier wieder ab, der Mann redet so laut weiter, als wäre es unsere Pflicht, ihm zuzuhören. Die junge Frau vor mir dreht sich tatsächlich zu ihm um. Sofort verwickelt er sie in ein Gespräch. Die beiden reden nun laut über den Gang hinweg über Bier. Ich setze mir Kopfhörer auf und höre Musik, doch die Stimmen dringen zu mir durch.

Ich beobachte die junge Frau, die mit dem lauten Mann spricht: Hat sie wirklich Interesse an einem Gespräch mit ihm oder antwortet sie nur aus Höflichkeit?

Der Mann verteilt seine Sachen weitläufig. Er besetzt den Platz

„Entschuldigen Sie, ich würde eigentlich gerne lesen“, sage ich nach einer Weile. „Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren.“

„Okay. Darf ich mich direkt zu Ihnen setzen?“, fragt der Mann die Frau. „Dann sind wir leiser.“ „Ja, klar“, sagt sie. Der Mann lässt sich bei der Frau am Tisch nieder. Ich überlege, was sie davon hält, dass sie nun indirekt meinetwegen mit ihm zusammensitzt. Doch sie lacht fröhlich: „Ich bin Kim“, sagt sie. Der Mann stellt sich auch undeutlich vor.

Die beiden reden weiter, er erzählt viel, macht Witze, sie lacht. Dann erzählt die Frau von ihrem Koffer, mit dem sie Probleme hatte und plötzlich verändert sich der Mann. Im Gespräch mit der Frau passiert etwas. Er wird ruhiger, fragt nach. Die beiden unterhalten sich nun tiefgehender. Der Mann erzählt von seinem Sohn, von einem Bauernhof. Und er hört ihr zu. Ich spüre, wie ihre Verbundenheit wächst.

Plötzlich frage ich mich, warum ich eigentlich nur lese, warum ich dem Mann gegenüber von vornherein so skeptisch war. Mit Bewunderung sehe ich dem wunderbaren Prozess zu, der passiert, wenn ein Mensch sich gewollt und respektiert fühlt. Der Mann wird immer ruhiger.

Als die Frau auf die Toilette geht, hüpft der Mann mit seinem Gipsbein schnell zum Kellner. Er bestellt noch ein Flaschenbier. Und ich erkenne an seinen Gesten, dass er die Rechnung für die Frau und sich begleichen will.

Als er dann wieder zum Platz geht, kommt er mit einem anderen Fahrgast neben sich ins Gespräch. Wieder beginnt der Mann laut zu reden, doch auch hier kommt er in kürzester Zeit mit dem anderen in ein persönliches Sprechen.

Als die Frau zurückkehrt, spricht der Mann noch mit dem anderen im Gang. Sie setzt sich, und es wirkt plötzlich austauschbar, wie nah er mit ihr zuvor war. Es ist, als hätte der Mann die Frau auf der Suche nach noch mehr Kontakt ein bisschen verloren. Er setzt sich danach wieder zu ihr. Beim nächsten Halt steigt die Frau aus und bedankt sich sehr für seine Einladung. Dann ist ihre Verbindung vorbei.

Später kommt der Mann mit dem Gips noch mit einem jungen Unternehmensberater ins Gespräch. Als mir etwas zu Boden fällt, fragt er sofort, ob er mir beim Suchen helfen könne. Er sucht unaufhörlich nach Austausch. Doch etwas hat sich geändert: Der Mann ist nicht mehr nur laut. Auf eine leise, undurchschaubare Weise ist er irgendwie nett geworden.

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Christa Pfafferott
Autorin
Christa Pfafferott schreibt die Kolumne "Zwischen Menschen" für die taz. Sie wurde zum Dr. phil. in art. an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg promoviert. Sie hat zuvor Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und die Henri-Nannen-Journalistenschule absolviert. Sie lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.
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