US-Präsident Obama spricht in Berlin: „Etwas informeller sein“
In Berlin geben sich Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Obama betont informell. Obamas Rede zündet nicht.
BERLIN taz | Kurz bevor Angela Merkel das Redepult hinter der schusssicheren Glaswand für den amerikanischen Präsidenten Obama freigibt, sagt sie einen ungewöhnlichen Satz. „Lieber Barack, ich heiße dich willkommen bei Freunden.“ Ein bewusstes Du, viel Emotion, das ist selten bei der nüchternen Kanzlerin. Und auch Barack Obama, der Angesprochene, tut alles, um innige Nähe zu demonstrieren. Gleich zu Beginn seiner Rede zieht er sein Jackett aus, schließlich sei man ja unter sich, „und da können wir etwas informeller sein“.
Unter Freunden. Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor am späten Mittwoch Nachmittag war der mit Spannung erwartete Höhepunkt eines Staatsbesuchs, der wie kaum ein anderer mit Erwartungen aufgeladen war. Schließlich war der US-Präsident zum ersten Mal in seiner Amtszeit in Berlin. Und er sprach an einem historischen Ort, auf dem Pariser Platz auf der Ostseite des Tores, da also, wo vor der Wende noch DDR-Gebiet war.
Sein Vorgänger, Ronald Reagan, war 1987 auf der anderen Seite mit seinem historischen Appell an Michael Gorbatschow („Open this gate!“) in die Geschichtsbücher eingegangen. Selbstverständlich nimmt auch Obama Bezug auf die Berliner Historie. Er begrüßt einen 92-jährigen ehemaligen Piloten eines Rosinenbombers persönlich, zitiert Kennedys Berliner Rede aus dem Jahr 1962 und spricht ausführlich über Freiheit. „Man kann das Schicksal dieser Stadt in wenigen Worten fassen: Wollen wir frei leben oder in Ketten?“ Keine Mauer könne „dem Drang nach Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit standhalten.“
Immer wieder brandet Applaus auf in der Kulisse, die vom Protokoll sorgfältig vorbereitet worden war: Über 4.000 ausgesuchte Zuhörer, Schulklassen, Marine-Soldaten, von Unis entsandte Studenten zwischen Flaggenspalieren. Auf den Dächern der Nebengebäude, etwa auf der Akademie der Künste oder der US-Botschaft, stehen Scharfschützen mit Sturmhauben. Polizisten in Körperschutz wischen sich in der schwülen Hitze über die Stirn.
Nach dem historischen Teil kommt Obama zur aktuellen Politik. Und kündigt an, was US-Regierungsbeamte bereits zuvor durchsickern ließen: Die USA würden ihre strategischen Atomwaffen um bis zu ein Drittel reduzieren, auch so ließe sich die Sicherheit des Landes garantieren. 2016 werde er zu einem Atomgipfel einladen, um diese Waffen zu bannen, ruft Obama.
„Die Mauer ist Sache der Geschichte“
Die Botschaft platzieren seine Strategen bewusst in Berlin, weil Deutschland – mit seiner kriegsskeptischen Bevölkerung – einen großen Resonanzraum bietet. Auch sonst spart Obama nicht mit Sätzen, die das Bild des liberalen Präsidenten bedienen, den die Deutschen lieben. Er lobt die Energiewende, er fordert die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben, er betont, Jugendliche bräuchten Arbeitsplätze. „Diese Mauer ist nun eine Sache der Geschichte. Aber wir müssen ebenfalls Geschichte schreiben.“
Seine Rede ist nicht schlecht, doch sie zündet nicht. Nur selten springt der Funke über. Alles wirkt gestellter, geschäftsmäßiger, weniger euphorisch als im Juli 2008. Damals wurde Obama als Präsidentschaftskandidat der Demokraten vor der Siegessäule wie ein Heilsbringer bejubelt. Heute wird er hierzulande längst wie ein normaler Politiker gesehen. Aus der Verliebtheit vieler Deutscher in den charismatischen Amerikaner ist etwas anderes geworden, eine rationalere, aber nach wie vor nahe Beziehung. Eine freundschaftliche Nüchternheit ist eingekehrt, wie es in einer in die Jahre gekommene Ehe zwangsläufig passiert.
Ein paar Stunden vor dem Auftritt am Tor trat Obama neben Angela Merkel im Foyer des Kanzleramts vor knapp 100 Journalisten ans Mikrofon. Auch hier: routiniert-freundliches, aber nicht herzliches Einvernehmen. Obama grüßt lässig mit „Guten Tag“, scherzt über die auf Deutsch gestellte Frage eines amerikanischen Journalisten („Angela says, it’s okay.“)
Die Hauptstadtpresse war da bereits teilweise gereizt durch die zeitfressenden Sicherheitsmaßnahmen und das Gefühl, verschiebbares Kulissenmaterial einer großen Politikoper zu sein. Doch bot Obama immerhin ein wenig Labsal durch spontan wirkende, minutenlange Erklärungen etwa zur gigantischen Datensammlung durch den US-Dienst NSA namens „Prism“.
Merkel erklärte hierzu, sie habe Obama bereits deutlich gemacht, „das Thema der Verhältnismäßigkeit ist ein wichtiges Thema“, soll heißen: in den Augen der Kanzlerin bei dem Überwachungsprogramm nicht gegeben. Die Formulierung, die Merkel direkt in ihrem Eingangsstatement einschob, ist eine deutliche Kritik.
„Niemand hört zu“
Auch Obama nutzte die Gelegenheit, um kühl seine Interessen darzustellen. Eine Nachfrage eines Journalisten nutzte der US-Präsident jedenfalls, Merkel mal eben das Recht auf die erste Antwort abzunehmen. Die Telefonüberwachung, sagte Obama, diene der Terrorismusabwehr und gehe nur so weit, Telefonnutzung zu erfassen: „Niemand hört dem Gespräch dann zu.“
Die Befugnisse des Geheimdienstes würden von Gerichten überwacht und übrigens seien schon Leben durch die Datenerfassung gerettet worden. „Dies ist keine Situation, in der wir E-Mails von gewöhnlichen Bürgern durchwühlen.“
Obama wie Merkel betonten, dass die Kooperation der Geheimdienste verbessert werde und eine Information der Öffentlichkeit jedenfalls insoweit geplant sei, als die Arbeit dadurch nicht zu sehr leide.
Auch auf die Frage nach dem völkerrechtswidrigen Gefangenenlager Guantanamo beantwortete Obama in geübter Offenheit. Ja, er sei kritisch gegenüber dem gewesen, was seine Vorgänger ihm hinterlassen hätten. Die Schließung Guantanamos laufe „nicht so schnell, wie ich wollte“ - was eine Untertreibung ist angesichts der 46 Namen von Häftlingen, die bis zum Tode, aber ohne Prozess in Haft bleiben sollen. Obama verwies darauf, dass der US-Kongress nicht mitmache. Was „ich als Politiker entdeckt habe“, sagte Obama, „ist, dass Leute nicht immer genau das tun, was du willst“. Ein Satz, der wohl auch für die Deutschen und ihren neuen Blick auf Obama gilt.
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