Über die Dinge des alltäglichen Lebens: Möbel mit einem Herz aus Spanplatte

Was sagen Einrichtungsgegenstände, Bekleidung, Schmuck schon aus über eine Person? Alles und nichts. Über die Bedeutung von Dingen, die uns umgeben.

Sperrmüll steht auf einem Fußweg mit einem Zettel "zu verschenken"

Jetzt nur noch Sperrmüll auf der Straße: Das Zeug hier hat mal einem Menschen gehört Foto: dpa/Robert Michael

Als junger Mensch stand ich manchmal auf einem Toilettendeckel, um nachts durch die offene Dachluke unseres Hauses hindurch die Ferne betrachten zu können. Die Ferne konnte man hauptsächlich nachts betrachten, sie leuchtete geheimnisvoll orange und war eigentlich die Lichtverschmutzung über der fünfzehn Kilometer entfernten Kreisstadt.

Damals hatte ich eine ungeheure Sehnsucht nach meinem Leben, das eines Tages irgendwo dort draußen beginnen würde, weit, weit weg von diesem Haus, in dem mir alles so klein vorkam, so schäbig, in dem es auch rein gar nichts von Wert gab. Nicht ein einziges Möbelstück, von dem ich hätte sagen können: „Das da, das will ich mal erben.“

Unsere Möbel hatten alle ein Herz aus Spanplatte. Unsere Mutter besaß auch nie ein einziges wirkliches Schmuckstück, ein schönes Kleid oder einen schönen Mantel, sie trug billige Jeans und Anoraks, ihre Schuhe waren bequem, alles musste günstig sein, unsere Eltern konnten sich einfach nichts anderes leisten.

Unser Vater kaufte sich einmal eine Lederjacke, die ich nie an ihm sah, bis zu dem Tag, als er sie aus dem Schrank holte, um sie mir für meinen Sohn anzubieten, weil sie ihm zu klein geworden war. Eine Lederjacke war für unseren Vater der Inbegriff von Luxus. Es brach mir bald das Herz, als mein Sohn ihm mitteilte, dass er an der Jacke kein Interesse hätte.

Kaum andere Möbel als meine Eltern

Jetzt wohne ich seit achtundzwanzig Jahren in Hamburg und besitze kaum andere Möbel als meine Eltern. Meine Kleider hängen in einem fünfzehn Jahre alten Ikea-Schrank, dessen gespaltener Fuß von einer Schraubzwinge zusammengehalten wird.

Habe ich etwas, das schön ist? Ich besitze einen französischen Wintermantel, den ich mir vor drei Jahren im Alsterhaus gekauft habe, eine kleine Perlenkette, ein Köfferchen mit alten Likörgläsern aus böhmischem Glas, einen großen Band mit dem Gesamtwerk von Bruegel, drei hübsche Ringe und zwei Schwingstühle der Firma Drabert Söhne aus dem Jahre 1954. Das sind alle meine schönen Dinge, die meine Kinder einmal könnten haben wollen. Man weiß es nicht. Sie sind insgesamt eigentlich so gut wie nichts wert. Es scheint mir nur so, weil ich sie nun mal gerne habe.

Als ich kürzlich vom Einkaufen kam, sah ich vor unserem Haus einen ganzen Haufen Gegenstände an der Wand aufgeschichtet, davor stand ein Mann mit einem großen Hund an der Leine, der stöberte. Sessel standen da, zusammengerollte Teppiche, und der Mann blätterte in einem Buch, in dessen Plastikseiten Schallplatten steckten. Platten interessieren mich, die Sessel gefielen mir, die Teppiche auch. Aber die Platten und die Möbel, die da an der Wand neben unserem Eingang standen, gehörten unserer Nachbarin.

Unsere Nachbarin lernten wir erst einige Zeit nach unserem Einzug kennen, und eigentlich lernten wir sie auch gar nicht kennen, wir sahen nur ihre Nasenspitze, wenn sie einmal die Tür öffnete. Sie verließ ihre Wohnung seit über zehn Jahren nicht mehr, sie konnte wohl laufen, aber sie wollte einfach nicht mehr. Im Frühjahr wurde sie von einem Krankenwagen abgeholt, und seitdem hat sie die Wohnung, die sie vorher zehn Jahre nicht mehr verlassen hat, nicht mehr betreten.

Fremde Männer, Angestellte einer Firma, räumen nun ihre Wohnung aus, werfen wahrscheinlich das meiste weg. Einiges davon stand also kürzlich an der Hauswand. Und obwohl es mich interessierte, konnte ich es nicht übers Herz bringen, in diesen Dingen, die zuletzt ihr ganzes Leben waren, herumzuwühlen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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