(Über-) Leben mit Hartz IV: Für Schuhe muss Familie Zadeh sparen
Bisher gesteht der Gesetzgeber Familien, die Hartz IV beziehen, pro Kind 211 Euro im Monat zu. "Wer so etwas berechnet, hat keine Kinder", sagt die Mutter Sina Zadeh.
Familien, die Hartz IV beziehen, bekommen für jedes Kind unter 14 Jahren einen Pauschalbetrag von 211 Euro im Monat überwiesen. Das sind 60 Prozent der Leistung, die ein Erwachsener bekommt. Die Prozentmarke hat der Gesetzgeber willkürlich festgelegt. Das Bundessozialgericht hat diese Berechnung in der vergangenen Woche für verfassungswidrig erklärt. Die gesetzlichen Regelungen verletzten den Gleichheitsgrundsatz, die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip, entschied das Gericht in Kassel. Das Bundesverfassungsgericht muss den Fall jetzt prüfen. Die Koalition verweist auf eine Neuerung durch das Konjunkturpaket. Durch das Gesetz wird der Regelsatz für Kinder von sechs bis 13 Jahren zum 1. Juli von 211 Euro auf 246 Euro steigen. Über eine weitere Änderung der Sätze kann laut Koalition erst im Jahr 2010 entschieden werden. Erst dann liegen neue Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor.
Sina Zadeh* will nicht jammern. Das ist der 29-jährigen Hartz-IV-Empfängerin ganz wichtig. "Dass es die Unterstützung vom Staat gibt, ist toll", betont sie. Mit der Tatsache, dass sie ihrer achtjährigen Tochter Leyla in diesem Monat keine Winterstiefel kaufen kann, hat sie sich arrangiert: "Neue Schuhe gibt es erst wieder im März."
Neue Schuhe bedeuten längeres Sparen. Immer wieder schiebt die Alleinerziehende Ausgaben vor sich her, weil die Grundsicherung nicht für alles reicht. Um zu Weihnachten Geschenke für die drei Kinder kaufen zu können, blieb Zadeh die Gasrechnung vom Dezember bis zum Februar schuldig. Gemeinsame Ausflüge kann sich die Familie nur alle drei Monate leisten. Auf ein Croissant vom Bäcker müssen die Kinder dann verzichten. "Ich weiß, dafür hast du kein Geld", sagt Leyla, die Achtjährige, in solchen Momenten.
Familie Zadeh lebt von Arbeitslosengeld II. So wie knapp 7 Millionen Menschen in Deutschland. Fast 2 Millionen davon sind Kinder und Jugendliche. 351 Euro beträgt der Regelsatz für Erwachsene. 60 Prozent davon bekommt jedes Kind unter vierzehn Jahren. Das sind 211 Euro pro Kind - die Koalition will diesen Satz leicht erhöhen (siehe Kasten). Knapp 1.500 Euro hat die vierköpfige Familie im Moment monatlich zur Verfügung, davon geht noch die Miete ab.
Wie knapp die 211 Euro für die achtjährige Leyla bemessen sind, zeigt die Haushaltsrechnung der Mutter: Allein 32 Euro im Monat fallen für die Hortgebühr an. Dazu kommen 16 Euro für die Gymnastikstunde, 7,50 Euro fürs Basteln, 6 Euro für die Klassenkasse, 6 Euro für den Bus, der Leyla zum Schulschwimmen fährt. 8 Euro bekommt Leyla als Taschengeld. Bleiben 135,50 Euro.
Nach der Einkommens- und Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamts von 2003, die der Berechnung der Hartz-IV-Sätze zugrunde liegt, verbraucht Leyla grob geschätzt rund 80 Euro monatlich für Lebensmittel. Damit bleiben unterm Strich rund 55 Euro für Kleidung und die anderen täglichen Dinge.
Die Rechnung zeigt: Größere Ausgaben, die extra anfallen, sind nicht vorgesehen. Und sie bringen bedürftige Familien in arge finanzielle Schwierigkeiten. Nächsten Monat hat Leyla zum Beispiel Geburtstag. Da soll sie gute Schuhe für 30 Euro bekommen und einen Ponyhof von Playmobil für 64 Euro, den sie sich wünscht. Wenn Sina Zadeh ihrer Tochter den Wunsch erfüllt, kann sie die Grundbedürfnisse der Kinder nicht mehr decken.
Ein weiterer Nachteil bedürftiger Familien: Das Kindergeld bekommen sie nicht zusätzlich. Stattdessen werden die Hartz-IV-Sätze der Kinder mit dem Kindergeld verrechnet, sodass der Gesamtbetrag 211 Euro nicht überschritten wird.
Sina Zadeh schüttelt über die Regelsätze den Kopf. "Wer das berechnet hat, hat selbst keine Kinder", sagt sie. "Sonst wüsste er, dass Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen jedes halbe Jahr eine neue Hose brauchen, weil sie wachsen." Und neue Schuhe, neue Pullis, neue Unterwäsche. Auch wenn die Jüngeren die Sachen der Älteren auftragen - das Budget reicht hinten und vorne nicht.
Inge Möllgaard von der evangelischen Kontakt- und Beratungsstelle für Familien in Kreuzberg kennt die Sorgen der Zadehs. "Die Sätze sind zu niedrig, weil ein bestimmter Bedarf dadurch nicht gedeckt ist", sagt die Sozialarbeiterin. Zudem sei nicht gerechtfertigt, dass ein Säugling den gleichen Satz erhalte wie ein Teenager, kritisiert Möllgaard. Denn der Gesetzgeber kalkuliert pauschal: Ein 13-jähriger Teenager bekommt ebenso 211 Euro wie ein Säugling.
Immerhin dieser Missstand wird ab 1. Juli behoben. Dann bekommen die 6- bis 13-Jährigen 70 Prozent des Regelsatzes für Erwachsene - 246 Euro statt der bisherigen 211 Euro. Eine generelle Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze, wie vom Sozialgericht gefordert, würde Eltern wie Sina Zadeh nützen: "Ich könnte den Kindern guten Gewissens ein Eis kaufen, ohne dafür an etwas anderem sparen zu müssen."
*Namen geändert
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