Über das Jugendangebot von ARD und ZDF: „Die Angst kann ich nachvollziehen“
2016 wollen ARD und ZDF das Jugendangebot starten. Die Zielgruppe soll über Facebook und Youtube erreicht werden. Florian Hager sorgt dafür, dass das klappt.
taz.am Wochenende: Herr Hager, wie alt wird ein heute 18-Jähriger sein, wenn er das erste Mal einen Inhalt aus dem Jugendangebot sieht?
Florian Hager: 19.
19? Sie wissen schon, dass Sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten?
Ja, aber die Einigung auf den neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag zeigt, dass die Politik jetzt Gas gibt, weil es auch auf sie zurückfallen würde, wenn es mit dem Start des Jugendangebots noch länger dauert.
Wo wird der oder die 19-Jährige den Inhalt sehen?
Zunächst auf Drittplattformen.
Facebook?
Genau. Und YouTube, Snapchat, Instagram. Aber das heißt ja nicht, dass er die Videos nicht auch auf einer eigenen Jugendangebot-Plattform sehen kann. Der Erstkontakt wird dort stattfinden, wo er ist: auf einem mobilen Endgerät auf einer Drittplattform. Alles andere zu behaupten hieße, davon auszugehen, dass die Zielgruppe zu uns kommen wird. Das wäre überheblich.
Diese Fütterung von kommerziellen Seiten wie YouTube und Facebook mit öffentlich-rechtlichen Inhalten werden die Privatsender und Verleger verhindern wollen.
Die Frage ist, wie wir es vermeiden können, bestehende Geschäftsmodelle der privaten Anbieter dort zu beeinträchtigen. In meinen Gesprächen mit Playern, die originär bei YouTube und Co. unterwegs sind, habe ich den Eindruck gewonnen, dass unseren Plänen gegenüber eine große Offenheit besteht. Weil viele sehen, dass es hier in Deutschland im Webvideobereich einen Mangel an Vielfalt gibt, was die Formate, die Köpfe, die Inhalte angeht. Da können wir also Nischen finden, in denen wir keine Geschäftsmodelle zerstören.
Lassen wir mal die Kirche im Dorf: Die Privaten werden doch nicht mit Ihnen zusammenarbeiten.
Doch. Gerade die Netzwerke, die ja viel Onlinevideocontent produzieren, sind sehr interessiert daran, mit uns Formate zu entwickeln, mit uns Dinge auszuprobieren, die auf den ersten Blick vielleicht nicht monetarisierbar sind. Außerdem gibt es in der großen Fernsehwelt ja auch jetzt schon jede Menge Austausch: Serien wandern zwischen den Systemen, Moderatorinnen und Moderatoren – da sagt ja auch keiner was. Und durch die größere Vielfalt, die wir bringen, wird die allgemeine Qualität steigen, davon profitieren alle.
Aber die Privaten haben die viel größere Sorge, dass den Öffentlich-Rechtlichen über den Umweg Jugendangebot bald alles im Netz erlaubt sein wird.
Die Angst kann ich nachvollziehen. Was aber klar ist: Die Freiheiten, die wir für das junge Angebot brauchen, die alternativlos sind, gelten nur für dieses Angebot. So steht es im Gesetzestext. Das ist keine Blaupause für andere Sender und deren Onlineaktivitäten.
39, ist seit Mitte dieses Jahres Geschäftsführer des neuen Jugendangebots von ARD und ZDF.
2009 baute er bei Arte das Onlineangebot „Arte Creative“ auf. Ab 2011 war er bei dem deutsch-französischen Sender für sämtliche Onlineangebote zuständig.
2012 stieg er dort zum stellvertretenden Programmdirektor auf und war als Hauptabteilungsleiter für die Verknüpfung von TV und Web verantwortlich.
Ob das die Privatsender und die Verleger beruhigt?
Ich glaube schon, dass wir einen Konsens mit ihnen finden können. Ich glaube, dass wir Dinge auch gemeinsam machen können. Und was die Sorgen der Verleger betrifft: Im Zentrum unsere Tuns steht das Bewegtbild. Wir können und werden nicht mit den Verlagen in Konkurrenz treten und sind auch hier offen für Zusammenarbeit.
Bei Arte haben Sie ja schon gelernt, alles online zu machen. Da beschwerte sich interessanterweise niemand.
In Frankreich herrscht eine andere Einstellung: Dort wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk aufgefordert, Inhalte auch nur für Online zu produzieren.
Das mag sein, aber in der Arte-Mediathek laufen ja auch Fremdproduktionen auf Deutsch. Das wäre ARD und ZDF nicht gestattet.
Richtig. Arte unterliegt eben nicht dem Paragrafen aus dem Rundfunkstaatsvertrag, der besagt, dass gekaufte Lizenzware nicht online gestellt werden darf. Arte basiert eben eher auf französischem Recht, wo so etwas erlaubt ist.
Worum es geht: ARD und ZDF sollen 2016 ein Angebot für 14- bis 29-Jährige starten, das ausschließlich online verfügbar sein wird. Es müssen noch alle Länderparlamente zustimmen.
Plattformen: Die Inhalte will man dort verbreiten, wo sich die Jugend vermeintlich aufhält: auf YouTube, Facebook, Snapchat, Instagram, Twitter, WhatsApp.
Kritik: Privatsender und Verleger fürchten, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre neue Freiheit im Netz, die das Jugendangebot bekommen soll, ausnutzen könnten. Auch für YouTuber, die sich mit eigenen Formaten finanzieren, wächst die Konkurrenz.
Warum hat man das Jugendangebot dann nicht einfach bei Arte angedockt?
Gute Frage. Die Marke hat natürlich ein super Image. Aber man hätte sich direkt in eine kulturelitäre Ecke gestellt. Ich finde, dass es da, wo es jetzt angedockt ist, bei der ARD und beim ZDF, schon richtig ist: in der Mitte des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems. So können wir auch beide Systeme zwingen, sich um diese Zielgruppe zu kümmern – und zwar strategisch und dauerhaft, nicht nur bei Programmhighlights oder Events.
Gibt es Fesseln, von denen Sie sagen würden: Wenn wir die angelegt bekommen, lohnt sich das ganze Jugendangebot nicht mehr?
Ja, wenn wir nicht auf Drittplattformen mit originären Inhalten aktiv sein dürften. Dann würde so ein Angebot keinen Sinn machen. Wir müssen mit unserem Anspruch, also mit öffentlich-rechtlichen Inhalten, dort präsent sein, wo sich junge Menschen befinden. Wir wurden deshalb beschuldigt, mit unserem Angebot die Leute dazu zu zwingen, sich bei Facebook anzumelden. Das ist natürlich Quatsch. Erstens haben wir nicht die Marktmacht dafür. Es wäre schön, wenn wir sie hätten, haben wir aber nicht. Zweitens werden wir natürlich auch einen eigenen Player haben und eine eigene Plattform anbieten.
Aber ist es die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, für YouTube und Facebook zu produzieren? Das sind beides Netzwerke, die darauf angewiesen sind, dass Dritte ihnen Inhalte liefern.
Richtig. Wir hinterfragen uns da auch. Und wir werden nicht blind Facebook und YouTube mit Inhalten vollballern. Wir werden dort auch kritische Berichte über ebenjene Netzwerke veröffentlichen und mal schauen, was dann passiert. Das ist unser Vorteil: Wir sind nicht zwingend auf diese Plattformen angewiesen. Außerdem: Der gesamte Rundfunk ist ja auch auf die Kabelnetzbetreiber und deren Verbreitungsinfrastruktur angewiesen.
Nur mit dem Unterschied, dass die Betreiber extrem reguliert werden.
Das stimmt. Aber es wäre falsch, zu sagen, die Onlineplattformen seien für uns nicht wichtig. Es ist ein Irrglaube, zu erwarten, dass wir einfach eine App in die Stores bringen müssten und die sich dann jeder runterladen und auch noch regelmäßig nutzen würde. So einfach ist es nicht. Es wird auch nicht passieren, dass wir einfach mal irgendwo eine Mediathek hinbauen, sagen, dass die total fresh und jung sei, und dann alle zu uns strömten. Aber natürlich ist das Ziel allen Handelns, die Leute auf ebendiese Plattform zu bekommen.
Nackte Brüste fallen dafür als Lockmittel weg. Die sind bei Facebook und YouTube nicht erlaubt.
Ja.
Dann unterwerfen Sie sich diesen Mechanismen?
Eben nicht. Weil wir nicht nur auf einer Plattform aktiv sind. Wir werden Videos breit streuen. Werden sie gelöscht, kann man dann seinen eigenen Player ins Spiel bringen und sie dort weiterhin verbreiten. Mit diesem Mechanismus kann man also auch spielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu