US-Journalistin Dana Priest über Wikileaks: "Regierung behandelt uns wie Kinder"
Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen, was ihre Regierung tut, meint Pulitzerpreisträgerin Dana Priest. Und die Medien sollten nicht schlecht über Wikileaks berichten.
taz: Frau Priest, sind die Wikileaks-Veröffentlichungen von diplomatischen Depeschen moralisch verwerflich?
Dana Priest: Nein, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu wissen, was ihre Regierung tut. Diese Dokumente zeigen das. Sie zeigen, wie Nationen miteinander umgehen, und sie geben ein ungefiltertes Bild, das sie von ihren Feinden und Verbündeten haben. Das sind wichtige Informationen.
Die Informationen, die jetzt öffentlich wurden, scheinen auf den ersten Blick nicht so brisant zu sein. Glauben Sie, dass sie die Aufregung wert sind?
Dana Priest, geboren 1957, ist Journalistin und arbeitet seit 20 Jahren für die Washington Post. Sie recherchiert und schreibt hauptsächlich über den "Krieg gegen den Terror". Sie war diejenige, die 2005 aufdeckte, dass die CIA Terrorverdächtige in geheimen Gefängnissen außerhalb der USA festhielt. Dafür bekam Dana Priest 2006 ihren ersten Pulitzerpreis, die höchste Auszeichnung für Journalisten in den USA. Im Jahr 2008 enthüllte sie desaströse Zustände im Walter-Reed-Militärkrankenhaus für Kriegsveteranen in Washington, D. C. und bekam dafür ebenfalls den Pulitzerpreis. Der Fall löste eine nationale Debatte aus und führte zum Rücktritt des Militärministers Francis J. Harvey. 2003 erschien ihr Buch: "The Mission: Waging War and Keeping Peace With Americas Military". Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Washington, D. C.
Es sind 250.000 Dokumente - jetzt müssen Journalisten viel Zeit dafür verwenden, sich das genau anzuschauen. Es geht darum herauszufiltern, was neu ist, und den Kontext dazu zu liefern. Die New York Times hat das gemacht. Ich stimme nicht damit überein, dass wir diese Unterlagen einfach als unwichtig abtun können, diese Informationen werden Journalisten noch Jahre beschäftigen.
Die Regierungen werfen Wikileaks Verantwortungslosigkeit vor.
Ja, aber das ist das, was man von einer Regierung erwartet. Die Reaktion war ein Stück weit unüberlegt. Aber der Verteidigungsminister Robert Gates hat gesagt, diese Unterlagen stellen kein Problem für die nationale Sicherheit dar. Die Regierung hat die Kontrolle verloren über etwas, worüber sie nie die Kontrolle hätte verlieren dürfen. Sie behandelt uns wie kleine Kinder. Diese Vorstellung, dass wir nicht wissen dürfen, wie die Regierung handelt, ist falsch. Sie hat zwei Ebenen, auf denen sie agieren muss: in der Diplomatie und gegenüber der Öffentlichkeit.
Und was ist die Aufgabe der Journalisten?
Journalisten haben eine Verantwortung, das ist richtig. Man muss wissen, wann man etwas veröffentlichen darf, ohne jemanden in Gefahr zu bringen. Aber ich bin überzeugt, dass beides geht: brisante Informationen veröffentlichen und verantwortlich handeln. Wikileaks muss noch einiges lernen, und ich glaube, das tun sie - ich weiß, dass es Verhandlungen zum Beispiel mit dem Spiegel über einige Informationen und ihre Veröffentlichung gab. Journalisten müssen die Regierung in ihre Arbeit mit einbeziehen und gegebenenfalls fragen, ob die Informationen, die sie haben, zu gefährlich für eine Veröffentlichung sind.
Sie haben in Ihrer Karriere ja schon viele brisante Informationen enthüllt, etwa über die Arbeit der CIA. Haben Sie auch schon Dinge zurückgehalten?
Ja. Das war immer eine schwere Entscheidung. Unser Business ist es ja, die Wahrheit öffentlich zu machen, nicht, sie zurückzuhalten. Es gab immer Leute, die wütend oder enttäuscht waren über das, was ich geschrieben habe.
Glauben Sie, dass die Anschuldigungen gegen Wikileaks-Chef Julian Assange nur eine Kampagne sind, um ihn mundtot zu machen?
Ja, die Regierung ist sehr besorgt, und sie wird einiges tun, um ihn zu stoppen. Die Regierung versucht, die Medien dazu zu bringen, negativ über die Enthüllungen zu berichten, sie wollen eine Kampagne. Da steckt eine Menge drin. Aber die Medien sollten nicht schlecht über Wikileaks berichten, sie selbst haben die Informationen ja nicht bekommen.
Warum nicht?
Das können nur die Quellen beantworten. Ich weiß nichts über sie. Vielleicht ist da fehlendes Vertrauen in die Medien, vielleicht die Angst, über die Medien schneller erkannt zu werden. Wikileaks ist so etwas wie ein Vermittler zwischen Quelle und Medien.
Verändert Wikileaks die Arbeit von Journalisten?
Das glaube ich nicht. Journalisten sollten Wikileaks wie jede andere Quelle auch behandeln. Das Einzige, was sich jetzt ändert, ist das Wissen über Regierungen und ihr Handeln. Solche Momente sind sehr selten, hoffentlich können wir alle davon lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin