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■ Über Risiken und Nebenwirkungen einer rot-grünen Drogenpolitik ohne gesellschaftlichen ReformwillenFix(en) und fertig ?

Einen geeigneteren Anlass für den jetzt vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzesvorschlag, Drogenkonsumräume rechtlich abzusichern, gibt es kaum: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Drogentoten im ersten Halbjahr 1999 erneut von 735 auf 798 Menschen gestiegen.

Konsumräume und die in einzelnen Städten anstehenden Modellprojekte zur Heroinvergabe können dem einsamen Tod auf Bahnhofstoiletten oder Pensionszimmern entgegenwirken. Um verelendeten Süchtigen Überlebenshilfen zu bieten, sind aber eine angemessene personelle Ausstattung in den Konsumräumen, qualifizierte Beratung und zusätzliche Hilfsangebote unerlässlich. All dies bleibt Ländern und Kommunen und damit dem dort herrschenden Sparzwang überlassen. Eine Bereitschaft, vermehrte Hilfen für Süchtige zu finanzieren, ist nirgendwo zu erkennen. Die Drogenpolitik der rot-grünen Bundesregierung steht somit auf tönernen Füßen.

Gleichwohl propagiert die Regierung Fixerstuben und „Heroin auf Rezept“ unabhängig von ihrer Ausgestaltung als drogenpolitisches Allheilmittel. Eine offene Diskussion über die vorhandenen Risiken und Nebenwirkungen scheut sie, obwohl dies Fehler vermeiden und Akzeptanz und Solidaritätsbereitschaft in der Gesellschaft wecken könnte. Noch wird die neue Drogenpolitik nicht von einer wirklichen Reformbereitschaft in der Bevölkerung getragen. Ohne diese droht die anstehende Kurskorrektur aber in einem technokratischen Manöver zu enden, bei dem die ursprünglichen Anliegen zu Lasten ungewollter, aber durchaus vorhersehbarer Nebenwirkungen verschüttet werden.

Eine derartige Gefahr bildet die sich abzeichnende Gewichtsverlagerung innerhalb der Drogenhilfe. Angesichts knapper öffentlicher Kassen stehen Opiatvergabe und Fixerstuben in Konkurrenz zu anderen szenenahen Überlebenshilfen und insbesondere zu Präventions- und Beratungsangeboten. Geht es wirklich um Überlebenshilfe, so sind die Sicherstellung einer medizinischen Grundversorgung, Notschlafstellen, Mahlzeiten und Körperhygiene-Angebote indes allemal wichtiger als Konsumräume. Trotz eines ausdifferenzierten und kostenaufwendigen Drogenhilfesystems steht der Rechtsanspruch auf umfassende Behandlung heute oft nur auf dem Papier. Sozial ausgegrenzte Suchtkranke spüren die Zwei-Klassen-Hilfe hautnah, wenn sie aus Arztpraxen herausgeschmissen werden und Klinikambulanzen keine Zeit für sie haben.

Das zweite große Dilemma der neuen Drogenpolitik besteht darin, dass unter dem Kostendruck ihr Herzstück, die sozialpolitische Einbettung von Fixerstuben und Heroinvergabe, bereits aufgegeben wurde. Der oft angeführte Erfolg des Schweizer Modells war Ergebnis einer doppelten Strategie: Originalstoffvergabe und Konsumräume wirken dem Beschaffungsdruck und der Kriminalisierung entgegen; gleichzeitig sollen parallele Bemühungen um eine soziale Wiedereingliederung einen Ausstieg aus Sucht und Drogenszene eröffnen. Von derartigen psychosozialen Begleithilfen bei der Arbeits- und Wohnungsvermittlung, bei der Entschuldung oder bei persönlichen Problemen ist hierzulande kaum noch die Rede. Anfallende Mehrkosten können oder wollen Länder und Kommunen nicht tragen. Das Regierungsmemento „Sucht ist Krankheit“ enthält die Botschaft, dass die Krankenversicherungen vorrangig für diese Kosten aufkommen sollen. Doch dies trifft auf begründete Skepsis – weil die neuen Programme nicht entschieden auf eine Überwindung der Sucht und eine soziale Wiedereingliederung der Betroffenen abzielen. Denn ohne verbindliche Begleithilfen reduzieren sich Konsumräume und Originalstoffvergabe auf ein primär ordnungspolitisch motiviertes Ruhigstellen von Suchtkranken („saubere Innenstädte“).

Hier rächt es sich, dass im Umfeld der Bündnisgrünen das Spannungsverhältnis ihrer Drogenpolitik zwischen Gesundheitsschutz und Lebensstilakzeptanz nie erörtert wurde. Geht es um Hilfen für Kranke oder unter dem Banner eines „Rechts auf Rausch“ um die Akzeptanz und solidarische Unterstützung suchtgeprägter Lebensformen? Wer für Letzteres eintritt, muss wissen, dass das Maß gesellschaftlich akzeptierter „Abweichungen“ immer ein fragiles Gleichgewicht zwischen divergierenden Tendenzen bildet. Abscheu und das Straf- und Ausstoßungsbedürfnis stehen gegen Empathie und Hilfsbereitschaft. Deshalb hat die Solidarität mit Suchtkranken sozialpsychologische Grenzen. In dem Maße, wie Drogensucht nicht als Krankheit und Schicksalsschlag, sondern als eine autonome Entscheidung für eine bestimmte Lebensform interpretiert wird, werden auch die Folgen dieser Entscheidung als Privatsache des Süchtigen begriffen.

Gesellschaftliche Akzeptanz wird die neue Drogenpolitik auch dann einbüßen, wenn sie zu einer erhöhten Drogenverfügbarkeit beiträgt und die Zahl von Drogenkonsumenten weiter ansteigt. Konsumräume als Drogenumschlagplätze und ein Dealen mit dem „Stoff vom Staat“ lassen sich nur durch qualifizierte Kontrollen und eine Betreuung vermeiden, die sich nicht auf die bloße Stoffvergabe beschränkt.

Obwohl Heroin ein Schmuddel-Image besitzt, ist die Nachfrage ungebrochen. Die Zahl der Neueinsteiger verbleibt seit Jahren konstant auf hohem Niveau. Früher rekrutierte sich die Heroinszene auch aus Mittelschichtjugendlichen, die aus der materiellen Orientierung der „Spießbürgerwelt“ ausbrechen wollten – und mit ihrer Suchtkarriere den Konsumismus ihrer Eltern doch nur auf die Spitze trieben. Heute ist Heroin eindeutig die Droge der gesellschaftlichen Verlierer. Sozial isoliert, körperlich misshandelt oder sexuell missbraucht, ohne Berufs- und Lebensperspektive bleiben sie nach einer meist schon im Kindesalter mit Alkohol und Zigaretten beginnenden Drogenkarrierre an der Heroinnadel hängen. Drogenkarrieren der Deklassierten und eine oft parallel verlaufende Kriminalität sind anarchische, verzweifelte und destruktive Reaktionen auf erlebte Ablehnung. Erlittene Gewalt wird gegen den eigenen Körper und gegen die eigene Seele gerichtet. Entbehrung verwandelt sich in Gier. Sozialen Halt verspricht allein die Drogenszene. Ihre tatsächliche Perspektivlosigkeit und ihr begründeter Fatalismus in einer Gesellschaft, wo zehn Prozent jedes Geburtsjahrganges dauerhaft von einer beruflichen Integration ausgeschlossen bleiben, lassen das Risikobewusstsein im Umgang mit Drogen sinken.

Drogenkonsumräume können eine Basis für eine gesellschaftliche Reintegration bilden. Sie können aber auch als Abstellraum für jene missbraucht werden, deren Anblick die Mehrheitsgesellschaft nicht länger erträgt. Harry Kunz

Die sozialpolitische Einbettung von Fixerstuben wurde bereits aufgegebenHilfe für Kranke oder Recht auf Rausch – bei den Grünen eine nicht geklärte Frage

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