US-Wahlkampf in Pennsylvania: Blaue Schafe, leise Hoffnung
Pennsylvania ist ein Swingstate, hier gewann Trump die letzte Wahl mit hauchdünnem Vorsprung. Doch diesmal könnte Biden es schaffen.
D er Kandidat sieht so unscheinbar aus, dass man ihn glatt übersehen könnte. Weiß, wie fast alle Bewohner seines Wahlkreises. Kurze blonde Haare, millimeterkurz am Hinterkopf, Seitenscheitel links oben. Ledergürtel. Bluejeans. Cowboystiefel. Fast immer mit einer Hand in der Hosentasche. „Ich bin ein gewöhnlicher Typ“, stellt Lee Griffin sich vor: „kein Berufspolitiker.“
Da seine komplette Kampagne in die Zeit der Pandemie gefallen ist, trifft er potenzielle Wähler unter freiem Himmel. Wochenmärkte, Parks und Parkplätze sind seine Arenen. Nähe stellt er mit einem Ellbogenstupser zur Begrüßung her. Griffin ist auf der vorletzten Station eines Road Trip durch die 15 ländlichen Counties seines Wahlkreises angekommen.
Heute steht er auf dem Cameron-Platz in Sunbury, einer Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern im Zentrum Pennsylvanias. In der Mitte des Platzes hat er seine Wahlkampfschilder an einen Musikkiosk gelehnt. Die Themen heute: ein stillgelegtes Landkrankenhaus, die Schusswaffenkontrolle, der Gemüseanbau.
Er kennt das alles. Er ist vor 37 Jahren in der Region zur Welt gekommen. Seine Verwandten leben hier, viele davon sind Republikaner. Er erzählt jeden Tag, dass er seine ersten Jahre in einer Blockhütte im Wald verbracht hat, die sein Vater eigenhändig gebaut hat. Und dass sein erster Job in der Tomatenernte war. Später wurde er Englischlehrer in Taiwan, davon erzählt er im ländlichen Pennsylvania weniger. Dann – von New York City aus – Manager von Online-Warenhäusern an vielen Orten der USA.
0,72 Prozentpunkte machten den Unterschied
Ende 2019 meldet Lee Griffin seine Kandidatur als Kongressabgeordneter an und zieht nach Pennsylvania zurück. Es war Pflichtgefühl. „Einer muss es tun“, sagt er. Die 15 demokratischen Ortsverbände sind froh, andere demokratische Anwärter gibt es nicht. Wahlkreis 12 ist kein Zuckerschlecken für Demokraten. 14 der 15 Counties sind in republikanischer Hand.
2016 hat Donald Trump vielerorts zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen bekommen. Ein Kandidat braucht hier viel Zeit, muss hunderte Meilen abfahren, muss sich vor meist winzigem Publikum vorstellen, muss sich mit einem winzigen Budget durchschlagen und hat dennoch so gut wie keine Chance, in den Kongress gewählt zu werden.
Pennsylvania ist ein Swingstate. Im Jahr 2016 war es einer der Staaten, die Donald Trump zum Sieg verhalfen. Mit einem Vorsprung von nur 0,72 Prozentpunkten der Stimmen bekam er sämtliche 20 Wahlleute von Pennsylvania im Electoral College. Auch dieses Mal führt der Weg ins Weiße Haus über den Swingstate im Osten.
In der ländlichen Region im Zentrum von Pennsylvania ist Trump in den Vorgärten vor den Backsteinhäusern, am Rand der Maisfelder und zwischen den Getreidesilos omnipräsent. In diesem Wahlkampf sind noch sehr viel mehr und sehr viel größere Schilder mit seinem Namen (und nichts anderem) im Straßenbild als 2016 zu sehen. Manche ehemalige Bergarbeiter in der Region glauben weiterhin, dass er tatsächlich die Kohle zurückholen wird.
Die beiden städtischen Ballungsgebiete Pittsburgh im Westen und Philadelphia im Osten, wo die Menschen demokratisch wählen, sind weit weg. Manche sagen, dass in Pennsylvania eigentlich drei Bundesstaaten stecken: Der Westen denkt und wählt wie das liberale Kalifornien; der Osten ist wie das weltoffene New York; aber die Mitte ist so rückwärtsgewandt wie Alabama.
Lee Griffin will Bewegung in diese festgefahrenen Verhältnisse bringen. Will Themen setzen, die ohne ihn untergehen würden. Klimawandel zum Beispiel, eine Krankenversicherung für alle und Rassismus. Er weiß, dass er dafür einen langen Atem braucht. Sein Slogan für die Kampagne lautet: „Die Zukunft gehört uns.“
„Wir sind Christen“ heißt hier: Evangelikale
„Jesus ist mein Erlöser“ steht auf dem badehandtuchgroßen schwarzen Stoffstück, das auf einer Leine am Rand der Landstraße Nr. 15 flattert. Gefolgt von den ebenso groß geschriebenen Worten: „Trump ist mein Präsident“. Es ist eine doppelte Messias-Geschichte für die Wahlen am 3. November. Von der vierspurigen Straße ertönt alle paar Minuten eine Salve von kurzen Huptönen. Viele kurze Töne bedeuten Zustimmung. Manchmal hält auch jemand einen erhobenen Daumen aus einem heruntergefahrenen Autofenster und ruft „USA, USA“.
Der blonde Mann mit Pferdeschwanz, der den Stand mit Trump-Artikeln am Ortsrand von Selinsgrove betreibt, sagt, dass er pro Tag „zwischen 100 und 200“ Stück verkauft. 20 Prozent vom Erlös gehen direkt an die Trump-Kampagne. Der Rest an das Unternehmen, das ihn beschäftigt und das in normalen Zeiten Karnevalsmaterial verkauft.
Empfohlener externer Inhalt
Er hat die komplette Palette im Angebot: von Gott über Gewehre bis zu Trump. Am Besten läuft die Fahne mit der Aufschrift „Make America Great Again“. Aber auch ein mehr als einen Meter großes Porträt von dem jungen Trump verkauft sich gut. „Hiermit sind manche Leute nicht einverstanden“, sagt der Verkäufer über die US-Fahne, auf der Pistolen statt Sterne zu sehen sind und Sturmgewehre an der Stelle der Streifen. Und er verkauft Aufkleber, auf denen die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris als „Schlampe“ bezeichnet wird.
Ihn lässt das kalt. Es ist ihm auch egal, wenn es jemanden verletzt, dass er die Fahne der Konföderierten verkauft, der Sklavenhalter, die 1865 den Bürgerkrieg und ihre Sklaven verloren haben. „Die Fahne repräsentiert unsere Geschichte“, knurrt er, „warum sollte man sie verstecken?“
Christen mit Schusswaffen
Eine Mutter in Birkenstocksandalen und ihre 18-jährige Tochter fahren vor. Sie kaufen ein großes Trump-Transparent für eine Schlafzimmerwand. „Wir sind Christen“, sagt die Mutter, was bedeutet, dass sie eine evangelikale Fundamentalistin ist. Mit Trumps aggressivem Stil ist sie „nicht immer“ einverstanden. Aber sie liebt ihn trotzdem: vor allem, weil er gegen Abtreibung ist und weil er das Recht auf Schusswaffen verteidigt. Sie ist überzeugt, dass Trump das Ansehen der USA vergrößert habe.
Der Verkäufer wird noch bis Mitte November an der Landstraße in Pennsylvania bleiben. Eine Maske trägt er nicht. Seine Begründung: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben.“ Sein Zuhause ist mehr als 2.000 Kilometer weiter südlich in Louisiana. Natürlich sei er auch persönlich ein Trump-Wähler, versichert er: „Ohne Trump geht das Land in den Ruin.“
Ob er die Briefwahloption nutzt, gegen die sein Präsident täglich Kampagne macht? „Nein“, sagt er, „ich habe schon vor Wochen von zu Hause gewählt.“ Wie? „Am Computer.“ Wie Computerwählen in Louisiana geht, erinnert der 24-Jährige nur „vage“. Er will nicht fotografiert und schon gar nicht namentlich zitiert werden.
Trumps Präsidentschaft hat den Umgangston in der Politik geändert. Sein Echo hallt bis in die tiefe Provinz hinein. „Babykiller“, schreit ein Mann aus seinem Truck auf den Cameron-Platz. Es ist ein kühler Vormittag im Spätherbst. Kandidat Lee Griffin tut, als wäre nichts geschehen. Seine Frau sowie der Chef des lokalen Parteiverbands der Demokraten, zwei Passanten und eine Reporterin stehen in lockerem Abstand um ihn herum.
Sein Vorbild: Nelson Mandela
In den 60er Jahren war „Babykiller“ ein Schimpfwort für Soldaten, die aus dem Vietnamkrieg zurückkehrten. Heute, in Central Pennsylvania, richtet es sich gegen einen Politiker, der das Recht von Frauen auf Schwangerschaftsabbruch verteidigt. Wenig später fährt ein anderer Wagen im Schritttempo an dem Platz vorbei. Aus dem Inneren hallt der Ruf „Fotze“ in Richtung der kleinen Gruppe von vier Männern und zwei Frauen.
Er setzt das Gespräch einfach fort. Sein Gesicht zuckt nicht einmal. Worte wie diese hat er in den zurückliegenden Wochen im Wahlkreis 12 öfter erlebt. Auf Nachfrage erklärt er, dass der Hass schon „vorher“ dagewesen sei. Aber dass Trump sie ermuntert und das Schlimmste aus den Menschen herausgeholt habe.
Griffin ist zusammen mit seiner Frau Gulshan in einem kleinen blauen Auto unterwegs, der Farbe der Demokraten. Seine eigentliche Arbeit für die Warenhäuser setzt er in seinen freien Momenten fort. Der Arbeitgeber sei, sagt er, „unglaublich unterstützend“. Der Kandidat ist ein moderater Mann. Das Wort „Sozialist“, mit dem Trump-Anhänger anderswo ihre Gegner bedenken, passt nicht zu ihm. Griffin möchte die Hand zu den Politikern der anderen Partei ausstrecken. Sein politisches Vorbild ist Nelson Mandela: „Weil er sich mit seinen Gefängniswärtern versöhnt hat.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Mit seinen Open-Air-Wahlkampfauftritten will Lee Griffin die Corona-Ansteckungsgefahren verringern. Aber sie entsprechen auch dem demokratischen Wahlkampfstil dieses Jahres. Während Trump bei Großveranstaltungen auf Flughäfen poltert und hetzt und republikanische Wahlkämpfer der Pandemie zum Trotz längst wieder an Haustüren klopfen, machen die Demokraten einen kleinteiligen Wahlkampf aus der Entfernung. Ihre Mittel sind das Telefon, Textnachrichten und Zoom. Statt auf Geschrei setzen sie auf bescheidenene, leise und höfliche Töne. Sie gehen davon aus, dass Trump sich selbst sein bester Feind ist. Und dass er sich allein erledigt.
Demokraten: 34.167 Dollar Budget
Gulshan, die Ehefrau, steht neben dem Kandidaten. Sie lebt seit zwölf Jahren in den USA. Vor vier Jahren bekam sie die Staatsangehörigkeit – Hillary Clinton war ihre erste Präsidentschaftswahl. In diesem Herbst ist sie die wichtigste Beraterin in der Kampagne eines Kandidaten für den US-Kongress. Sie macht die Termine für ihren Mann und zeigt ihm, wie er atmen muss, damit seine Stimme trägt.
Die Schauspielerin und Regisseurin Gulshan Griffin stammt aus einer indischen muslimischen Familie in Südafrika. Im zu mehr als 90 Prozent weißen Central Pennsylvania fällt sie auf. Als sie bei einer Suppenküche aushalf, habe ihr jemand zugezischt: „Geh zurück nach Hause.“
Es ist nicht ihre einzige Begegnung mit offenem Rassismus. Seit dem Beginn der Pandemie verlässt sie das Haus nur noch in Begleitung ihres Mannes. Der sagt über sich selbst mit Worten, die in Central Pennsylvania ungewöhnlich klingen: „Ich bin ein heterosexueller weißer Mann mit Privilegien.“ Dass er das wisse, verdanke er seiner Frau, erklärt er. Und fügt hinzu, dass sie und die Sicherheit ihrer „zukünftigen Kinder“ der beiden ein zentraler Grund für seine Kampagne seien.
Manchmal kommen drei, manchmal zehn Menschen zu den Wahlkampfstopps. Selten sind es mehr. Anders als bei den Republikanern tragen bei ihm alle eine Maske. Das ist Voraussetzung für eine Teilnahme. „Ich habe dich gewählt“, sagt der 74-jährige ehemalige Metallarbeiter Robert Faust an diesem Morgen in Sunbury zu Lee Griffin. „Danke“, antwortet der Kandidat. Auch auf seiner Facebookseite bedankt er sich mit ein paar Worten bei Wählern, die für ihn gestimmt haben. In Wahlkreis Nummer 12 ist die Zahl der demokratischen Wähler überschaubar.
Faust aus Dalmatia in Pennsylvania hat in seinem Leben nicht immer demokratisch gewählt. „Ich stimme für den Mann“, erklärt er. Manchmal ist der Mann seiner Wahl ein Republikaner. Aber dieses Mal ist es Joe Biden, auf den er schon lange große Stücke hält: „Er vertritt die Arbeiter.“ Vor ein paar Wochen war Faust einer von drei Männern, die zu einem Treffen mit Joe Biden in einem Garten in Pennsylvania eingeladen waren.
Der Präsidentschaftskandidat wollte mit Arbeitern und Veteranen sprechen. Faust erfüllt beide Kriterien. An diesem Morgen in Sunbury ist er unterwegs, um seinen ausgefüllten Wahlschein persönlich beim Wahlbüro abzugeben. Das Dokument ist zwei Tage vorher per Post bei ihm angekommen. Faust hat es eilig, das Dokument abzugeben. Obwohl Biden nur einen geringen Vorsprung in den Meinungsumfragen in Pennsylvania hat, könnte es klappen, sagt der ehemalige Metallarbeiter. Er spürt Aufbruchstimmung bei manchen Nachbarn.
Die Rentnerin Mary Deibler spürt die Veränderungen an der Basis im Innern ihrer Familie. Ihre drei Schwestern sind Republikanerinnen. Sie selbst nennt sich das „blaue Schaf der Familie“. Sie vermutet, dass der parteipolitische Graben entstand, als sie mit ihrer Arbeit im öffentlichen Dienst und ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft andere Wege einschlug.
Schon bevor Trump Präsident wurde, gab es bei Familienfesten heftige politische Diskussionen. Aber es blieb sachlich. Mit Trumps Amtsantritt eskalierte der Ton. Zuletzt ging Mary Deibler kaum noch zu Familientreffen. „Neuerdings nennen sie Demokraten pädophil“, seufzt sie auf dem Cameron-Platz in Sunbury, „wer tut so etwas?“
Aber Deibler hat Hoffnung. Eine ihrer Schwestern hat ihr gerade mitgeteilt, dass sie Trump nicht mehr erträgt und im November einen demokratischen Präsidenten wählen will – obwohl ihr Ehemann bei den Republikanern bleibt. Als Beleg schickte sie ein Selfie, das sie mit einem Joe Biden Stirnband zeigt. Die Sache soll in der Familie bleiben. Mit einer Reporterin will die Schwester nicht reden.
Im Sommer erreichte die Abkehr von Trump auch den ehemaligen Chef der Republikanischen Partei in Northumberland County, wo Sunbury liegt. In einem Text in der Lokalzeitung Daily Item rief er Ende August zur Wahl von Joe Biden auf. „Wir müssen unserer Nation eine Gelegenheit geben, ihre Wunden zu heilen“, schrieb er, „das geht nur, wenn dieser Präsident besiegt wird.“ Auch der pensionierte Lehrer Don Ulrich, ebenfalls ein Republikaner in Wahlkreis 12, wird im November Biden wählen.
Aber in seinem Fall ist das weniger überraschend. Er ist vor allem aus taktischen Gründen in der Republikanischen Partei geblieben. Er will bei der Kandidatenauswahl mitreden und möchte wissen, wie seine Nachbarn denken. Aber bei Wahlen stimmt er schon so lange demokratisch, dass er sich nicht einmal mehr an den Namen des letzten Republikaners erinnern kann, den er in das Weiße Haus gewählt hat.
Neutraler Bauernmarkt
„Ich stimme auch für dich“, sagt Don Ulrich lachend zu Lee Griffin, als er den Kandidaten auf dem Bauernmarkt in Selinsgrove trifft, „auch wenn du keine Chance hast.“ Weil es an seinem Wohnort vier Republikaner für einen Demokraten gibt, ist Don Ulrich überzeugt, dass der gegenwärtige republikanische Abgeordnete Fred Keller wieder gewinnt. Im Abgeordnetenhaus verteidigt Keller jeden politischen Schritt von Trump.
Im Wahlkreis ist er gut vernetzt. Auch finanziell liegen Welten zwischen Fred Keller und seinem Herausforderer Lee Griffin. Der Republikaner hat bis Ende September 1,4 Millionen Dollar Spenden für seinen Wahlkampf bekommen. Der Demokrat hatte bis dahin nur 34.167 Dollar. Lee Griffin nimmt nur Spenden von Privatleuten. Geld von Lobbygruppen und großen Konzernen will er nicht haben. Seiner Unabhängigkeit zuliebe.
Auf dem Bauernmarkt ist Lee Griffin nur für Eingeweihte als Demokrat im Wahlkampf zu erkennen. Die Organisatoren des Bauernmarkts wollen, dass ihre Operation politisch „neutral“ erscheint. Schilder und Handzettel sind nicht erlaubt. Der Kandidat und seine Frau schlendern von einem Stand zum nächsten und plaudern mit Händlern.
Republikaner: 1,4 Millionen Dollar
In den zurückliegenden Monaten hat Greg Snyder von der Demokratischen Partei kostenlos 1.600 Wahlkampfschilder verteilt. Darunter mehr als 400 für Lee Griffin. „Die Nachfrage war 400 Prozent größer als beim letzten Mal“, sagt der Vorsitzende der Demokratischen Partei im Northumberland County. Dafür ist nicht allein das Engagement für die Demokraten verantwortlich, sondern auch der weit verbreitete Schilderdiebstahl in diesem Wahlkampf. Viele der demokratischen Wahlzeichen verschwanden, kaum waren sie aufgestellt.
Eine Frau beobachtete aus ihrem Schlafzimmer, wie Männer mitten in der Nacht ihre Biden-Fahnen auf der Veranda abmontierten. Ein Mann hat nach dem dritten Fahnenklau eine Kamera in seinem Vorgarten installiert, um das neue Schild zu überwachen. Eine Familie mit kleinen Kindern ließ die Biden-Schilder selbst wieder in der Versenkung verschwinden, nachdem ohne Unterlass Trump-Anhänger hupend um ihr Haus fuhren. „Die Eltern sorgten sich um den Schlaf ihrer Kinder“, erklärt Snyder. Er trägt an diesem Tag eine Biden-Harris-Maske, die in den Regenbogenfarben schillert.
Die Ursprünge für die Verhärtungen in den Fronten zwischen Republikanern und Demokraten sieht Greg Snyder bei Ronald Reagan. Der sei mit den evangelikalen Fundamentalisten „ins Bett gegangen“, meint der Vorsitzende der Demokratischen Party in Northumberland County. Und der haben ihnen ein politisches Forum für ihre Opposition gegen Abtreibung und gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen gegeben.
Greg Snyder,Vorsitzender der Demokratischen Partei im Northumberland County
Die religiöse Toleranz, mit der er in Pennsylvania aufwuchs, sei darüber verschwunden. „Ich war kein Fan von Präsident Bush“, sagt der 58-jährige Snyder, „aber unter ihm bin ich nicht abends ins Bett gegangen und habe befürchtet, dass ich am Morgen in einer Diktatur aufwache.“
Niemand in Wahlkreis 12 glaubt an einen Sieg von Lee Griffin. Das geben die Zahlen in der republikanischen Hochburg nicht her. Aber viele glauben, dass Biden es hier schaffen kann. David Jacobson, Computerfachmann und Demokrat in dem Universitätsstädtchen Lewisburg, hält einen demokratischen Sieg in Pennsylvania nicht mehr für ganz ausgeschlossen. Auch er glaubt nicht, dass Lee Griffin es in den Kongress schafft. Aber er hält den Kandidaten für einen Mann mit Zukunft und glaubt, dass dessen Wahlkampf ein Klima schaffe, dass auch Joe Biden helfe.
In den letzten Monaten hat Jacobson ein Drittel seiner Zeit in den Wahlkampf gesteckt. Noch am 19. Oktober, dem letzten Tag, an dem das in Pennsylvania möglich war, haben er und andere Aktivisten Wähler dazu ermuntert, sich in das Wählerregister einzutragen.
Jacobson war 2016 einer jener wenigen Leute, die vorab einen Wahlsieg von Trump befürchteten. Er spürte es nicht nur in Gesprächen, sondern leitete es auch aus den Zahlen ab. Die Anzahl der eingetragenen republikanischen Wähler war einfach viel zu hoch. Vier Jahre später ist er optimistischer: „Wenn die Wähler in Philadelphia und Pittsburgh und in den Vorstädten mitmachen, könnten wir es schaffen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück