US-Historiker über Palästinakrieg 1948: Neugierde statt Wut
Ein Vortrag des US-Historikers Derek Penslar über die Hintergründe zum Palästina-Krieg von 1948 bringt Fakten in eine emotional geführte Debatte.
Kaum ein Teilungsplan, kaum ein regionaler Krieg hat weltweit so viele Kontroversen hervorgerufen wie die bewaffneten Auseinandersetzungen um Palästina 1947/48. Dies war eine der zentralen Ausgangsthesen von Derek Penslars Berliner Vortrag am Dienstag. Eingeladen hatten den US-Historiker der linksliberale Verein New Israel Fund Deutschland gemeinsam mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung (LzpB).
Penslar ist Professor für moderne jüdische Geschichte an der Harvard University in Boston und gehört zu den renommiertesten Historikern im Bereich Zeitgeschichte. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem „Shylock’s Children: Economics and Jewish Identity in Modern Europe“, „Jews and the Military: A History“ und „Theodor Herzl: The Charismatic Leader“. Demnächst wird von Penslar auch das Buch „Zionism: An Emotional State“ erscheinen.
Weltweite Bedeutung
In der Landeszentrale für politische Bildung in Berlin stellte Penslar sein aktuelles Forschungsprojekt zur weltweiten Bedeutung des Krieges von 1948 vor. Die Veranstaltung war als akademisches Werkstattgespräch konzipiert. In seinem Eingangsvortrag gab der 65-jährige US-Amerikaner Einblick in die zentralen Fragen und konzeptuellen Dimensionen seines Vorhabens. Anschließend diskutierte Penslar mit Lutz Fiedler vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum und dem Publikum zu möglichen Erweiterungen des Projekts.
Im Rahmen einer International History interessiert sich Penslar dafür, wie genau sich Nationalstaaten, die Vereinten Nationen sowie die christlichen Kirchen um 1948 herum zur sogenannten Palästinafrage positioniert hatten. Allein die Voten in der Abstimmung über den UN-Teilungsplan werfen zahlreiche Fragen auf: 33 Staaten stimmten dafür, 13 dagegen, 10 enthielten sich.
Seinen derzeitigen Forschungsgegenstand versteht Penslar auch als Kontrast zu neueren Publikationen zum Thema, die weniger von akademischer Neugierde angetrieben seien und mehr von politischer „Wut“. Dabei bezog sich Penslar vor allem auf Jeffrey Herfs Studie „Israel’s Moment“. In einer sehenswerten Harvard-Veranstaltung hatten die beiden US-Historiker kurz nach der Publikation von Herfs Buch zu ihren jeweiligen Forschungsergebnissen miteinander diskutiert.
Der Staat Israel war, so sagte es Penslar am Dienstag, in einem einzigartigen „Zwielicht“ entstanden: In einer Zwischenphase von Hochimperialismus und Dekolonisierung, unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs und noch vor Beginn des Kalten Krieges. Dieser besondere zeithistorische Kontext prägte auch die internationalen Beziehungen im Zusammenhang mit der Abstimmung zum UN-Teilungsplan.
Auf Druck der Arabischen Liga
Penslar betonte, dass nicht nur die USA, sondern selbstverständlich auch die Arabische Liga mit diplomatischem Druck versucht hatte, in ihrem Votum noch nicht festgelegte Staaten zu beeinflussen. Als besonders interessantes Beispiel erwähnte Penslar an dieser Stelle etwa China, das sich aus Rücksichtnahme auf arabische Interessen letztlich der Stimme enthielt.
Auch gesellschaftliche Diskurse zum Krieg in Palästina 1948 fanden in dem besagten „Zwielicht“ statt. Penslar bezog sich vor allem auf die journalistischen Arbeiten des jüdischen Schriftstellers Arthur Koestler, des protestantischen Reporters Kenneth W. Bilby sowie der Autorin Marion Gräfin Dönhoff für die Wochenzeitung Zeit.
In den großen deutschen Medien sei die Berichterstattung in der Regel sachlich und ausgewogen gewesen. Gräfin Dönhoffs Stücke hingegen beinhalteten klare politische Wertungen – inklusive „in schockierender Offenheit“ vorgebrachter antisemitischer Ressentiments, legte Penslar dar.
Entstehung der Nabka
Ein weiterer zentraler Aspekt von Penslars Forschung ist die Schaffung von Narrativen zum 1948er-Krieg. Dabei bezieht er sich weniger auf die israelischen Neuen Historiker wie Tom Segev und Benny Morris, die nach der Öffnung der Archive Jahrzehnte nach dem Krieg vorherrschende Mythen und Verkürzungen der klassischen zionistischen Geschichtsschreibung infrage gestellt hatten.
Penslar interessiert sich vor allem für die Entstehung und Etablierung der Idee einer „Nakba“ unter Palästinener:innen sowie in der gesamten arabischen Welt.
All diesen Fragen widmete sich Penslar mit einer für die emotionalisierte Debatte untypischen Gelassenheit und zudem mit einer auffälligen Offenheit für neue Denkanstöße. Einige der präsentierten Archivfunde führten im Publikum zu sarkastischem Kopfschütteln. So etwa die absurde Erklärung eines irakischen Journalisten für die überraschende UN-Rede des sowjetischen Diplomaten (und späteren UdSSR-Außenministers) Andrei Gromyko für den Teilungsplan: Marx sei ja schließlich auch Jude gewesen – was könne man von den Sowjets da anderes erwarten?
Leser*innenkommentare
Abdurchdiemitte
Danke. Herr Schmidt, für die Berichterstattung über die Diskussionsveranstaltung mit Derek Penslar und dessen Forschungsarbeit über den Zionismus und die Ereignisse, die 1948 zur Gründung des Staates Israel führten. Ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung einer (notwendigerweise) emotionalen und kontroversen Debatte.
Martha
@Abdurchdiemitte „Nakba“ heisst auf Deutsch „Katastrophe“ und nicht „Exodus“, so wie es in der Bildunterschrift steht und natürlich ist für die vertriebenen Palästinenser:innen ihre Vertreibung und Flucht, der Verlust ihres Eigentums und ihrer Heimat eine Katastrophe und keine abstrakte Idee, deren Entstehung erst erforscht werden müsste.
Abdurchdiemitte
@Martha Dass es aus palästinensischer Perspektive eine Katastrophe war, die sich zudem in der völkerrechtswidrigen und ungerechten israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik fortsetzt, wird von mir nicht bestritten.
Aus jüdischer Perspektive jedoch sieht das alles ein bisschen anders aus, solange von führenden Vertretern der palästinensischen Bewegung das Existenzrecht Israels nicht anerkannt (Antizionismus) oder sogar die physische Eliminierung des jüdischen Volkes (Antizionismus) propagiert wird. So einfach ist das.
Kann man von Unterstützern der palästinensischen Ansprüche hierzulande nicht erwarten, diesem Antizionismus und Antisemitismus klar und deutlich entgegenzutreten statt stets in (letztlich infantiler) „Aber-die-anderen-sind-schuld“-Manier den Ball lediglich permanent hin und her zu spielen?
Und ja, ich bin fest davon überzeugt, dass eine historische, politik- und sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung weiter führt als eine lediglich subjektivistische Parteinahme für eine der beiden Seiten.
Sie haben vermutlich auch keine Vorstellung davon, was Flucht, Vertreibung und Genozid für die betroffenen Menschen wirklich bedeuten, es sei denn, sie selbst sind davon betroffen. Uns bleibt jedoch, wenigstens zu versuchen, die Hintergründe und Ursachen menschenverachtendender und gewaltbereiter Ideologien zu erforschen, in der Hoffnung, dass daraus die „richtigen Lehren“ gezogen werden.
Und klar, ein wenig Empathie mit Blick auf die (kollektive, sich intergenerationell fortsetzende und ständig neu genährte) Trauer und den Schmerz der jeweils anderen Seite. Und dafür zu arbeiten, dass das alles nicht in Hass und Gewalt umschlägt.
Martha
@Abdurchdiemitte Die Vertreibung kam zuerst. Ich finde es daher unangemessen von den Palästinenser:innen ZUERST dies und das zu verlangen. Das ist auch nicht infantil, kann man auch verlangen dass es einfach auch Sympathie ohne vorherige Bedingungen gibt.
Man muss auch nicht selbst vertrieben worden sein um zu verstehen, dass das eine Katastrophe ist. Ich kenne viele Palästinenser:innen und weiss wie es ihnen geht, sie werden ja auch noch heute enteignet und verdrängt. Ich kenne auch Israelis, ich habe dort gearbeitet.
Abdurchdiemitte
@Martha Die Frage nach dem ZUERST ist eine schwierige, da man tatsächlich an beide Seiten appellieren muss, die Gewaltspirale zu unterbrechen. Auf beiden Seiten wird sie momentan aber leider immer noch weiter angefacht.
Wo liegen die Probleme? Auf israelischer Seite sicherlich in der zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsentwicklung, die in den letzten Wahlen zu dieser unsäglichen Regierungskoalition unter Beteiligung offen rechtsextremistischer Parteien geführt hat. Netanyahu, dem die Aufhebung der politischen Immunität und Anklagen drohen, ist hochgradig erpressbar und somit auf Gedeih und Verderb seinen rechtsextremistischen Verbündeten ausgeliefert. (Natürlich sind Netanyahu und sein Likud dieses Bündnis mit Kalkül und trotz Bestehens anderer Koalitionsmöglichkeiten eingegangen.)
Auf der palästinensischen Seite sehen wir eine korrupte, machtlose Autonomiebehörde unter dem Greis Abbas, die den Respekt der Bevölkerung längst verloren hat, sozusagen eine Königin ohne Land. Radikale antisemitische, islamistische Gruppierungen geben mittlerweile den Ton an. In Gaza gewinnen inzwischen noch radikalere Islamisten gegenüber der dort regierenden Hamas an Einfluss.
Während in Israel die Zivilgesellschaft zu Hunderttausenden auf die Straße geht, um gegen ihre eigene Regierung zu protestieren, laufen die Palästinenser in ihrer Perspektivlosigkeit den hasserfüllten Fanatikern in den eigenen Reihen hinterher. Oder sie resignieren entmutigt.
Ganz trübe Aussichten also. Welche Vorschläge haben Sie anzubieten, damit die Region aus der Sackgasse der Gewalt wieder herauskommen kann? Welche Perspektiven müssen den Palästinensern eröffnet werden, wie kann dabei eine Garantie für die Existenz des Staates Israel gewährleistet werden?
Martha
@Abdurchdiemitte Viele laufen aber garnicht hasserfüllten Islamisten hinterher, sie werden aber konsequent ignoriert. Es gibt nämlich eine palästinensische Linke, es gibt NGOs es gibt Engagierte Nicht-islamisten, aber die Presse ignoriert diese Leute ziemlich konsequent. Neulich hat die BBC in einem sehr seltenen Anfall von Objektivität einmal Mohammad al-Kurd, einen jungen Engagierten, Autor und Poeten aus Ostjerusalem (Sheikh Jarrah) mit in sein Interview-Panel eingeladen, neben den ansonsten üblichen wie einem britischen Diplomaten und einer amerikanischen Ex-Beraterin der Obama-Regierung. Man sah ihnen die Peinlichkeit und das Erschrecken an, so plötzlich ganz direkt mit einem Betroffenen konfrontiert zu sein. Sowas kommt so gut nie vor in der westlichen Presse. Man macht es sich einfach, indem man auf Islamisten fokussiert und so die israelische Brutal-Politik akzeptabler erscheinen lässt.
Die sogenannte Autonomiebehörde muss ca 40% ihres Budgets, das sie von der EU bekommt für die Sicherheitszusammenarbeit mit dem israelischen Militärregime verwenden. Es ist keine Überraschung, dass sie keinen Spielraum hat, nichts durchsetzen kann für die eigene Bevölkerung, weitere Enteignungen nicht verhindern kann und deshalb als Kollaborateure gesehen werden. Man sieht daran, dass selbst Kooperation nicht zur Durchsetzung der eigenen Rechte beiträgt, denn der Staat Israel und seine Siedler:innen wollen das gesamte Gebiet.
Die EU und die USA sollten nicht immer nur reden, mahnen und sich besorgt zeigen. Sie sollen Druck ausüben, realen Druck auf die israelische Regierung, damit sich etwas bewegt.
Abdurchdiemitte
@Martha Die heutigen Probleme der Palästinenser ausschließlich auf die westliche Wahrnehmung des Konflikts bzw. die pro-israelische Öffentlichkeit schieben zu wollen, wäre zu einfach.
Ich räume ein, dass die israelische Gesellschaft inklusive ihrer (sich eh in der politischen Defensive befindlichen) liberalen und linken Kräfte bei weitem nicht bereit und in der Lage ist, die Bedeutung der Nakba für die Palästinenser zu erkennen und anzuerkennen. Dafür ist in den Kämpfen, die 1948 zur Gründung des Staates Israel führten, von beiden Seiten zu viel Blut vergossen worden.
Dann bemühen Sie auch wieder den palästinensischen Opfermythos. So kommen wir nicht weiter. Es ist einfach nicht wahr, dass die Palästinenser und ihre Anliegen auf der internationalen Bühne völlig isoliert dastehen, das Gegenteil ist der Fall. Denken Sie an die UN-Resolutionen in den vergangenen Jahrzehnten mit eindeutiger Verurteilung der israelischen Politik. Die Chancen für eine Zweistaaten-Lösung sind von ihnen und ihren arabischen Verbündeten allerdings stets ausgeschlagen worden. Und ich kann nicht erkennen, dass diejenigen Kräfte in der palästinensischen Gesellschaft, die weiterhin die physische Vernichtung des israelischen Staates fordern und den Juden in unversöhnlichem Hass gegenüberstehen, zurückgedrängt wurden. Auch hier gilt eher das Gegenteil.
Mich würde z.B. interessieren, welchen Beitrag der von Ihnen genannte Mohammad al-Kurd für den Friedensprozess leistet, wie er die Bedeutung der Shoa für die israelische Staatsgründung bewertet oder welche Position er zu linkem und islamischem Antizionismus und Antisemitismus bezieht.
Martha
@Abdurchdiemitte Nein ich bediene keinen Opfermythos, da machen Sie es sich zu einfach. Wie steht es denn heute? Alle UN-Resolutionen, auch UN-Berichte die Apartheid feststellen etc werden ignoriert. Die EU und die USA machen beste Geschäfte weiterhin mit dem Staat Israel, egal was. Die brutale Enteignungspolitik auch im Jordantal, in Ostjerusalem im Westjordanland instgesamt hat keinerlei Konsequenzen für den Staat Israel. Mit den ganzen Mahnungen kann der Staat gut leben. Die Zweistaatenlösung wurde nicht von palästinensischer Seite ausgeschlagen, wie kommen Sei darauf, sondern von Israel zu Tode gesiedelt.
Mohammad al-Kurd und seine Familie sind direkt von Vertreibung aus Sheikh Jarrah bedroht. Seine Meinung u.a. ist, dass Israels Militär in Ostjerusalem überhaupt nichts zu suchen hat, denn nach internationalem Recht soll Ostjerusalem die Hauptstadt eines palästinensischen Staates sein.
Wenn Sie English lesen, hier ein Link zu Mohammad al-Kurds Rede vor der UN-Generalversammlung 2021:
www.un.org/unispal...l-Assembly-cad.pdf