US-Urteil zu sozialen Netzwerken: Kein Blanko-Verbot für Sextäter
Sexualstraftätern im US-Bundesstaat Indiana wurde jahrelang der Zugang zu sozialen Netzwerken verwehrt. Ein Gericht hob dieses Pauschalverbot jetzt auf.
Hinter jedem „Thomas88“, jedem verklausulierten Twitter-Account und unscheinbaren Profil in einem sozialen Netzwerk könnte jemand ganz anderer stecken als der harmlose 16-jährige High School-Schüler, der sich mit dem Mädchen von der Nachbarschule anfreunden will.
Um diesem möglichen Missbrauch des Netzes und seinen Graubereichen entgegenzutreten, verabschiedete der US-Bundesstaat Indiana im Jahr 2008 ein Gesetz, das registrierte Sexualstraftäter den Zugang zu sozialen Netzwerken, bei denen sich auch Kinder und Jungendliche unter 18 Jahren anmelden können, zu untersagt.
Facebook, Twitter, MySpace, Google+ oder Instant-Messaging-Dienste waren so für alle vorbestraften Sexualstraftäter nicht mehr zugänglich. Aber auch jegliche harmlose Funktion wie etwa Informationenaustausch oder berufliche Netzwerke waren damit unmöglich. Barack Obama auf Twitter folgen? Ebenso wenig möglich wie Urlaubsfotos auf Facebook hochzuladen.
„John Doe“, ein wegen Kindes-Ausbeutung zu 21 Monaten Haft verurteilter Mann, wollte das nicht hinnehmen. Bereits 2003 entlassen, stand er nicht mehr unter Bewährung fiel in Indiana dennoch unter den Sozialen-Netzwerk-Bann. Die US-Bürgerrechtsorganisation “American Civil Liberties Union“ (ACLU) nahm sich des Falls an, klagte – und bekam nun Recht.
Ein Berufungsgericht entschied in der vergangenen Woche, dass das Gesetz zu weitgreifend sei und damit gegen den ersten Verfassungszusatz verstößt, in dem das Recht auf freie Rede festgeschrieben ist. „Das Gericht hat zu Recht anerkannt, dass der Staat dieses Interesse nicht mit einem Gesetz vertreten kann, das so breit ist, dass es jemanden, der vor Jahren oder gar Jahrzehnten ein Vergehen begangen hat, davon abhält, ein eine harmlose Kommunikation über soziale Netzwerke eingebunden zu sein“, sagt Ken Falk, Anwalt der ACLU Indiana in einer Mitteilung der Organisation.
Die drei Richter des Berufungsgerichts in Chicago entschieden einstimmig, dass das Gesetz in Indiana nicht spezifisch genug auf das Problem und die Gefahr „unangemessener Kommunikation“ im Internet eingehe. Indiana kann gegen das Urteil in Berufung gehen, hat darüber aber noch nicht entschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance