US-Thaiboxerin über Feminismus: „Wie die Bewegung einer Ballerina“
Die US-Amerikanerin Sylvie Von Duuglas-Ittu steigt in Thailand als Thaiboxerin in den Ring. Dort kämpft sie auch gegen das Patriarchat.
taz: Frau Von Duuglas-Ittu, was fasziniert Sie am Muay Thai?
Sylvie Von Duuglas-Ittu: Die Faszination ist mit meinem Engagement für den Sport gewachsen. Als ich anfing, war ich noch nicht so besessen davon. Ich hatte vorher auch noch nie Muay Thai gesehen. Mein Mann hatte eine sehr umfangreiche Kung-Fu-Filmsammlung. Als wir zusammenzogen, haben wir uns all diese Filme angesehen. Das hat mir aber nie viel gegeben. Dann zeigte er mir den thailändischen Spielfilm „Ong-Bak“. In einer Kampfszene gibt es ein spektakulär umgedrehtes Knie. Da fiel mir die Kinnlade runter. Ich wollte, dass mein Körper diese Bewegungen macht, so wie jemand, der die Bewegungen einer Ballerina sieht und denkt: „Das will ich auch machen.“
taz: Also haben Sie angefangen, zu trainieren?
Von Duuglas-Ittu: Ja, mit 24 Jahren. Nach ein paar Versuchen fand ich Meister K., einen 70-jährigen Thai, der in seinem Keller in New Jersey unterrichtete und in mir dasselbe Gefühl auslöste wie der Film. Als ich zum ersten Mal nach Thailand ging, fühlte ich mich der Freundlichkeit und dem Ursprung des Sports dort sehr verbunden.
geboren 1983 in den USA, ist professionelle Muay-Thai-Kämpferin und Bloggerin, lebt in Thailand und kann über 280 Kämpfe verzeichnen – mehr als alle anderen nicht-thailändischen Kampfsportler.
taz: Sie leben nun seit 12 Jahren in Thailand. Das Land ist als sehr patriarchalisch und streng hierarchisch bekannt. Wie erleben Sie das?
Von Duuglas-Ittu: Die meisten Amerikaner sehen Thailand gar nicht als ein sehr patriarchalisches Land. Das war auch bei mir so. In der Schule habe ich nichts über Thailand gelernt und bis dahin außer meinem Trainer keine Thais getroffen. Ich hätte das Land nicht einmal auf der Karte gefunden. Als ich nach Thailand kam, wurde mir klar, dass viele Dinge, die ich an Meister K. schätzte, eigentlich typisch für Thais waren. Der Sexismus, den es auch in Thailand gibt, ist nicht einmal besonders einzigartig. Aber einiges war neu. Zum Beispiel sind die Menstruationstabus hier stärker ausgeprägt als in Amerika, und da sind sie ja schon sehr stark.
taz: Inwieweit merkt man das?
Von Duuglas-Ittu: Weibliche Kämpferinnen müssen in Thailand zum Beispiel unter dem untersten Seil in den Ring gehen. Es gibt die Vorstellung, dass die Kraft der weiblichen Menstruation die Elemente, die den Ring schützen sollen, zerstören und entmachten kann. Früher durften Frauen den Ring deshalb nicht einmal berühren. Mittlerweile dürfen sie in den beiden großen Stadien durch das mittlere Seil. Auch der Zugang zu bestimmten heiligen Stätten wird Frauen aufgrund von Menstruationstabus verwehrt. Gleichzeitig gibt es hier eine Leichtigkeit in der Sprache, sodass man tatsächlich über all das sprechen kann. Etwas, was die puritanischen Amerikaner nicht können. Der Sexismus in Thailand ist aber nichts, was mir fremd oder härter vorkommt als im Westen. Aber es ist viel schwieriger, als Nicht-Thailänderin direkt etwas dagegen zu sagen. Ich habe also eine sanftere Art, an diese Dinge heranzugehen, während ich in Amerika eine schärfere Sprache verwenden würde.
taz: Sie haben einen Youtube-Kanal, auf dem Sie unter anderem Interviews mit Muay-Thai-Legenden führen und sich gegen das Patriarchat aussprechen. Wie kommt das an?
Von Duuglas-Ittu: Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Thailänder meine Videos sehen. Ich glaube aber nicht, dass die meisten meine Videos verstehen. Sie sehen vor allem, wie ich mit diesen Muay-Thai-Legenden interagiere. Ich möchte aber verstehen, was Thailänder zum Beispiel davon halten, wenn Frauen unter dem Seil in den Ring müssen. Die Männer, mit denen ich spreche, sind meist zwischen 40 und 60 Jahre alt und haben eine geteilte Meinung. Einerseits sei es Tradition, gleichzeitig erklären sie mir: „Ich verstehe es nicht wirklich, denn wir stammen alle von unseren Müttern ab.“ Einige Männer haben mir sogar ganz offen gesagt, dass sie das untere Ringseil für Blödsinn halten.
taz: Wie können Frauen im Muay Thai sichtbarer werden?
Von Duuglas-Ittu: Wir Frauen sind beim Zugang zum Sport und bei den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, im Hintertreffen. Im Großen und Ganzen sind wir einfach noch nicht so gut wie die Männer. Die Kämpferinnen müssen besser werden, sich weiterentwickeln und den Prozess ernst nehmen, um dadurch mehr Sichtbarkeit zu bekommen. Frauen tragen die Ästhetik, die Schönheit und die Tradition des Sports viel stärker in sich als Männer. Vielleicht neigen wir Frauen auch dazu, viel traditioneller zu sein, um auszugleichen, dass wir in diesem Bereich nicht vollständig anerkannt sind. Der Sport ist in Thailand ein starker Ausdruck von Männlichkeit. Er wird als etwas sehr Maskulines angesehen.
taz: Ist das auch im Westen so?
Von Duuglas-Ittu: Das Einzigartige an Muay Thai ist, dass diese Ausdrucksformen der Männlichkeit im Westen weiblich wirken können. Zum Beispiel wird der Tanz zu Beginn des Kampfes, der Ram Muay, im Westen als weiblich angesehen. Aber die Bewegungen sind eigentlich sehr männlich und stammen aus dem Ramayana, dem indischen Schöpfungsmythos, der nach Thailand kam. Die Bewegungen sind allesamt Kriegerposen, die im Westen aber nicht als solche erkannt werden, weil sie weich und fließend sind. Frauen können diese Bewegungen sehr gut übernehmen. Es gibt auch eine Doppelmoral unter Thais. Sie lieben es, dass man Muay Thai ohne Kraft anwenden kann. Der kleine Körper eines thailändischen Mannes, der in der Regel viel kleiner ist als sein westliches Gegenstück, kann einen stärkeren Mann durch Technik und Cleverness besiegen. Das sollten sie auch auf Frauen übertragen, die durch Geschick und Finesse sehr gut im Muay Thai sein können. Sie müssen nicht stark, muskulös und bullig sein.
taz: Sie behaupten in einem Video, dass Sie Ihre Sexualität als Frau kastrieren müssen, um in Thailand zu trainieren. Was heißt das?
Von Duuglas-Ittu: Die thailändische Kultur trennt Männer und Frauen von Pubertät an. Es ist eine konservative Gesellschaft, in der Jungen und Mädchen nicht viel Zeit miteinander verbringen. Auch Gyms sind eine unglaubliche Männerdomäne. Wenn man dann als Frau in ein Gym voller Männer kommt, kommen die Körper in Kontakt. Das kann zu einer Spannung führen, denn so gehen Jungen und Mädchen in Thailand einfach nicht miteinander um. Jungen – und auch erwachsene Männer – hingegen berühren sich sehr oft. Sie kokettieren sogar auf scherzhafte Weise miteinander, kneifen und begrapschen sich gegenseitig. Mit Mädchen können sie das nicht machen. Es wird nie nur freundschaftlich sein.
taz: Aber Ihr Training erfordert ja diesen Körperkontakt.
Von Duuglas-Ittu: Genau. Ein Teil des Muay-Thai-Trainings ist körperlich und eng, vor allem das Clinchen. In normalen Gyms gibt es meist nur ein oder zwei Frauen und es ist schwierig, nicht sexualisiert zu werden. Wenn du eine natürliche Sexualität hast und dein Humor aus sexuellen Witzen besteht, kann das in anderen etwas Unkontrollierbares auslösen. Und dann kann man nie hinter eine Grenze zurückkehren, die man bereits überschritten hat. Also versuche ich ständig, Grenzen zu wahren. Wenn ich sage, dass ich mich im Gym entsexualisiere, bin ich übermäßig vorsichtig und konservativ. Ich will nicht in eine Situation geraten, in der ich meine Position im Gym nicht mehr unter Kontrolle habe. Männer hingegen müssen sich darüber in keiner Weise Sorgen machen.
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