: Über der S-Bahn
Noch drei Wochen schippern und danach Busfahren. Ein Alster-Kapitän vor dem Winter ■ Von Achim Fischer
„Entchchuldigung“, fragt der mittelalte Herr mit Schweizer Akzent beim Einsteigen, „auf welchcher Chseite sitzt mahn denn am bechschden?“Heyo Domke hat's verstanden. „Sie haben von beiden Seiten eine gute Sicht.“Zufrieden nickt der Schweizer und dirigiert die beiden Damen in seiner Begleitung an den vordersten noch freien Tisch. In Fahrtrichtung rechts, also quasi steuerbord, auf der „Quarteerslüüd“der Alster-Touristik.
Domke ist „Schiffsführer“. Oder, für Landratten wie unsereins: Kapitän. Sein wichtigstes Arbeitsmittel: das Mikrofon. Links und rechts, und oben sehen Sie, und vorne kommt, und unter uns ist auch noch was – zwei Stunden lang erzählt Domke, Informationen, Geschichten, Döntjes. Noch. Denn die Saison dauert nur noch drei Wochen. Ab 3. November ist Winterpause. Bis zum 2. April. Und Domke fährt so lange Bus.
„Eine dolle Sache“sei es, daß die Hamburger Hochbahn die Alster-Kapitäne im Winter übernimmt. Aber noch ist Saison. Die „Quarteerslüüd“legt ab. Domke greift zum Mikrofon: Länge, Breite, Tiefe der Binnenalster. Ihr Fassungsvermögen, der Reesendamm samt Müller Reesen, und unter allem verkehrt der HVV. „Wenn wir hier durchbrechen, landen wir auf dem Dach der S-Bahn. In sechs Minuten sind wir dann in Altona. Aber was sollen wir da? Heute ist kein Fischmarkt, und es ist auch noch nicht dunkel.“Die Schweizer haben's nicht verstanden, die anderen schon. Hahaha, die fröhliche Gesellschaft fährt in die Rathausschleuse.
Mit 14, 15 Jahren, „so in der Gegend“, fuhr Domke das erste Mal zur See. Ein Jahr später die „Mosesfabrik“. Wo? „Die Schiffsjungenschule.“Schiffsjunge, Matrose, Offiziersanwärter, Steuermann, schließlich Kapitän. „Dann ging das mit der Ausflaggerei los. Da wurde es ungemütlich.“Damals, so Mitte der 70er, habe er die Lust an der großen Fahrt verloren. Über mehrere Stationen landete er bei den Alster-Kapitänen.
Das Rathaus steht auf 9000 Eichenpfählen, das Steigenberger-Hotel, in Fahrtrichtung rechts, hat 299 Zimmer, und der Senat verkauft in seiner Not jetzt schon Brückenteile. „Den rechten der drei Bögen da vorne hat Österreich gekauft. Da hängt schon die Flagge.“Das rot-weiß-rot-gestreifte „Durchfahrt-verboten-Schild“für Schiffe. Hahaha, jetzt können auch die Schweizer mitlachen.
Ob es ihm vor der Winterpause grause? „Ne, mir macht Busfahren auch Spaß.“Ah ja. Ob er sich auf der Straße schon mal verfahren habe? „Ja, einmal. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof.“Und auf dem Wasser? „Neeneeneeneenee.“Und seinen Urlaub? Den nimmt er im Februar. Danach ist er wieder Kapitän.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen