Über 1 Billion Dollar fürs Militär: Der Frieden ruht
In fünf Jahren sind weltweit die Militärausgaben um 30 Prozent gestiegen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich nach Bush in den USA moderatere Töne durchsetzen.
Eine beispiellose Hochrüstung der Welt stellen die fünf großen deutschen Friedensforschungsinstitute in ihrem Friedensgutachten 2008 fest. Von 2001 bis 2006 seien die inflationsbereinigten Militärausgaben um 30 Prozent gestiegen und betrügen nunmehr 1,2 Billionen Dollar, erklärten die Vertreter der Institute am Dienstag vor der Presse.
Fast die Hälfte davon entfalle auf die USA - ohne die Kosten für den Irak- und den Afghanistankrieg. Weitere Rüstungsspitzenplätze belegen Großbritannien, Frankreich, China und Indien. Die neue Hochrüstung übersteige die des Ost-West-Konflikts bei weitem und "kann bedrohlicher werden als der Kalte Krieg", sagte Andreas Heinemann-Grüder vom Bonn International Center for Conversion (BICC). Diese Entwicklung werde "weder durch Rüstungskontrolle noch durch eine wachsame Öffentlichkeit gebremst".
Russland zum Beispiel rüste unter Wladimir Putin seit 1999 erheblich auf und verfolge auch eine "ziemlich aggressive Rüstungsexportpolitik" gegenüber Staaten wie Venezuela und Indien und dem Nahen Osten. Im Unterschied zum Kalten Krieg gebe es "mehrere Pole der Aufrüstung", erklärte Heinemann-Grüder - aber keine Plattform, keinen Mechanismus, darüber zu sprechen oder zu verhandeln. Die Vielfalt der zusätzlichen Akteure mache die Situation so gefährlich.
Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung ergänzte, dass die neuen Rüstungsnationen unterschiedlich kooperationsbereit seien. Anders als etwa aus Indien, das gegenüber Pakistan eine Abschreckungsstrategie à la Kalter Krieg verfolge, "hört man aus China die Töne der Gegenmachtbildung nicht", sagte Schoch. China schließe überall Partnerschaftsabkommen und regionale Verträge. Auch entfalle ein hoher Prozentsatz seines Militärwachstums auf bessere Löhne für die Offiziere.
Die außerordentliche Hochrüstung der USA, strich Reinhard Mutz vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hervor, stehe in "keinem erkennbaren Zusammenhang zur terroristischen Bedrohung". Die neue Lage seit dem 11. September 2001 habe bislang lediglich bewiesen, dass "zur Terrorismusbekämpfung militärische Mittel in keiner Weise zielführend" seien.
Die Friedensforscher rufen dazu auf, dass Westeuropa sich zur Avantgarde der Abrüstung mache. Gemessen an den Steigerungsraten weltweit sei der westeuropäische Militärhaushalt nur geringfügig - um 4 Prozent - gewachsen. Die westeuropäische "weiche Macht" der Kooperation und Versöhnung sei zu nutzen, um auch die Mächte, die die US-Machtpolitik zu kopieren suchen, auf den Abrüstungspfad zu bewegen.
Die Bundesregierung solle sich darum bemühen, dass die USA ihre Atomwaffen aus Deutschland abzögen. "Die Bundesrepublik sollte fragen: Welchen sicherheitspolitischen Stellenwert haben diese Waffen noch?", formulierte Mutz. Es gebe keine konkreten Angaben darüber, wie viele Atomsprengköpfe überhaupt noch auf deutschem Boden lagern. Doch gehe der letzte "behutsame und zaghafte Versuch, das Thema anzusprechen", auf den Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) unter Rot-Grün zurück. Er sei schnell begraben worden.
Die Kampagne für eine nuklearwaffenfreie Welt, wie sie jüngst auch wieder von vier berühmten US-Machtpolitikern befördert worden sei (siehe Interview), "verdient jede Unterstützung", erklären die Friedensforscher. "Es ist nicht einzusehen, warum wir es den Norwegern überlassen sollten, als bislang einzige Europäer darauf einzusteigen", sagte Schoch.
Zur Kontrolle des Waffenhandels müsse Europa Vorreiter für eine UNO-Vertrag sein, der insbesondere die illegale Verbreitung kleiner und leichter Waffen eindämmen würde. Der EU-Kodex für Waffenexporte müsse mit Sanktionsmöglichkeiten aufgewertet werden, damit sich die Mitgliedstaaten auch daran halten. Schließlich müsse die Nato Russland entgegenkommen und den neuen Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa ratifizieren sowie dafür sorgen, dass Russland sich anschließe.
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