: Über Raum und Zeit hinweg
Auf Peaches ist Verlass, sie bringt etwas Stimmung in die Corona-deprimierte Bude. Doch sonst zeugt die Ausstellung der CTM, „Vernetzte Entfremdung“, im Kunstraum Kreuzberg eher von Ermüdung in der Pandemie
Von Tilman Baumgärtel
„Vernetzte Entfremdung“ trifft den Zustand, in den man dank Corona in den letzten beiden Jahren hineingeraten ist, ganz gut. Einerseits war man ununterbrochen online, bei Videokonferenzen, Online-Partys, gestreamten Konzerten, DJ-Sets, Theateraufführungen, Vorträgen, Yoga-Unterweisungen und Serien, „Among us“-Sessions und übermäßigem Social-Media-Gebrauch. Andererseits trug dieses ununterbrochene Vernetzen nicht unbedingt zur Verbindung mit den Mitmenschen bei, sondern eher zu einer ungemütlichen Pseudonähe ohne echte Interaktion.
Und vielleicht, so beginnt man zu befürchten auf dem Weg zur Eröffnung der CTM-Ausstellung „Connected Alienation“ im Kunstraum Kreuzberg, vorbei an halbleeren Restaurants und verwaisten Kneipen, bleibt das nach Corona auch so – die Leute haben einfach vergessen, wie man sich im öffentlichen Raum zusammenrottet. Dass sich das Publikum bei der Vernissage der Ausstellung anders als früher auch nicht gerade drängelt, gibt solchen Befürchtungen weitere Nahrung. Die Ausstellung gehört zu einem Festival, das einst Club Transmediale (CTM) hieß und Medienkunst mit Clubkultur begleitete. Dass es sich aller Mühen und möglichen Enttäuschungen zum Trotz immer noch lohnt, sich an einem Ort zu versammeln, ist vielleicht die eindringlichste Botschaft dieser Ausstellung. Denn die zeigt Arbeiten, die „das Ergebnis eines künstlerischen Austauschs über Entfernungen und Zeit hinweg“ sind. Doch die Arbeiten, die so entstanden sind, scheinen vor allem pandemiebedingte Erschöpfung und Lähmung zu transportieren.
Gemeinsam ist den Arbeiten auch, dass so gut wie alle mit der Förderung von Initiativen wie „Neustart Kultur “und anderen Programmen entstanden sind, die Künstlern während der Pandemie als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dienten. Dazu gehört zum Beispiel die Videoserie „Jump Cut“, die fast die Hälfte der Ausstellung einnimmt. Sie wurde von dem Tanzzentrum Agora in Montreal als Reaktion auf die Coronakrise produziert und wird als Projektion gezeigt.
Die kanadische Tänzerin Dana Gingras hat, unterstützt von CTM und dem Goethe-Institut, für diese Produktion Tänzer, Musiker und Performer zusammengebracht, um gemeinsam Videos zu produzieren, die elektronische Musik, digitale Effekte und Choreografie kombinieren. Doch irgendwie scheint bei den Künstler:innen kein kreativer Funke übergesprungen zu sein. Als wollte man dem gequälten Zeitgeist ein audiovisuelles Pendant gegenüberstellen, werden Choreografien in ihre Glitch-Einzelteile zerlegt und von Elektronikgeschwurbel untermalt.
Nur auf Peaches – ja, die gibt es auch noch – ist Verlass, wenn es darum geht, etwas Stimmung in die Corona-deprimierte Bude zu bringen: Zusammen mit drei Transvestiten hat sie einen Clip in bewährter Elektropunk-Machart produziert, in dem gepartyt und gepost wird, als es sei es vor oder nach Corona. Als eine Art Fußnote zu diesen Videos kann man sich auf Monitoren in der Ausstellung noch Zoom-Konferenzen ansehen, in denen sich die Künstler gegenseitig versichern, was für eine tolle Zusammenarbeit das doch war.
Die Virtual-Reality-Installation „nerd_funk, Chapter 1“ von Ali Eslami und Mamali Shafahi nimmt den Betrachter mit auf eine Art Fahrt durch einen Vergnügungspark, dessen Attraktionen vorwiegend aus Smartphone-Videos bestehen, die mit AR-Filtern bearbeitet worden sind. Die beklemmende Welt ohne außen, durch die man hier tuckert, ist übrigens von 2019, also aus einer Zeit vor Covid, als es eigentlich auch noch eine Wirklichkeit jenseits von Monitoren aus Panzerglas gab. Zumindest eine gewisse Sehnsucht nach dieser Realität spürt man in der Installation „Why is it they Say A City Like Any City?“ der peruanischen Künstlerin Ale Hop, die in einem Video Bilder aus Lateinamerika mit Hilfe von KI in einer merkwürdigen Traumlogik ineinander übergehen und verschmelzen lässt. Vollkommen unverständlich bleibt die überambitionierte Installation „Camels are Whispering“ von Ibrahim Quarishi.
Beim Weg aus der Ausstellung muss man sich dann durch Zuschauer drängeln, die zu vorgerückter Stunde doch noch eintreffen; hinter dem Bethanien stehen warme Körper zusammen und trinken Vernissagen-Bier, eine DJane legt Dub auf. Das alles gibt es also noch, und das macht Hoffnung auf weniger sterile und entfremdete Kunst nach dem Ende der Pandemie.
„Connected Alienation/Vernetzte Entfremdung“ bis zum 27. 3. 2022 im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien
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